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Die Turmpflegerstochter zu Pirna

  Gräße, a. a. D. S. 162f. 
  Ziehnert, a. a. D. S. 166ff. 
  Mündlich.

Im Jahre 1532 ist zu Pirna von Margarethe bis Weihnachten ein großes Pestilenzsterben gewesen, darin an 1400 Personen umgekommen. An diesem Unglück ist aber die Turmpflegerstochter schuld gewesen, und ist die Sache so zugegangen. Es hat der Türmer zu Pirna ein schönes Töchterlein gehabt, die aber sehr hoffärtig und stolz auf ihr niedlich Gesicht gewesen. Da ist ein Ungar in die Stadt gekommen, der ist reich, schön und von adeliger Geburt gewesen und hat mit dem Mägdlein einen Liebeshandel angefangen. Der strenge Vater ist zwar endlich dahinter gekommen, allein er hat der Tochter nicht glauben machen können, daß der Ungar sie nicht wahrhaft liebe und ehelichen wolle, und als er endlich vor Kummer über seine ungeratene Tochter gestorben, da ist, weil die Mutter die reichen Geschenke des Ungarn gar gerne gesehen, das Mägdlein ganz umgarnt worden, hat sich dem Verführer hingegeben und wie sein ehelich Weib mit ihm gelebt. Als sie aber jener satt bekommen, da ist er plötzlich bei Nacht und Nebel verschwunden, und das Mädchen hat aus Not bald allen ihren Flitterstaat verkaufen müssen; weil sie aber an Nichtsthun und Wohlleben gewöhnt gewesen, auch einmal von allen ihren Bekannten verachtet worden, hat sie sich wieder nach andern umgesehn und aus ihrer schönen Gestalt möglichst viel Nutzen zu ziehen gesucht. Weil sie aber innerlich sich doch gehärmt, ist ihre Schönheit vergangen, und darum sind auch der Liebhaber immer weniger geworden, also daß sie oft in Not gekommen. Da ist eines Abends ihr alter Freier zurückgekehrt, der hat gethan, als wenn nichts vorgefallen, und ihr selbst ihre Untreue vergeben, ist auch des Nachts bei ihr geblieben, des Morgens aber in der Frühe ohne Abschied seines Weges gezogen, weil er eine große Reise vorgehabt, hat aber zuvor der Mutter des Mädchens einen großen Beutel voll Gold gegeben und ein verschlossenes Kästchen, das solle sie ihr geben zu seinem Angedenken. Das Mädchen hat alsobald das Kästlein geöffnet und darin ein kostbares rotes türkisches Tuch gefunden, so fein, wie sie nie dergleichen zuvor gesehen, hat auch sogleich ihren besten Putz angelegt und sich mit dem Tuche geschmückt und ist auf die Gasse gegangen, um den Leuten zu zeigen, wie sie wieder in besseren Umständen und zu Geld und Schmuck gekommen. Aber sie hat sich der schönen Sachen nicht lange freuen können, denn plötzlich ist ihr übel geworden und sie umgefallen, und nach wenigen Stunden ist die Pest, welche ihr der Ungar in dem Tüchlein aus Rache über ihre Treulosigkeit zugetragen, ausgebrochen und sie selbst zuerst daran gestorben. Weil aber die Sache ausgekommen und man gemeint, daß sie die ganze Stadt noch nachholen werde, hat man sie alsbald wieder ausgegraben und ihr das Haupt mit dem Grabscheit abstoßen lassen.

Quelle: Sagenbuch der Sächsischen Schweiz; Herausgegeben von Alfred Meiche, Leipzig 1894, Verlag von Bernhard Franke