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Elisabeths Mantel

Um Agnes, die schöne Schwägerin Elisabeths, freite ein Herzog von Oestreich, und hatte Hochzeit mit ihr auf der Wartburg. Der Landgraf stattete sie gar wohl aus, und das Haus wimmelte von Gästen. Da nun Alle in dem großen Speisesaal zu Tische gehen wollten, so ward Elisabeth vermißt, und mußten die Gäste ihrer lange harren. Außen im Mußhaus vor der Treppe hatte sie einen dürftigen Mann gesehen, fast nackend, so daß sie sich verwunderte, wie dieser Arme in seiner Blöße in die Burg und bis zu dieser Stelle gekommen, und dieser bat flehendlich um Almosen, sie antwortete, sie hätte schon Alles weggegeben, wolle ihm jedoch zu essen senden. Der Arme aber fuhr fort zu klagen, zeigte auf seine gebrechlichen und unbedeckten Glieder, bis sie von seinen Klagen so gerührt ward, daß sie ihm ihren seidnen Mantel zuwarf. Nun war es aber in jener Zeit Sitte, daß sich die Frauen und Jungfrauen in leichten Mänteln zu Tische seßten, wie sie daher endlich erschien, fragte sie der Landgraf: Schwester, wo ist Dein Mantel? Sie antwortete erschrocken und verwirrt: Herr, in meiner Kammer. Da gebot er einer ihrer Jungfrauen zu gehen und den Mantel zu holen, und wie diese in die Kleiderkammer kam, fand sie den Mantel hängen, nahm und brachte ihn. Der Arme aber war hinweg, und keiner hatte ihn gesehen. Elisabeth dankte Gott und zweifelte nicht, daß der Heiland selbst jener Arme gewesen, der ihr erschienen, wie einst dem frommen Kriegsmann St. Martinus, um ihre Mildthätigkeit zu prüfen, und habe nun ein neues Wunder an ihr gethan. Alle Gäste, zumal der Herzog mit seiner Neuvermählten überließen sich großer Fröhlichkeit, und Ludwig freute sich seiner geliebten Elisabeth. Jener Mantel war himmelblau, hie und da bestreut mit kleinen goldnen Bildchen; er war so. fein und rein, daß aus ihm ein Meßgewand gefertigt wurde, das lange nachher noch die Brüder im Barfüßer Kloster am Fuß der Wartburg auf bewahrten und heilig hielten.

Quellen: