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Der Wendenkönig aus Reinbusch

  Groß-Gaglow

Der Wendenkönig hat früher bei Reinbusch gelebt; dort, wo noch jetzt der Teufelsstein liegt hat sein Schloss gestanden. Von dem Könige weiß man, dass er sehr reich gewesen ist und glücklich in der Mitte seines Volkes gelebt hat. Sein Volk war nicht sehr zahlreich und um die Zahl desselben zu vermehren, liess er Kinder der Deutschen im Alter von ein bis fünfzehn Jahr rauben und in seinem Glauben erziehen. Von je vierzig dieser Kinder wurde, wenn er ausfuhr, sein herrlicher Wagen gezogen. Der Wagen leuchtete wie Feuer und sprühte Blitze, so dass Niemand ihm zu nahen vermochte. Vom Schlosse aus führte eine Brücke, etwa 400 Schritt lang, in die Umgegend, die Brücke bestand aus einer Lederhaut, einen Zoll dick, die Gurte derselben waren aus Fischbein gemacht. Mit dem einen Ende war die Brücke an dem Schlosse befestigt, mit dem andern aber an einer anderen Brücke aus Holz. Unter der Brücke befand sich stets eine Schaar von Dienern und Kriegern des Königs.

Der König pflegte Stiefeln aus Holz zu tragen, als Kopfbedeckung aber ein kleines Fass, schwarz angestrichen, so gross, dass es zehn Maass fassen konnte. Als Waffe führte der König ein zweischneidiges Schwert, welches drei Zoll dick und sechs Fuss lang war, der Griff des Schwertes war aus Silber. Der König hatte auch einen Bogen und vergiftete Pfeile, und auf wen er sein Geschoss richtete, der erlag den Pfeilen.

Als er in seinem einundfünfzigsten Lebensjahre stand, ist ein deutscher König mit Heeresmacht gekommen und hat ihn mit Krieg überzogen. Es ist diesem auch gelungen, den Wendenkönig zu besiegen und sein Schloss zu erobern. Darauf hat er den Kral in den Teufelsstein, welcher früher so gross wie ein Pferd war und ganz schwarz aussah, einsperren lassen. Der Stein war nämlich hohl; da sich in demselben Lebensmittel für vierzig Tage befanden, so ist der König am Leben geblieben. Dicht bei dem Stein befand sich eine Höhle, in welcher der Kral seinen Schatz geborgen hatte, den hat der Sieger geraubt.

Nachdem nun der deutsche König abgezogen, kamen die überlebenden Wenden und befreiten ihren König aus dem Stein, indem sie eine vier Fuss hohe, geheime. Thür öffneten. Der Wendenkönig ist darauf mit seinen Getreuen in ein anderes Land gezogen und hat eine andere Sprache und andere Sitten angenommen. Einige Jahre hat er noch friedlich im Kreise seines Volkes gelebt, dann ist er gestorben, und zwar im fünfundfünfzigsten Jahre seines Lebens.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880