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Elisabeths Rosen

Es kam über das Thüringerland eine Zeit großer Hungersnoth, daß sich die armen bedürftigen Leute genöthigt sahen, sich von Kräutern, Wurzeln und wilden Früchten zu nähren, und das Fleisch von Pferden und Eseln zu essen, diese mochten geschlachtet oder gefallen sein, an Brod dazu war nicht zu denken. Viele starben Hungers, da sie nicht einmal jene Kost haben konnten. Das nahm sich die milde Elisabeth gar sehr zu Herzen, sie ließ mahlen und backen, und das Brod von der Wartburg heruntertragen, und gab in dieser Zeit so reichliche Almosen, daß man hätte meinen sollen, sie verschenke den Werth ganzer Burgen und Städte. So barmherzig war sie, daß sie Tag und Nacht nicht ruhte, die Hungrigen zu speisen, aber es fehlte wieder nicht an Leuten, die den Landgrafen gegen die Freigebigkeit seiner Gemahlin aufzubringen suchten, und er mochte ihr wohl verboten haben, allzureichliche Spenden auszutheilen. Nun traf sich's eines Tages, daß der Fürst in der Stadt war, und die fromme Herrin von der Burg herunter ging nach der Stelle, wo sich die Armen und Kranken, die in ihr die liebreichste Mutter ehrten, versammelten, um ihre Gaben in Empfang zu nehmen, welche Stelle noch bis heute Armeruh genannt wird. Ihr folgte eine ihrer liebsten Jungfrauen, und beide trugen unter ihren Mänteln Körbe voll Fleisch und Brod und Eier. Da trat ihnen plötzlich der Landgraf in den Weg und fragte: Was traget ihr? Lasset sehen! Dabei deckte er den Mantel seiner Gemahlin auf und sah – den ganzen Korb voll duftender Rosen. Sie aber war so sehr erschrocken, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte; das dauerte ihn, und er begann ihr freundlich zuzusprechen; da nahm er mit Erstaunen wahr, was er zuvor nie gesehen, daß über ihrer reinen Stirne wie ein Diademschmuck ein wunderbares Crucifix erschien. Ungehindert ließ er sie gehen, daß sie der Kranken fürder pflege und Almosen spende, nach ihrem Gefallen. Am Weg stand ein Baum, in den ein Kreuz gehauen war, der wurde später abgehauen, und zum Zeichen jenes hohen Wunders ein steinern Bild an die Stelle gesetzt, wo es sich begab, zum ewigen Gedächtniß. Und auf der Wartburg ist die fromme und heilige Elisabeth so abgebildet, wie sie damals ihrem Herrn erschien.

Dreihundert Arme speiste Elisabeth täglich in jener theuern Zeit, und als nun der Landgraf von einer Reise zurückkam, und die Amtleute und Schösser ihm klagten, daß seine Gemahlin alles verschenke, sprach er: Seid ihr deßhalb nicht gram, lasset sie Almosen geben um Gottes Willen und seid ihr selbst dazu förderlich. Wenn wir nur die Wartburg, Eisenach und die Neuenburg behalten. Gott kann uns Alles ersetzen, wenn es ihm gefällt.

Quellen: