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Des Wolfes glücklicher Tag

  Aus Haupt und Schmaler's wend. Liedern II. Anhang.

Es war aber eines Morgens, daß sich der Wolf auf seinem Lager dehnte und streckte und die Sonne warf ihren Schein auf ihn. Der Fuchs ging aber gerade vorbei. Und er sagte: Du wirst am heutigen Tag lauter Glück haben. Und der Wolf sagte: Wieso? Und der Fuchs sagte: Weil die Sonne ihren Schein auf dich geworfen, da du dich dehntest. Und der Wolf sagt: Ich wollte heute sonst nicht ausgehen, aber wenn dem so ist, so werde ich doch geh'n.

Und er fing an quer durch den Wald zu laufen, und traf dort zwei Diebe, die trugen jeder eine Bürde Speck. Als sie den Wolf erblickten, warfen sie den Speck hin und entflohen. Der Wolf beroch die Speckeiten und sagte: Der Fuchs hatte doch Recht, daß ich heute lauter Glück haben werde. Siehe, welch schöner Speck! Aber wer wird denn schon jetzt des Morgens Speck essen? Da hat man ja dann den ganzen Tag großen Durst.

Und er lief weiter und kam auf eine Weide. Dort erblickte er eine Stute mit einem Füllen. Und er gedachte bei sich: Das war besser. Und er sagte zu der Stute: Meine Stute, ich habe am heutigen Tage lauter Glück und daher werde ich jetzt dein Füllen verspeisen. Und sie sprach zu dem Wolfe: Mein Wolf, das ist mir sehr lieb, und ich schätze das sehr hoch, daß ein so hoher Herr mein Füllen verspeisen will. Aber würdest du wohl nicht so gut sein und mir vorher einen Gefallen erzeigen? Ich habe gehört, daß du ein ausgezeichneter Arzt seist; ich habe mir aber in den rechten Hinterfuß einen schauderhaften Splitter eingestochen und bin dahin und dorthin gegangen, aber es kann mir Niemand helfen. Würdest du nicht so gütig sein und als ausgezeichneter Arzt mich von meinen Schmerzen befreien? – Der Wolf gedachte bei sich: Ausgezeichneter Arzt! hm, das habe ich auch noch nicht von mir gewußt. Aber die Stute würde doch nicht so reden, wenn nichts daran wäre. Und er sagte: Zeige doch! und trat näher. Und die Stute erhob ihr Bein und als er es so recht genau besehen wollte, schlug sie ihn doch dergestalt vor den Kopf, daß er in Ohnmacht fiel. Und sie entfloh mit ihrem Füllen.

Als sich der Wolf wieder etwas erholt hatte, ärgerte es ihn ungeheuer, daß ihn die Stute so betrogen hatte. Aber er sprach zu sich: Wer hat dir geheißen, dich für einen ausgezeichneten Arzt auszugeben, so du doch keiner bist? Und er betastete seinen Kopf und sagte: Aber es ist, Gott sei Dank! nichts entzwei und der Fuchs hat gesagt, daß ich am heutigen Tage lauter Glück haben werde, darum wird es schon besser kommen. Und es däuchte ihn, daß er ziemlich hungrig sei. Und er trabte weiter und kam an eine Mühle. Dort erblickte er eine Sau mit ihren Ferkeln. Und er gedachte bei sich: das ist trefflich! Und er sprach zu der Sau: Meine Sau! Ich habe am heutigen Tage lauter Glück, und daher werde ich jetzt dein schönstes Ferkel verspeisen. Und sie sprach zu dem Wolfe: Mein Wolf! das ist mir sehr lieb und ich schätze das sehr hoch, daß ein so großer Herr mein schönstes Ferkel verspeisen will. Aber würdest du wohl nicht so gut sein und ein kleines Weilchen warten? Siehst du, das Ferkel ist sehr schmutzig und kothig; so schickt es sich doch für vornehme Leute nicht. Ich will es dir recht rein abwaschen, wie es sich für einen solchen vornehmen Herrn gehört. Der Wolf gedachte bei sich: Vornehmer Herr! hm! das habe ich auch noch nicht von mir gewußt. Aber die Sau würde doch nicht so reden, wenn nichts daran wäre. Und er sagte: Wasche es ab, und legte sich an's Ufer. Und die Sau stürzte sich mit ihren Ferkeln in den Fluß und schwamm immer näher zur Mühle, und ehe sich's der Wolf versah, war sie mit ihnen durch die Freirinne verschwunden. Als nun der Wolf dahinter gekommen war, daß sie ihm mit den Ferkeln entflohen war, ärgerte es ihn ungeheuer, daß ihn die Sau so betrogen hatte. Aber er sprach zu sich: Wer hat es dir geheißen, dich für einen vornehmen Herrn auszugeben, da du doch keiner bist. Jetzt hat dich die Sau, ein so dummes Thier, betrogen. Und es däuchte ihn, daß er bereits sehr hungrig sei. Und er sagte: Ein Weilchen werde ich es doch noch aushalten. Der Fuchs hat ja gesagt, daß ich heute lauter Glück haben werde; es wird schon noch besser kommen.

Und er schritt weiter und kam auf ein Feld. Dort erblickte er zwei Ziegenböcke, die einander nur so stießen. Und er gedachte bei sich: Bockfleisch? darauf habe ich keinen rechten Appetit; aber der Hunger ist ein böser Feind. Und er sprach zu den Ziegenböcken: Meine Ziegenböcke! Ich habe am heutigen Tage lauter Glück und daher werde ich jetzt einen von euch verspeisen. Und sie sprachen zu dem Wolfe: Mein Wolf, das ist uns sehr lieb und wir schätzen das sehr hoch, daß ein so großer Herr einen von uns verzehren will. Aber würdest du nicht so gut sein und uns zuvor einen Gefallen thun? Wir haben gehört, daß du ein so angesehener Rechtsgelehrter bist. Nun haben wir gerade einen gewaltigen Prozeß um dieses Feld, und sind dahin und dorthin gegangen, um uns Raths zu erholen, aber bis jetzt konnte uns Niemand auf den rechten Weg bringen. Würdest du nicht so gut sein und als angesehener Rechtsgelehrter entscheiden, welchem das Feld gehören soll? Setz' du dich hier auf die Mitte des Feldes, wir beide wollen aber jeder an ein Ende gehen, und wer am ehesten bei dir ist, der hat gewonnen. So erfahren wir doch noch vor unserm Tode, wem das Feld eigentlich gehört.

Der Wolf hätte am liebsten auf der Stelle einen verschlungen, aber er gedachte bei sich: Angesehener Rechtsgelehrter! das habe ich auch noch nicht von mir gewußt. Aber die Ziegenböcke würden doch nicht so sprechen, wenn nichts daran wäre. Und er sagte: So laufet! und legte sich in die Mitte des Feldes. Und die Ziegenböcke nahmen am Ende des Feldes einen Anlauf und trafen bei dem Wolfe mit solcher Gewalt zusammen, daß sie ihm den Athem ausschlugen und sie entflohen.

Als der Wolf nach einer langen Weile wieder zu Kräften gekommen war, ärgerte es ihn ungeheuer, daß ihn die Ziegenböcke so betrogen hatten. Aber er sprach zu sich selbst: Wer hat dir's geheißen, dich für einen angesehenen Rechtsgelehrten auszugeben, da du doch keiner bist? Und es däuchte ihn, daß er ungeheuer hungrig wäre, und er sprach: Weiter werde ich doch noch gehen; hat ja doch der Fuchs gesagt, daß ich am heutigen Tage lauter Glück haben werde, es wird wohl doch noch was Gutes kommen.

Und er schlich weiter und kam auf eine große Flur. Dort erblickte er eine ganze Heerde Schafe in ihrer Hürde und keinen Schäfer und keine Hunde dabei. Da gedachte er bei sich: das ist gut. Und er sprach zu den Schafen: Meine Schafe! ich habe am heutigen Tage lauter Glück, und daher werde ich jetzt eins von euch verspeisen. Und sie sprachen zu dem Wolfe: Mein Wolf! Das ist uns sehr lieb und wir schäßen dies sehr hoch, daß ein so großer Herr von uns eins verspeisen will. Aber würdest du nicht so gut sein und uns zuvor einen Gefallen erzeigen? Wir haben gehört, daß du ein sehr gelehrter Vorsänger bist, und wir haben gerade außerordentliche Sorge, wer den Kantorposten versehen soll; denn uns ist der schönste Stähr gestorben, und wir sind dahin und dorthin gegangen, aber Niemand kann uns aus der Noth helfen? Dem Wolfe hing der Nachen wohl sehr nach dem Fraße; aber er gedachte bei sich: Gelehrter Kantor! das habe ich auch noch nicht von mir gewußt. Aber die Schafe würden doch nicht so reden, wenn nichts daran wäre. Und er sagte: So gebet Acht! und stieg auf die Hütte des Schäfers hinauf und schwenkte mit großem Ernste den einen Fuß hin und her, damit sie sähen, wie er den Takt angäbe. Und die Schafe begannen aus vollem Halse zu blöken, eins immer mehr als das andere und der Wolf heulte, daß das ganze Dorf und alle Hunde zusammen gelaufen kamen. Als er gerade im schönsten Singen war, versetzte ihm Jemand auf einmal einen solchen Schlag, daß er von der Hütte herunterstürzte. Nun fingen ihn die Hunde an zu zausen und die Leute begannen mit allerhand nichtswürdigen Knitteln, Stangen und Gabeln zu hauen, zu stoßen und zu stechen, daß der Wolf mit genauer Noth entfloh und in einem Dickicht auf allen Seiten verwundet und zerprügelt liegen blieb. Und als er dort lag und stöhnte, ärgerte es ihn doch ungeheuer, daß die Schafe ihn so betrogen hatten. Aber er sprach zu sich selbst: Wer hat es dir geheißen , dich für einen gelehrten Kantor auszugeben, da du doch keiner bist. Jetzt haben sich die Schafe, die allerdümmsten Thiere, betrogen. Und es däuchte ihn, daß er fast verschmachten müsse. Und er sagte: Ich habe ja doch den Speck, das ist auch noch ein gutes Abendessen. Und er kam, nachdem er manche Pause hatte machen müssen, dahin, wo er die beiden Diebe vertrieben hatte; aber der Fuchs hatte schon den ganzen Speck weggeschleppt.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862