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Von der schönen Schlange und der Milchhirse

  Branitz

In einem Dorfe bei Cottbus lebten einmal Bauersleute, welche ein eigenes Haus bewohnten. Wenn sie auf das Feld gingen, so liessen sie ihr kleines Kind gewohnlich zu Hause, schlossen es ein und setzten ihm, damit es etwas zu essen habe, einen Napf Milchhirse zur Seite. So sass das Kind auch wieder eines Tages allein in seiner Stube. Da kam eine grosse, schöne Schlange aus der Ecke hervor, spielte mit dem Kinde und frass ihm seine Hirse aus. Das Kind wurde ungeduldig und fing endlich an zu schreien. In dem Augenblicke öffnete die Mutter, welche zeitiger vom Felde heimgekehrt war, die Thür. Sofort verschwand die Schlange, die Mutter horte nur noch Etwas in der Ecke rascheln. Das Kind zeigte immer mit dem Löffel nach der Stubenecke, aber die Mutter wusste nicht weshalb; sie merkte nur, dass hier nicht Alles richtig sei.

Am folgenden Tage kehrte die Mutter noch zeitiger als gewöhnlich vom Felde zurück. Da sie Etwas in der Stube sich bewegen hörte, so trat sie leise an das Fenster, um zu sehen und zu lauschen. Da sah sie, wie eine grosse, schöne Schlange zuerst mit ihrem Kinde spielte, dann aber ihm die Milchhirse auffrass. Ihr Kind wurde zuletzt ungeduldig und schlug nach der Schlange. Die Schlange liess sich Alles ruhig gefallen. Zuletzt fing das Kind an zu schreien.

Da öffnete die Mutter die Thür. Sofort war die Schlange verschwunden. Darauf holte sie ihren Mann vom Felde und erzählte ihm Alles. Aber auch der wusste keinen Rath. Darauf erzählten sie den Leuten im Dorfe von diesem Ereigniss. Da sagte ihnen einer von ihren Nachbarn: „Wenn Ihr wieder auf das Feld geht, so breitet ein schneeweißes Tuch in der Stube aus. Wenn die Schlange wiederkommt, so wird sie ihre schöne Krone darauf legen. Vielleicht gelingt es Euch, dieselbe zu erlangen.“

Am folgenden Tage thaten die Leute, wie ihnen geheissen war. Sie kamen wieder früher als gewöhnlich vom Felde heim. Als sie durch das Fenster blickten, sahen sie wieder die Schlange. Die Schlange hatte ihre Krone abgelegt. Die Leute sahen dieselbe auf dem weißen Tuche. Plötzlich traten sie schnell in das Zimmer. Alsobald enteilte die Schlange, vergass in der Eile aber ihre Krone vom Tuche zu nehmen. So gelangten die Leute in den Besitz der Krone. Sie haben dieselbe späterhin allen Leuten gezeigt. Seit der Zeit ist die Schlange nicht mehr gesehen worden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880