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Wie die Pest in Schmilka über die Elbe fuhr

  Mitgeteilt von Erich Rawolle nach mündlicher Überlieferung aus Reinhardtsdorf; 
  dazu M. II, Nr. 986.

Es war im Dreißigjährigen Kriege. Da saß der Fährmann von Schmilka noch spät abends in seinem Kahn und flickte Netze. Plötzlich kam jemand auf dem Anlegebrett geschritten, ein Fremder in welscher Tracht. Der Alte wunderte sich, denn er hatte im Sand keine Schritte gehört, und auch jetzt hörte man den Fremden nicht auftreten, nur das Brett schwankte. Er trat in den Kahn, sagte kein Wort, sondern zeigte nur mit dem Finger nach dem anderen Ufer.

Dem Fährmann war's etwas unheimlich zumute, aber er stakte doch los. Als der Fremde ihm einmal das Gesicht zudrehte, sah er, daß es graugelb und mager war. Gar kein Fleisch war darin und die Augen lagen in tiefen Höhlen. Er war sehr gut gekleidet, alles vom feinsten Stoff, nur daß er nichts Buntes an sich hatte wie andere Fremde. Alles war schwarz, was er trug. «Wo der wohl noch hin will, dachte der Fährmann. Weit wird er nicht mehr kommen, höchstens bis Stolzenhain

Als sie angekommen waren, warf ihm der Fremde ein Goldstück zu und sprang aus dem Kahn. Wie er über die Kiesel schritt, hörte man wieder nichts. Und auf der Wiese bog sich das Gras kaum, wo er hintrat. Plötzlich am ersten Weidenbusch war er verschwunden, nur eine graugelbe Staubwolke war noch zu sehen, die den stellen Weg hinaufschwebte.

Am nächsten Tag brach in Stolzenhain die Pest aus. Es war ein schönes, wahrhaft stolzes Dorf, das dahinten am Zschirnsteine gelegen war. In vielen anderen Orten da oben war auch die Pest ausgebrochen, aber nirgendwo wütete sie so schlimm wie in jenem allerfernsten Dorfe. Es starben mehr Leute, als man beerdigen konnte.

In allen Häusern lagen graugelbe, beulige Leichen. Zuletzt lebten nur Schulkinder noch und der Lehrer. Aber auch sie waren von dem langen, dürren Finger gezeichnet. Selbst schwach und matt, wußte der Lehrer, daß er mit den Jungen und Mädchen nicht wieder den Aufgang der Sonne erleben werde. Drum sammelte er sie um sich und sang mit ihnen ein frommes Lied. Dann schickte er sie heim. Am nächsten Morgen lebte in Stolzenhain niemand mehr.

Vor Jahren wurden die Leute in Cunnersdorf eines Nachts aus dem Schlafe geweckt. Weit hinten im Walde sang eine tiefe, volle Männerstimme im Chor heller Kinderstimmen ein frommes Lied. - Da waren wieder mal hundert Jahre vergangen, seit in Stolzenhain die letzten Bewohner von der Pest hingerafft worden waren.

In einigen Orten rings um das ausgestorbene Dorf wird noch heute zur Herbsteszeit der «Lobetanz» (s. Anm.) gefeiert, ein Lob- und Dankfest, weil man die schlimme Zeit der Pest damals glücklich überstanden hat.

Auch Reinhardtsdorf, das ursprünglich Fichtendorf geheißen haben soll, ist durch die Pest rein ausgestorben. Noch jetzt soll der Gasthof «Zu den drei Fichten» an den alten Namen erinnern.

Anm.: Die Lobetänze waren keine Lob- und Danktänze. Sie sind vielmehr in Süd- und Mitteldeutschland als «Verlobungstänze» bzw. «Mädelmärkte» nachweisbar und dienten dem Kennenlernen der heiratsfähigen Jugend. Über den Bestand des Dorfes Stolzenhain gibt es keine urkundlichen Nachweise. Es soll am Fuchsbache oberhalb von Cunnersdorf bei Königstein gelegen haben. 1548 wird ein Waldbezirk bei Cunnersdorf «Stolzenhain» genannt.

Quellen: