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Die verfluchte Jungfer

In dem Marienthal bei Eisenach, am Abhang des Berges, auf welchem vor Zeiten die Frauenburg gestanden hat, findet sich im Felsen eine Höhle, zu der ein schmaler Eingang über bemoostes Gestein führt. Die Höhle ist ziemlich rund, nicht allzugeräumig und geht aus ihr eine Kluft wie ein Schornstein in die Höhe, sie wird das verfluchte Jungfernloch genannt. Darüber erzählen sich die Leute diese Sage: Es war zu Eisenach eine Jungfrau von großer Schönheit, mit goldgelben Haaren geziert, und auf diese, wie überhaupt, sehr stolz und eingebildet, so daß sie nicht müde wurde, sich zu putzen und ihr Haar mit einer güldnen Bürste zu strählen und darüber alle Frömmigkeit, Gebet und Gottesdienst vergaß. Da alle Bitten und Ermahnungen ihrer frommen Mutter sie nicht davon abzubringen vermochten, so verwünschte sie in ihrem Eifer ihr Kind in diese Höhle.

Alle sieben Jahre einmal in der Mittagsstunde erscheint die so verfluchte Jungfrau; da sieht man sie sitzen in prächtigen seidnen Gewanden, von dem goldgelben Haar umwallt und dabei weinend, wehklagend und auf Erlösung harrend. Ein Fuhrmann zog einst die Straße zum gehauenen Stein, hörte oben jemand nießen und sprach: Helf Gott! Es nießte abermals und so noch neunmal hintereinander, und immer sprach treuherzig der Fuhrmann sein Helf Gott, als es aber zum zwölftenmale oben nießte, ward er unwillig, that einen Fluch und rief: Ei so Dir Gott nicht hilft, so helfe Dir ein Anderer! Da erseufzte oben die Jungfrau tief und schwand wieder in ihre Höhle, hätte der Fuhrmann nur noch das einemal Helf Gott gesagt, so wäre sie erlöst worden. Vor der Höhle ist ein Platz, darauf wächst nimmermehr Gras, darum weil sich dort die verfluchte Jungfer hinsetzt und es ist an diesem Ort niemals geheuer. Auch hört man es in der Höhle rauschen, wie ferne Wasser. Einst hütete oben auf dem Ber-ge ein Schäfer, da kam am hellen Tage den Schafen ein Schrecken an, obwohl er keinen Hund bei sich hatte, der sie gejagt hätte, daß sie ganz rasend auf dem Berg herumliefen und sich verstreuten, und vierundzwanzig davon sprangen von der höchsten Klippe herunter, daß sie theils durch den jähen Fall geborsten, theils noch im Gesträuch hängen blieben, die der Schäfer mit Lebensgefahr herunter holte.

Alte Leute wollen die verfluchte Jungfer mit ihren langen seideweichen Haaren gesehen haben, und ein rothes Hündlein neben ihr, das hat vielleicht die Schafe gejagt.

Quellen: