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Der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen

  Aus Haupt und Schmaler's wend. Liedern II. Anhang.

Es war ein schönes Wetter und der Mond schien so hell und der Fuchs und der Wolf zogen auf Abenteuer aus. Da kamen sie zu einem kleinen Brünnlein, und der Wolf sagte: was ist das? Und der Fuchs sagte: wo denn? Der Wolf sagte: hier in dem Brunnen. Der Mond aber schien so schön in das Brünnlein, und es war Vollmond. Und der Fuchs sagte: das ist ein Süßkäse. Der Wolf sagte: Süßkäse esse ich ungeheuer gern. Der Fuchs sagte: ich habe keinen Appetit darauf, ich habe mich an Kalinkenbeeren gesättigt. Und der Wolf sagte: wenn ich doch den Süßkäse hätte. Da sagte der Fuchs: sauf nur das Wasser aus. Und der Wolf fing an das Wasser zu saufen, während der Fuchs ihm hurtig einen Propf beibrachte. Und er soff das ganze Wasser bis auf den Boden aus, aber da war kein Süßkäse. Und sie sprachen zu einander: es mag ihn wohl jemand genommen haben; dann gingen sie in die Spinnstube. Dorthin kamen auch andere Burschen und sie beschlossen, einen Spinnabend zu feiern; und der Fuchs entdeckte, daß es in der Stubenkammer gute Würste gäbe. Und es gedachte bei sich: ich esse Würste ungeheuer gern, ach wenn ich die Würste hätte! Aber vor der Stubenkammer lag ein gewaltiger Kettenhund, sein alter Feind, und rührte sich nicht von der Thüre. Da stieß der Fuchs dem Wolf den Propf ab und der überschwemmte die ganze Stube, und das Wasser stieg immer höher, so hoch, daß man auf die Bänke fliehen mußte; und der Fuchs stürzte unter die Würste. In der Stube aber fingen sie an sich zu zanken und über den Wolf zu schimpfen, bis sie in eine Schlägerei mit ihm geriethen. Und sie zerdroschen ihn schrecklich und warfen ihn zulegt hinaus, daß er auf dem Kehricht liegen blieb. Der Fuchs aber hatte unterdessen die ganzen Würste aufgefressen und sich so vollgestopft, daß er kaum kriechen konnte. Und bei den Würsten standen Preißelbeeren, mit diesen beschmierte er sich; da sab er aus, als sei er blutig. Und der Wolf stöhnte auch sehr und klagte dem Fuchse, wie man mit ihm verfahren wäre, und er stand auf und fing an umherzuwandeln.

Und der Fuchs sagte: au, iau, iau, mir ist es noch viel schlimmer gegangen, ich weiß nicht, wie ich nach Hause kommen werde, siehst du nicht, wie ich blute? Und er stund auf und fiel immer wieder hin und sagte: mein lieber Wolf, ich bitte dich, daß du mich nach Hause tragst. Und der Wolf nahm ihn auf den Rücken. Als sie nun ein Stückchen weiter gekommen waren, sagte der Fuchs leise: der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen. Und der Wolf sprach: was flüsterst du? Der Fuchs sagte: adh, ich weiß nicht, was ich vor Schmerzen und Elend rede. Da trug er ihn weiter. Und als sie wieder ein Stückchen weiter kamen, sagte der Fuchs leise: der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen. Und der Wolf sprach: was flüsterst du? Der Fuchs sagte: ach, ich weiß nicht, was ich vor Schmerzen und Elend rede.

Und da trug er ihn wieder weiter. Und als sie noch ein Stückchen weiter kamen, sagte der Fuchs wieder ganz leise: der Geschlagene trägt den Ungeschlagenen. Der Wolf aber verstand diesmal seine Worte und ergrimmte sehr, und da er ihn gerade über einen Steg trug, warf er ihn in den Graben hinunter in's Wasser und ging seines Weges. Das ärgerte aber den Fuchs über die Maßen sehr.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862