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Die Braut auf dem Liliensteine

  Poetisch beh. v. Bachmann im Dresd. Merkur 1826, Nr. 126 u. 128.

In Schandau lebte vor alter grauer Zeit ein junger Weber, Namens Conrad Zeisig, bieder, fleißig und fromm. So regelmäßig wie er zur Beichte ging, so eifrig besuchte er nach dem Gottesdienste den Lilienstein. Als er einst dort in Andacht versunken kniete, trat ihm die liebliche Gestalt eines Fräuleins entgegen, schön von Antlitz, im Haar eine goldene Kette. Schüchtern bittet der junge Mann, den Saum ihres Kleides und endlich ihre Lilienhand küssen zu dürfen. Vor Liebe errötend drückt sie ihm die Hand und läßt ihn gewähren, selbst einen Kuß weist sie nicht zurück. Auf seine Frage, ob er die Verirrte heimgeleiten dürfe, sagt sie mit Silberglockentone: Die Schluchten kenn ich in der Runde. Ich will ein Größeres: noch größer ist dein Lohn. Du hast gebeichtet und willst das Heiligste empfangen: Bewahre mir die Hostie. Es schwellt die Brust mir gläubiges Verlangen, o, bringe mir das Mahl, das allversöhnende.„ Der erschrockene Meister soll im Abendrote zurückkommen, ein rotes Tuch unter einen Baum breiten, dort knieen, und wenn sie kommt und anbetet, ihr das Brot spenden. Doch zage nicht, wenn du Ungewohntes siehst, sonst sind wir beide verloren.“ Alles will er ihr thun, nur nicht das Heiligste schänden. Doch zwei große Thränen bewegen ihn, daß er forteilt und ihr Verlangen erfüllt. Als er zurückkommt und kniet, erscheint plötzlich ein schreckliches Wesen, halb Tier, halb Mensch; ihre Arme sind Tigerklauen, sie ist wegen Muttermordes verdammt. Der bestürzte Meister zermalmt bewußtlos das heilige Brot und will fliehen, fällt aber mit einem Aufschrei zu Boden. Da öffnet sich plötzlich die Erde, Flammen dringen hervor, und das Unbild wird verschlungen.

Zwei Stunden lag der Meister bewußtlos; als er erwachte umfing ihn Wahnsinn, und er starb später mit einem letzten Ausblick zum Liliensteine.

Quelle: Sagenbuch der Sächsischen Schweiz; Herausgegeben von Alfred Meiche, Leipzig 1894, Verlag von Bernhard Franke