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Der Mechterstätter Hirte

Ein paar hundert Schritte vom Wege ab, den man von Mechterstätt nach Sättelstätt geht, und nicht weit von dem nunmehr verfallenen Hochgericht entspringt ein helles, klares Brünnlein, das von allen Leuten, die dort herum wohnen und Aecker haben, gekannt und getrunken wird. Vor Zeiten hütete nun einmal der Mechterstätter Hirte in der Nähe dieser Bergquelle und ging zur Mittagszeit , wie er gewohnt war, zu ihr, um sein einfaches Mahl dort zu halten, einen frischen Trunk zu thun und dann ein Stündlein lang die Hitze des Tages zu verschlafen. Als er aber zu der Quelle kam, gewahrte er einen Hügel, den er doch früher nie gesehen, und in den Hügel hinein führte ein offener Gang, der erleuchtet war und aus welchem ihm eine weiße Jungfrau entgegen kam. Ihr Gesicht war sehr bleich, schön und schmerzvoll, und traurig und bittend sah sie den Hirten an. Der wußte vor Ueberraschung und Schreck nicht, was er thun sollte und sah ängstlich umher. Da gewahrte er plötzlich über der Quelle drei schöne sonnengoldfarbige Blumen, wie er nie zuvor deren gesehen, die waren auf einem Strauche gewachsen, und der Hirte ging hin und pflückte die Blumen ab. Das kummervolle Antlitz der Jungfrau heiterte sich auf, als das geschehen war, und sie sprach ganz freundlich: Nun kannst Du mich erlősen , wenn Du hier hinein gehst, aber das Beste mußt Du ja nicht vergessen, wenn Du wieder herausgehst. Der Hirte faßte sich ein Herz, folgte der Jungfrau, die ihm voran ging und gelangte durch viele glänzende Höhlengänge und Kammern in einen großen, unterirdischen, herrlich ausgezierten und erleuchteten Raum, darin eine Fülle von Gold und Edelsteinen aufbewahrt war. In einem glänzenden Saal saßen viele Ritter und Frauen bei einem schwelgerischen Mahl, aber in der tiefsten Stille, kein Laut ward hörbar, kein leises Athmen, so daß es dem armen Hirten mächtig grausete in dem unheimlichen Kreis; er dachte an den Rückweg und beschloß, sich etwas mitzunehmen, zum Andenken und zum Wahrzeichen, daß er das alles nicht blos geträumt habe, und wie er das so dachte, gewahrte er ein Trinkhorn, das hing an der Wand unter drei gekreuzten Schwertern. Er legte flugs die Blumen aus der Hand auf einen Tisch und langte mit beiden Händen das zierlich gearbeitete Horn herunter und machte sich eilig davon, ohne an die Blumen zu denken. Aengstlich trat ihm wieder die Jungfrau entgegen und flchte: Vergiß, o vergiß das Beste nicht! Sonst muß ich unerlöst bleiben! Aber hinten braußte es dumpf und hohl, Grausen packte ihn, er stürzte vorwärts, die Jungfrau wollte ihn halten, doch wie von unsichtbarer Hand ward sie zurückgerissen, kläglich tönte ihr Jammerruf ihm nach. Der Hirte erreichte odemlos mit seinem Horn das Freie; es krachte ein lauter Schlag und verschwunden war der Hügel, verschwunden der Blumenstrauch, alles hinweg, der Hirte wußte nicht, wie ihm geschehen war, nur ein leises fernes Klagegewimmer schien aus der Erde tiefem Schoos herauf an sein lauschendes Ohr zu dringen und es war ihm bitterlich leid, die Blumen vergessen zu haben. Oft noch hörte er jene Klage, wenn er wieder seine Heerde in des Brünnleins Nähe trieb. Das Horn aber hatte er noch, und trug es auf die Wartburg zum Landgrafen, der ihm eine stattliche Verehrung dafür gab.

Quellen: