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Der Wendenkönig und die Deutschen

  Branitz

Der Wendenkönig, von dem man nicht weiß, wo er seine Burg oder sein Schloss gehabt hat, denn er war überall im Wendenlande zu Hause, hatte im Beginn seiner Regierung viel mit den Deutschen zu kämpfen und er hat sie stets besiegt. Das hatte aber seine gute Ursache. Der König selbst war nämlich unverwundbar, so dass ihm kein Geschoss etwas anzuhaben vermochte. Ging es nun in das Feld gegen die Deutschen, so führte er das Heer der Wenden an, da aber dasselbe nicht groß genug war, um allein den Kampf gegen die Deutschen aufnehmen zu können, so schuf der König sich auf folgende Weise Krieger. Er besaß zwei zauberkräftige Säcke: in einem derselben befand sich Hafer, in dem anderen Häcksel; sobald er nun den Hafersack schüttelte und die Körner herausfielen, verwandelten sich dieselben in Reiter, schüttelte er aber den Häckselsack, so verwandelte sich der herausfallende Häcksel in Fußsoldaten. Diesen Reitern und Fußsoldaten aber konnte kein Geschoss und kein Schwerthieb etwas anhaben. Waren nun die deutschen Heere in Sicht, so bestieg der König sein Ross und erhob sich mit seinem Hauptmann in die Luft, um die Stellung der Feinde zu erspähen. Den Wendenkönig aber und seinen Hauptmann sah Niemand aus dem Heere der Feinde in der Luft, es schien den Deutschen nur, als zögen ein paar Raben über ihren Häuptern dahin; hin und wieder sah auch wohl einer oder der andere von den Deutschen einen Blitz am Himmel aufleuchten; das waren aber die Hufe von dem Ross des Wendenkönigs, welche in der Sonne blitzten.

Hatte der Wendenkönig nun die Stellung der Deutschen erspäht, so stellte er sein Heer so auf, dass die Reiter und Fußsoldaten, welche aus dem Hafer und Häcksel entstanden waren, dem Heere der Deutschen entgegen zu ziehen hatten. Die Deutschen vermochten dann nicht dieselben zu überwältigen, weil kein Geschoss ihnen schaden konnte. Der König selbst aber legte sich mit seinen Wenden in den Hinterhalt und fiel wenn der Kampf entbrannt war, den Deutschen in den Rücken, welche er auf diese Weise stets besiegte. Als nun die Deutschen merkten, dass sie den Wendenkönig nicht besiegen konnten, standen sie von den Kriegen ab und der König konnte nun lange Zeit in Ruhe und Frieden über seine Wenden herrschen.

Als es endlich zum Sterben kam, gebot der König den Wenden, sie sollten, wenn er todt sei, mit der Haut seines Leibes eine Trommel überziehen. Das geschah, und so oft nun ein Kampf zwischen Wenden und Deutschen entbrannt war und die Trommel gerührt wurde, erfasste die Deutschen ein solches Entsetzen, dass sie davon liefen. Als aber einst die Trommel zu stark geschlagen wurde, zersprang das Fell; fortan war es mit den Siegen der Wenden vorbei, denn sie erlagen jetzt den Deutschen und wurden von diesen unterworfen.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880