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Die Goldgrotte auf dem Valtenberge

  M. II, Nr. 903; 
  nach (Pilk), Der Valtenberg und seine Sagen.

Es war Karfreitag. Vom Chor der Kirche erklang die heilige Passion, als eine arme Frau, die ihr zweijähriges Knäblein auf dem Rücken trug, über den Valtenberg wanderte. Sie kam aus dem böhmischen Orte Hielgersdorf, wo sie Handelsgeschäfte erledigt hatte, und ging nach Neukirch, ihrer Heimat, zurück. Unweit des Berggipfels gewahrte sie plötzlich eine Öffnung in einem Felsen neben dem Wege. Neugierig lugte sie hinein. Der Spalt bildete den Eingang zu einer Höhle. Kein lebendes Wesen ließ sich drin bemerken. Nur die Wände glitzerten und funkelten wie buntes Feuer. Unten seitlich stand ein mächtig großes Gefäß, eine kupferne Braupfanne, gefüllt mit Goldstücken bis zum Rande. «Welch Glück!» jubelte die Frau.

Sie hatte die Goldgrotte gefunden, von der ihr in stiller Dämmerstunde einst erzählt worden war. Nun lag die Zukunft rosig vor ihren Augen. Mit einem Schlage schien sich jetzt ihre bisherige Armut in Reichtum verwandeln zu wollen. Zitternd vor Freude trat sie ein, setzte ihr Knäblein auf den Boden der Grotte nieder und raffte hastig so viel der blanken Goldstücke zusammen, als ihre Schürze nur zu fassen vermochte. Dann eilte sie hinaus und schüttete das Gold vor dem Fels aus. Noch zwei andere Male betrat sie die Höhle, jedesmal eine gleiche kostbare Last hervorschleppend. Als sie aber zum dritten Male die Grotte verließ, hörte sie hinter sich einen Donnerschlag. Sich umblickend gewahrte sie, daß sich der Fels geschlossen hatte. Vergebens suchte sie nach rechts und links, berg-auf- und bergabwärts nach einem Zugange. «Mein Kind, mein Kind will ich nur noch holen», jammerte die Mutter, «öffne dich nur noch ein einziges Mal, starrer Felsen, und gib mir meinen Liebling heraus! Kein Stück von deinem Golde will ich dann mit mir hinwegnehmen.» Doch ihr antwortete nur kaltes Schweigen. Drüben von Steinigtwolmsdorf her erklangen leise die neun Schläge der Berglocke. Schmerzbewegt sank die Frau in die Knie. Da erinnerte sie sich, daß Großmütterlein bei der Erzählung von der Goldgrotte des Valtenberges stets auch gesagt hatte:

«Bist du nicht reinen Herzens,
So bringt es dich in Not;
Wohl Schätze wirst du finden,
Doch aber auch den Tod!»

So war die Strafe für ihre Habsucht nun hereingebrochen. Der Mutter war das Söhnlein, ihr bestes Kleinod auf dieser Welt, entrissen. Wehklagend dachte die Ärmste endlich an den Heimweg. In ihrer Schürze nahm sie einen Teil des Goldes mit, das übrige verbarg sie unter Waldstreu, Geäst und Steinen. Erst gegen Abend erreichte sie ihre Wohnung. Unter lautem Schluchzen berichtete sie ihrem Manne, was sie verloren und was sie gefunden habe. Der Gatte war geblendet von dem Glanze des nie besessenen Goldes. Der Gedanke an das sorgenlose, prächtige Leben, das ihm nun bevorstand, machte ihn den Verlust des Kindes vergessen. Anders die Mutter.

Von ihren Augen wich der Schlaf. Frühzeitig weckte sie am andern Tage den Mann. Nachdem der mitgebrachte Schatz sorgfältig im Keller versteckt worden war, brach man auf, um auch das andere Gold einzuheimsen. Es lag noch am nämlichen Orte. Der Mann lud es in einen mitgebrachten Karren. Während dessen suchte die Frau mit blutendem Herzen nach dem Eingange. Er war nicht zu finden. Der Felsen blieb geschlossen. Schweigend schritt die Bekümmerte auf dem Heimwege neben dem Gatten einher. Des letztern liebreiche Worte von den Sorgen, welche oft selbst die besten Kinder den Eltern bereiten, und von den Annehmlichkeiten, die der Besitz des Geldes doch allenthalben schaffe, spendeten ihr keinen Trost.

Je näher die beiden dem Dorfe kamen, desto leichter schien der Karren zu werden. Daheim angelangt, ersahen sie mit Schrecken, daB sich nichts als welkes Laub auf dem Wäglein befand. Auch die Goldstücke im Keller waren verwandelt. Dort lag nur ein Haufen Wertloser Scherben. Wer beschreibt die Enttäuschung und den Ärger des Mannes, wer die Wehmut der Frau? Letztere erkannte ihre Schuld und suchte dieselbe durch allerlei fromme Büßungen zu sühnen. An jedem Festage pilgerte sie hinauf nach dem Valtenberge, um vielleicht doch ihr verlorenes Glück wiederzuerlangen. Und ihr Sehnen sollte gestillt werden. Am nächsten Karfreitage, ab wiederum vom Chor der Kirche die heilige Passion gesungen wurde, fand die Hoffende auch die Pforte zur Goldgrotte wieder geöffnet.

Wonnetrunken eilte sie hinein. Alles war noch wie vorm Jahre. Die goldgefüllte Braupfanne stand noch am selben Orte, und am Boden, wo sie es verlassen, saß auch ihr holdes Knäblein, unversehrt und spielend mit einer lichten Engelsgestalt, welche der Eintretenden mit einem Lilienstengel schelmisch drohte und dann verschwand. Die Mutter drückte den wiedergewonnenen Liebling an ihre Brust und stürmte mit ihm hinaus. Nicht dachte sie mehr an Gold und Wohlleben - ihr Mutterherz erfüllte die höchste Seligkeit; sie schwelgte nur in dem einen Gedanken: «Das Kind, das teure Kind ist wieder mein!» Aus dem Knaben wurde ein stattlicher und frommer Jüngling, der sich durch Fleiß und Arbeit sein Glück zu erringen suchte. Lebenslang aber erfüllte ihn eine unüberwindliche Abneigung gegen den Valtenberg. Nie begab er sich mit seinen Gefährten dorthin, und wenn ihm jemand von den Schätzen erzählte, die in dem Berge liegen sollten und die man auf geheimnisvolle Weise durch Zauberspruch heben könnte, da schüttelte er ernst den Kopf und mochte nichts davon wissen. (Vgl. Nr. 128.)

Quellen: