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Vom Zwergkönig Hübich

I

In altersgrauer Zeit, als noch die Riesen auf Erden wandelten, ging einst ein solch gewaltiger Geselle bei Grund vorbei. Da spürte er einen empfindlichen Druck am Fuß. Er zog seinen Schuh aus. Und als er sah, dass nur ein Stein ihn gedrückt hatte, schüttete er denselben aus. Der Stein blieb dicht bei Grund liegen.

Was aber für den Riesen nur ein Steinchen war, das waren für die gewöhnlichen Menschenkinder ein paar mächtige, aneinanderstehende Kalksäulen, in denen Zwergkönig Hübich mit seinen Untertanen hauste und die daher den Namen Hübichenstein erhalten haben.

Der König war braven, tätigen Menschen gar gut gesinnt, half manchem in höchster Not und zeigte sich nur gegen diejenigen boshaft und neckisch, die in den Waldungen Schaden anrichteten oder seinem Völkchen unrecht taten. Obwohl Hübich nur ein winzig kleines Männlein war, hatte er die Macht, sich gewaltig auszurecken und war dann schrecklich anzusehen. Sein Gesicht war grau und alt, von zottigen Haaren umgeben. Sein langer, eisgrauer Bart, in welchem er zauberische Kraft besaß, floss bis auf die Brust herab. In der Hand trug er ein Grubenlicht, welches so hell wie eine Sonne schien und in dessen Glanz die goldene Krone auf seinem Haupt wunderbar schön erstrahlte.

Früher war der Zwergkönig häufig auf die Oberwelt gekommen, doch seitdem der ehemals große Hübichenstein zum kleinen geworden ist, darf er seinen eigentlichen Bereich innerhalb der Berge nicht mehr verlassen.

Der Hübichenstein wurde auch wohl die Zwergkanzel genannt. Diejenigen, die es wagten, den Fels zu erklimmen, wurden von dem Zwergkönig in die Tiefe gestürzt. Das war nun schon eine bekannte Geschichte, daher getraute sich auch keiner mehr, hinaufzuklettern.

Einst aber, an einem Sonntag, ging der Sohn des Försters aus Grund, Hans geheißen, mit seinem Freund, einem Bergmannssohn, spazieren. Als sie nun bei dem Hübichenstein vorbeikamen und über die Höhe desselben sprachen, meinte der Freund, dass es überhaupt unmöglich sei, diese steile Höhe zu erklimmen.

»Oho«, entgegnete der verwegene und kühne Hans, »mir wäre das eine Kleinigkeit!«

Da lachte ihm der andere ins Gesicht und sprach: »Na, höre einmal, wenn du auch im Klettern uns allen überlegen bist, das brächtest du doch nicht fertig.«

Durch diese Worte wurde Hans gereizt. »Dass ich es kann, will ich dir zeigen!« rief, er seinem Freund zu und begann mit ungeheurer Geschwindigkeit den steilen Berg zu erklimmen.

Fritz bat ihn, doch um Gottes willen von seinem Vorhaben abzustehen; er möge an Hübich denken, der keinen auf seinem Felsen dulde und ihn sicher herabstürzen würde. Doch Hans lachte der Mahnung und rief dem Freund triumphierend zu, ob er nun glaube, dass er klettern könne. Dabei klomm er höher und höher. Bald hatte er zum Entsetzen seines Freundes den Gipfel des Berges erreicht. Dort tanzte und sprang er jauchzend herum. Er gab erst nach längerer Zeit Fritzens Bitten nach und schickte sich an, wieder hinunterzuklettern. Doch was war das? So sehr Hans sich auch mühte, es war ihm unmöglich, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun.

Mit größter Angst sah Fritz die vergeblichen Bemühungen seines Freundes, ohne ihm helfen zu können, denn jener wurde von unsichtbarer Macht gehalten. Er stürzte fort, um Hans’ Vater zu holen. Jammernd bemerkte dieser bei seiner Ankunft, in welcher Gefahr sein Sohn schwebte. Aber auch der Förster wusste keinen Rat und blickte ratlos hinauf zu dem klagenden Sohn. Stundenlang erneuerte dieser seine vergeblichen Versuche, stundenlang bat Hans, sein Vater möge ihn herunterschießen, denn dort oben langsam zu verhungern, sei ein zu entsetzlicher Tod. Nach langem Zandern schickte sich der Förster an, den Wunsch seines Sohnes zu erfüllen. Aber als er mit zitternder Hand zu zielen begann, trat ihm Hübich entgegen.

»Was beginnst du?«, fragte er finster den Förster.

Als derselbe dem Zwergkönig sein Vorhaben erklärte, sprach er: »Lass ab von so törichtem Tun!« Damit verschwand er so plötzlich, wie er gekommen war.

Hans bat indessen flehend, sein Vater möge nicht auf Hübichs Worte hören und dennoch schießen. So entschloss derselbe sich noch einmal dazu. Aber als er diesmal sein Gewehr anlegte, kamen unzählige Zwerge aus dem Berg hervor, schlugen ihn mit Heckruten auf die Finger, warfen mit Tannzapfen nach ihm und fuhren mit Zweigen über sein Gesicht, sodass an ein Zielen gar nicht zu denken war.

»Geht mir aus dem Weg, ihr Jungen«, rief der Förster und versuchte die zudringliche Schar abzuwehren. »Glaubt ihr, mein Sohn soll dort oben verhungern?«

Aber die boshafter Zwerge kehrten sich nicht an die Angst des Vaters, kicherten und neckten den Alten fort und fort, bis die Nacht einbrach und die Dunkelheit das Schießen unmöglich machte.

Ungern entschloss sich der Förster, nun seinen Sohn zu verlassen, doch alle Umstehenden, welche die Kunde von Hans’ Unglück herausgetrieben hatte, ermahnten ihn, sich nun Ruhe zu gönnen, damit er bei Tagesanbruch gekräftigt sei, um sein Vorhaben ausführen zu können.

So entfernten sich denn die um den Berg Versammelten, nur Fritz wollte den Freund nicht verlassen und blieb. Doch Hans bat ihn dringend, ebenfalls zu gehen, da er ihm ja doch nicht helfen könne. Nach langem Zögern entfernte sich denn auch Fritz. Kaum aber war er verschwunden, so begann am Berg ein reges Leben. Hunderte von winzigen Zwergen erschienen am Fuße desselben mit Grubenlichtern und trugen kleine Leitern herbei. Mit Windeseile fügten sie dieselben aneinander und in kurzer Zeit hatte das geschäftige Völkchen den Gipfel erreicht. Der Zwerg, der zuerst die Höhe erklommen hatte, trat zu dem staunenden Hans. Obwohl dieser viel größer war als er selbst, hob er ihn auf die Schultern und trug ihn die lange Leiter hinab, auf deren Sprossen die übrigen kleinen Männchen standen und leuchteten. Unten angelangt, stellte der Zwerg seine Bürde nieder und verschwand mit allen kleinen Wichten. Verwundert und wie im Traum blickte Hans umher, als er plötzlich Hübich vor sich sah.

»Nun, Bursche«, hob dieser an, »da hast du einmal eine ordentliche Angst ausgestanden. Sieh, so geht es denen, die sich fürwitzig in mein Bereich wagen. Hätte ich nicht gewusst, dass du sonst ein braver Bursche bist, so lägst du zerschmettert hier unten. Mein Reich dort oben mag dir schlecht genug gefallen haben. Darum will ich dich nun entschädigen und dich in mein Schloss führen. Dort wirst du dich wohler fühlen und die ausgestandene Angst vergessen.«

Vor sich in der Felswand erblickte Hans plötzlich ein offenes Tor. Durch dieses führte der Zwergkönig seinen Gast in einen weiten Saal. Prächtig flimmerte und glänzte es hier, sodass der Försterssohn anfangs ganz geblendet war. Von der hohen, schimmernden Decke herab hing ein kristallener Kronleuchter. Die Wände waren von glitzerndem Stufenerz, reich mit Gold und Silber verziert. Den Boden aber bedeckten Tannenzweige, deren harziger Duft den Raum erfüllte. Liebliche Musik schallte den Eintretenden entgegen.

Hans war so im Anschauen versunken, dass der König ihn wiederholt ansprechen musste, um ihm einen Stuhl zu zeigen, auf den er sich setzen solle. Hübich selbst nahm Platz auf einem silbernen Sessel, der mitten im Saal vor einem großen Glaskopf stand. Mit einem silbernen Stab schlug er auf denselben. Das gab einen lieblichen Klang. Sofort erschienen viele kleine weibliche Wesen, welche Hans herrliches Obst darreichten. Der Zwergkönig redete ihm freundlich zu und fragte nach vielen Dingen. Die offenen und freien Antworten des Burschen schienen dem Alten wohl zu gefallen, denn wiederholt nickte er ihm gütig zu. Dann klopfte er aber­mals mit dem silbernen Stab auf den Kopf aus Glas und wieder erschienen die kleinen Frauen. Diesmal aber trugen sie prächtige silberne Krüge und reichten dieselben Hübich und seinem Gast.

»Nun tu mir Bescheid, mein Junge«, sprach der König, worauf sich Hans erhob, seinem freundlichen Wirt Glück auf zurief und einen tüchtigen Zug tat. Das war ein Trunk! So etwas Köstliches hatte Hans noch nie geschmeckt. Lächelnd gewahrte Hübich, wie gut es seinem Gast mundete und ließ die Krüge aufs Neue füllen.

Dann stand er auf und hieß Hans, ihm zu folgen. Als sie einige Räume durchschritten hatten, gelangten sie in einen Saal, der fast noch größer war als der erste. Auch dieser Raum war prächtig ausgestattet. An einer Seite desselben lag lauter Silber, an der anderen Gold. Auf dieses wies der Zwergkönig und befahl dem Försterssohn, allemal, wenn er Gold rufe, von diesem zu nehmen, wenn er aber Silber sage, auf der anderen Seite zuzugreifen. Nun kommandierte Hübich unaufhörlich: »Gold, Silber! Gold, Silber!«

Es schien kein Ende nehmen zu wollen. Alle Taschen, Tuch und Mütze waren schon voll, und Hans wusste nicht mehr, wo er mit seinen Reichtümern bleiben sollte.

Da rief der König: »Jetzt ist es genug! Doch nun höre: Auch ich habe eine Bitte an dich. Sieh, solange der große Hübichenstein der große bleibt, darf ich auf Erden umherwandern und kann vielen Gutes tun. wird derselbe aber zum kleinen Hübichenstein, dann habe ich meine Herrschaft auf der Oberwelt verloren und darf nur noch hier drinnen regieren. Darum bitte ich dich, Sorge zu tragen, dass keiner mehr hier in der Nähe nach Raben und Falken schießt, denn durch das Gedröhn der Schüsse lösen sich Felsbröckchen ab und mein Reich wird kleiner und kleiner.«

Hans versprach, den Wunsch Hübichs zu erfüllen, und gelobte ihm, dass keiner fortan es wagen solle, durch Schießen sein Gebiet zu gefährden.

Der Zwergkönig führte seinen Gast nun wieder in ein anderes Gemach, wo aus Moos ein behagliches Ruhebett hergerichtet war. Er bewog Hans, sich darauf zur Ruhe zu begeben. Obwohl dieser weit lieber nach Hause geeilt wäre, um seinem Vater die furchtbare Angst zu nehmen, überfiel ihn doch eine so unwiderstehliche Müdigkeit, dass er gezwungen war, sich niederzulegen und auch sofort einschlief.

Durch heftigen Frost geschüttelt, erwachte er und rieb sich verwundert die Augen. Da sah er, dass er unten am Fuße des Hübichensteins lag: War ihm doch alles, was mit ihm vorgegangen war, wie ein Traum. Aber neben ihm lag all das Gold und Silber, welches er von Hübich erhalten hatte. Schnell packte er die Schätze zusammen und eilte zu seinem Vater, der in Angst und Sorge schlaflos die Nacht verbracht hatte und nun gerade wieder zum Hübichenstein hinausgehen wollte. Freudig schloss er den Sohn in die Arme und mit Staunen wurden die mitgebrachten Herrlichkeiten betrachtet. Einen großen Teil seines Reichtums gab er den Armen, dann aber ging er zur Obrigkeit, nur derselben den ganzen Vorfall zu erzählen. Es wurden Schritte getan, das Schießen am Hübichenstein zu verhindern. So hat man auch den Zwergkönig noch lange im Wald umhergehen sehen. Manchem hat er noch Gutes getan, aber auch manchen bestraft.

Als aber der Dreißigjährige Krieg übers Land zog und auch in Grund viele Kaiserliche lagen, da haben sie die Geschichte vom Hübichenstein erzählen hören. Das war für die wilde Kriegshorde ein willkommener Spaß. Mit Kartaunen haben sie die Spitze des Berges herabgeschossen, sodass derselbe zum kleinen Hübichenstein geworden ist. Somit hatte denn Hübichs Regiment auf der Oberwelt sein Ende erreicht, und keiner hat ihn seit jener Zeit wieder gesehen. Den Eingang, der in des Zwergkönigs Schloss führte, bezeichnet eine Grotte. Wenn es euch gelüstet, Hübichs Schätze zu schauen, so versucht nur, ob ihr durch denselben nicht tiefer in seinen Bereich zu dringen vermögt.

Quelle: Im Zauberbann des Harzgebirges, Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann; www.geisterspiegel.de


II

Es lebte einst ein Müller in Grund, in dessen Mühle kehrten allnächtlich die Zwerge ein, speisten und waren lustig und guter Dinge. Der Müller aber fürchtete sich vor dem kleinen Völkchen, das unter der Herrschaft des mächtigen Hübich stand, räumte lieber bei Anbruch der Nacht die Mühle und schlief mit seiner Familie in einem nahegelegenen Häuschen, nur aus Furcht vor der kleinen Schar.

Da, eines Abends, der Müller wollte gerade fortgehen, pochte es an seine Tür. Ein alter Soldat bat ihn um Nachtquartier, weil er so ermüdet sei, dass er keinen Schritt mehr gehen könne.

»Meinetwegen«, sprach der Müller, »mögt Ihr hier übernachten. Doch hört: Allnächtlich haust hier Zwergkönig Hübich mit seinem Volk. Habt Ihr keine Furcht, so bleibt. Wir anderen gehen fort aus der Mühle.«

»Guter Freund«, entgegnete der Fremde, »ein alter Soldat, der, wie ich, in unzähligen Schlachten gekämpft hat, wird sich doch nicht vor einem Regiment so kleiner Wichte fürchten? Geht ruhig fort und lasst mich nur allein mit Euren Gästen.«

Als alle gegangen waren, stopfte sich der Soldat eine Pfeife, legte sich gemächlich hinter den Ofen und wartete neugierig auf den nächtlichen Besuch. Es währte auch nicht lange, so erschien geräuschlos eine Schar winziger Männchen und deckte den Tisch. Alsbald stand prächtiges silbernes und goldenes Gerät auf demselben, und die Zwerge liefen geschäftig hin und her.

Aha, dachte der Soldat, nun kommen die Speisen.« Er sah neugierig hin, was es wohl Schönes zu schmausen gäbe und woher die Kleinen es holten. Doch da konnte er lange spähen, denn die Speisen waren auf Wunsch der Zwerge gleich in den Schüsseln. Nur der verlockende Duft erfüllte das Zimmer. Als alles fertig war, trugen mehrere Zwerge eine prächtige, von Gold und Edelstein schimmernde Sänfte herein, in welcher der König saß, und setzten dieselbe mitten auf den Tisch.

Hübich spähte rechts und links, als ob etwas nicht in Ordnung sei, schnüffelte mit der Nase in der Luft umher und schrie dann plötzlich: »Hier riecht es nach Tabak!«

Wie auf Kommando eilte die ganze kleine Gesellschaft durcheinander und durchstöberte das Zimmer. Als sie nun den Soldaten entdeckten, schrien sie laut auf und sprangen mit ihren goldenen Messern und Gabeln herbei, um ihn zu ermorden. Der Soldat aber ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Er nahm seinen Stock und hieb zwischen die Zwerge, dass sie alsbald heulend und jammernd davonliefen. Seinen König hatte das Völkchen in größter Angst vergessen und schließlich war er der einzige Zurückgebliebene. Frohlockend näherte sich ihm der Soldat, aber in demselben Augenblick verschwand Hübich auf unerklärliche Weise vor seinen Augen.

Die vielen Gold- und Silbergeräte lud der Soldat in die Sänfte und verkaufte später alles für vieles Geld. Nur eine der Schüsseln behielt er. Weil es eine Wunschschüssel war, konnte er begehren, welche Speise er wollte. Jede erschien, wie er dieselbe gewünscht hatte.

Als der Müller am anderen Tag die ganze Geschichte erfuhr, fasste er sich ein Herz und blieb die nächste Nacht selbst in der Mühle, denn er war neugierig, ob die Zwerge wohl wiederkommen würden.

Richtig, um zwölf Uhr wurde angeklopft und eine Stimme fragte: »Müller, hast du deine böse Katze noch?«

Der Soldat, der ebenfalls im Zimmer saß, rief: »Jawohl, die ist noch da und geht auch nicht mehr fort!«

»Dann mag dir der Teufel wiederkommen«, rief es traurig von draußen, und alles war still.

Die Zwerge sind auch nie in die Mühle zurückgekehrt, doch der alte Soldat hat dort sein Leben beschlossen, hat mit dem Müller seinen Reichtum geteilt und immer von seiner Wunschspeise gegessen, die ihm allezeit köstlich gemundet hat.

Quelle: Im Zauberbann des Harzgebirges, Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann; www.geisterspiegel.de


III

Einstmals ging eine arme Bergmannsfrau aus Grund in den Wald, um Tannenäpfel zu suchen. Traurig schritt sie ihres Weges. Sie war sehr unglücklich, denn schon wochenlang lag ihr Mann krank danieder und konnte nicht arbeiten. Ihr selbst war es bei größtem Fleiß nicht möglich, genug für sich und ihre zahlreiche Familie zu verdienen. Oft gingen die Eltern und ihre armen Kleinen hungrig schlafen.

An diesem Tag wollte die fleißige Frau nun versuchen, recht viele Tannenäpfel zu finden, denn der Bäcker hatte ihr dafür Brot zu geben versprochen. So durchschritt sie eilends den Wald, als plötzlich Hübich vor ihr stand und die Erschreckte fragte, was sie hier zu suchen habe. Die Frau erzählte dem Zwergkönig von ihrem Vorhaben und von dem Unglück, das sie so schwer betroffen hatte. Aufmerksam hörte Hübich zu, und als sie fertig war, reichte er ihr ein Bündchen Kräuter, nach deren Gebrauch ihr Mann sofort genesen werde. Dann bezeichnete er ihr auch noch den Ort, an dem die meisten Tannenzapfen zu finden seien. Mit herzlichem Dank eilte die Bergmannsfrau weiter. Anfangs fand sie an dem bezeichneten Ort keinen einzigen Tannenapfel. Schon glaubte die Arme, der Zwergkönig habe sie zum Besten gehabt, wie er das ja schon bei vielen anderen getan hatte, als plötzlich ein Zapfen nach dem anderen direkt in ihre am Boden stehende Kiepe flog, und zwar mit solcher Geschwindigkeit, dass der Korb über und über voll war. Die Frau spähte in die Tannen hinein, um zu sehen, woher denn eigentlich das Wunder komme; aber nichts ließ sich in den Zweigen blicken, die nur leise, als ob der Wind hindurchführe, sich neigten. Als sie ihre Kiepe auf den Rücken heben wollte, war dieselbe zu ihrer Verwunderung weit schwerer als sonst. Nur mühsam trug sie die Last weiter.

Auf dem Rückweg traf die Frau abermals den Hübich, welcher sie fragte, ob sie denn genug Tannenzapfen gefunden hätte.

Als sie ihm alles berichtete und ihr Staunen ausdrückte, sagte der Zwergkönig: »Ja, das war mein Volk, welches dir geholfen hat. In den Zweigen haben die Zwerge gesessen und die Tannenzapfen in den Korb geworfen. Daher ist derselbe auch so schwer, denn wenn du daheim bist, wird alles eitel Silber sein. Nimm es für dich und die deinen.«

Es geschah, wie Hübich gesagt hatte. Als die Frau zu Hause die Kiepe leerte, war alles Silber. Davon ließ sie dankbaren Herzens eine Kirche bauen; aber es war noch so viel übrig, dass die Bergmannsfamilie lange sorglos und glücklich leben konnte.

Quelle: Im Zauberbann des Harzgebirges, Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, Flemming, 1890