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Die Hirtenknaben

In dem Hause, darin der Erzähler dieser Sagen seine Knabenjahre verlebte, war ein Kutscher, aus dem Dorfe Sättelstätt gebürtig, welcher vieles von seiner Heimathflur zu erzählen wußte, zumal vom Hörseelberg. Sehr oft erzählte er unter andern auch diese Geschichte: Es waren eine Anzahl munterer Knaben beisammen, welche auf den Wiesen des Hörseelthales und nicht allzu weit von dem berufenen Hörseelloch die Pferde hüteten. Sie trieben mancherlei Spiel und Kurzweil nach Knabenweise, die Zeit hinzubringen, bis einer auf den Einfall kam, hinauf zum Hörseelloch zu klettern und hineinzukriechen. Gleich that er seinen Kameraden diesen Vorschlag, und da er sich zugleich erbot, der erste zu sein und der Anführer dieses Wagestücks, so willigten alle ein und folgten ihm, nachdem sie vorher ihre Pferde zusammengekoppelt und an Pfähle und Bäume angebunden hatten, daß keines entlaufen konnte.

Als sie nun allzumal oben angelangt waren an der niedrigen und engen Bergeshöhle, merkte der Anführer, daß es nicht allen seinen Gefährten ein rechter Ernst sei mit der Höhlenfahrt und daß sich einer oder der andere zu fürchten schien, daher sprach er: Wer mitgegangen ist, darf nun nicht zurückbleiben. Laßt uns daher an einander anbinden, daß der erste wie der letzte die Gefahr theile, wenn eine solche vorhanden ist. — Darauf fesselten sie sich mit den Riemen und Halftern, womit sie die Rosse leiteten, an einander, zündeten einen Kienspan an und der Erste kroch muthig in das Bergloch hinein, einer nach dem andern verschwand in dem engen und dunkeln Gang. Heftig klopfte manchem das Herz, am heftigsten dem letzten, und er suchte mit der Hand nach einem Taschenmesser, das er bei sich trug. Vier Lachter lang zog sich der dunkle Gang in den Berg, dann wurde er schmaler, niedriger, feuchter und konnte nur mühsam kriechend begangen werden. Jetzt trennte sich der Letzte still von seinen immer vorwärts kriechenden Gefährten, jene aber gelangten in eine mehr als mannshohe, geräumige Höhle, in welcher auch eine Bank zum Sitzen ausgehauen war, vermuthlich die Bank des treuen Eckart, aus dieser Höhle führte abermals ein schmaler Gang und die jungen Höhlenbefahrer betraten auch diesen. Zitternd hielt sich noch der Letzte zurückbleibend in dem zweiten Gang, bald sah er nichts mehr von dem matten Schein ihres Lichts, bald hörte er ihren im Geklüft verhallenden Tritt nicht mehr. Eiskalte Tropfen fielen von der Felsendecke herab auf sein Gesicht, auf seine Hände.

Er kroch ein wenig zurück, nach vorn, wo das Tageslicht wie ein Stern vom Eingang schimmerte, und harrte mit klopfenden Herzschlägen und zitternd der Wiederkehr seiner Kameraden. Aber in der Höhle blieb es dunkel, blieb es still, er sah ihr Licht nicht wieder kommen, er hörte ihre Stimme nicht von fern sich wieder nahen. Starr blickten seine Augen in die öde Nacht; er lauschte mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit, ob sie nicht kämen, manchmal glaubte er sie nahen zu hören, doch er hatte sich getäuscht, es blieb still und stumm in diesem Bergesgrab, und endlich übermannte ihn der entsetzliche Gedanke, daß jene wohl gar, nicht wiederkommen würden. Nun schallte sein Angst rufschauerlich durch die Höhle des Berges, aber es hörte ihn niemand, es antwortete ihm niemand, da ergriff ihn ein kaltes Grausen, er kroch heraus. Lange harrte er noch vor dem Eingang, immer getheilt zwischen Furcht und Hoffnung, bis der Tag sich neigte und er allein nach Hause gehen mußte. Niemand weiß, was aus jenen Knaben geworden, keiner kehrte mehr zurück, und selbst jener Unglückliche, der dem sichern Untergang entronnen war, behielt im Gesicht eine bleiche Todtenfarbe, ward siech und elend und starb, ehe der Mond sich dreimal erneut hatte.

Quellen: