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Die Zwerge vom Guschener Berg

Es ist nun schon lange Zeit her. Damals verbreitete in den niederen Stuben noch der Kienspan sein kümmerliches Licht, an feste Straßen und an Autos war noch lange nicht zu denken, und die Göllnitzer lebten in einer rechten Weltabgeschiedenheit.

Da fuhr an einem Abende ein Göllnitzer Bauer auf dem Waldwege heimwärts, der das Dorf mit der Stadt Finsterwalde verbindet. Diese trug damals ihren Namen mit besserem Recht als heute, denn ein dichter Kranz finsterer Wälder drang bis dicht an ihre Mauern.

Der Bauer hatte sich bei seinen Geschäften verspätet und die Dunkelheit brach herein, ehe er noch den Kallusch erreichte. Und weil nun in der damaligen Zeit an eine Wagenbeleuchtung nicht zu denken war, da es Wagenlaternen noch gar nicht gab, so war er recht in Sorge, wie er seinen Wagen durch die Sumpflöcher, die im Wege lagen, und die auch heute noch nicht ganz verschwunden sind, heil nach Hause bringen sollte. - So sitzt er in Gedanken versunken auf seinem Wagen, immer gerade aus blickend. Da sieht er auf einem mal in der Ferne ein Lichtlein schweben. Ei, denkt er, was soll das bedeuten? Wer wandert hier in so später Abendstunde mit einer Leuchte durch den Wald? Er treibt seine Pferde, an um der Erscheinung näher zu kommen. Er kann aber nichts entdecken, als allein das Licht, das etwa einen Meter über dem Boden immer vor ihm herschwankt. Wie er auch die Geschwindigkeit steigert, das Licht bleibt immer in der gleichen Entfernung vor ihm. Plötzlich weicht es vom geraden Wege ab und biegt links in einen Waldpfad hinein. Der Bauer will geradeaus weiterfahren, um bald an den heimatlichen Herd zu kommen, doch soviel er auch an der Leine zieht, die Pferde folgen dem Lichtlein, scheinen auch gar keine Müdigkeit zu spüren, als der Weg immer sandiger wird. Weiter gehts in den Wald hinein, dem Bauer treibt die Angst die Haare in die Höhe, wie das Fuhrwerk willenlos dem Lichte folgt. Plötzlich halten Licht und Pferde, und wie aus dem Boden gewachsen steht um das Fuhrwerk herum eine Schar kleiner Männlein. Ihr Anführer zieht artig sein Mützlein und beginnt also zu reden: „Lieber Mann, wir sind in großer Not, darum haben wir Euch in diese Einöde gelockt. Es soll Euch nichts geschehen, wir wollen Euch auch wieder auf den rechten Weg bringen, nur bitten wir Euch von Herzen, daß Ihr uns helft. Einem unserer Brüder ist ein schwerer Baumstamm aufs Bein gefallen. Nun liegt er in seinen Schmerzen da, und wir können ihm nicht helfen, weil unsere Kraft zu gering ist für den schweren Stamm. Euch aber wird es ein leichtes sein, den Baum fort zu wälzen.“ - Der Bauer machte die Leine fest und stieg vom Wagen. Dann folgte er den Männlein, die ihre Laternen vom Boden hoben und ihm voranschritten. Nicht weit vom Wege fand er den Verunglückten und errettete ihn alsbald aus seiner Not. Die Männlein bedankten sich vorerst für die Hilfe, ein Teil blieb bei dem Verletzten zurück, der andere Teil leitete den Bauern zu seinem Fuhrwerk. Als dieser aufgestiegen war und seine Pferde antreiben wollte, damit sie auf dem mühsamen Wege durch den tiefen Sand vorankämen, spürte er auf einmal, wie der Wagen sich hurtig und leicht vorwärtsbewegte, obwohl es bergan ging und die Pferde sonst immer nur mit Anspannung aller Kräfte das Fuhrwerk in die Höhe brachten. Heute aber schien ihnen eine geheime Kraft zur Hilfe zu kommen. Als der Bauer sich aus dem Wagen beugte, sah er, daß die Männlein in buntem Gewimmel das Gefährt umdrängten und aufwärts schoben. Als alles auf der Höhe des Berges angekommen war, bedeutete der Anführer dem Göllnitzer, noch einmal zu halten, und als sich das Knarren der Räder gelegt hatte, hub er an zu reden: „So, wie wir dir heute halfen, Menschenkind, wollen wir fortan allen Göllnitzern, die von langer, mühsamer Fahrt heimwärts kommen, behilflich sein und ihnen mit unserer vereinten schwachen Kraft ihr Gefährt den Guschener Berg hinaufschieben. Immer soll einer von uns an dem Wege Wache halten, um beim Nahen eines Wagens seine Kameraden heranzurufen, auf das wir mit unserer Tat unsere Dankbarkeit zeigen.“ - Kaum war das letzte Wort verklungen, verschwanden die kleinen Gesellen im Walde und unser Bauer sah sich allein auf der einsamen Straße. Zu Hause angekommen, erzählte er seiner Frau die seltsame Begegnung. Bald wußte es das ganze Dorf und jedes war neugierig, die Wahrheit der Geschichte zu erproben. Als nun aber immer wieder die Männer berichteten, wie ihnen auf dem Heimwege am Guschener Berge eine geheime Kraft ihr Gefährt in die Höhe getrieben habe, so daß die Pferde fast gar keine Anstrengung verspürt hätten, so war ob dieser unverhofften Erleichterung ihres beschwerlichen Lebens die Freude unter den Göllnitzern groß.

So vergingen einige Jahre. Da versuchte einmal ein Knecht hinter das Geheimnis zu kommen. Als eben sein Wagen sich mit Leichtigkeit bergan bewegte, griff er von seinem Sitz aus seitwärts in die Tiefe und erhaschte eines der helfenden Männlein. Er hob es in die Höhe, um es zu betrachten, aber in demselben Augenblick blieben Pferd und Wagen stehen und waren nicht mehr von der Stelle zu bringen, wie sehr auch der Knecht die Pferde anzutreiben suchte. Erst, als er das Männlein wieder auf den Boden setzte, vermochte er das Gefährt in Gang zu bringen. Seit dieser Zeit blieb die Hilfe der Zwerge aus und niemand hat in den folgenden Jahren mehr etwas von ihnen vernommen. So verlor sich allmählich die Erinnerung an sie und ihre einstige Hilfe.

Quelle: Robert Scharnweber & Otto Jungrichter: Sagen, Anekdoten und Schnurren aus dem Kreise Luckau N.-L., Berlin 1933