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Der verwünschte Vogelsteller in den Teufelslöchern bei Jena

  Heinrich Döring

Wer über die Camsdorfer Brücke bei Jena an dem linken Saalufer hinwandert, gelangt zu den wundersam gebildeten Felsmassen, in denen mehrfache Höhlen und Schluchten zu schauen, bekannt unter dem Namen der Teufelslöcher, und weiland gescheut und gefürchtet von den Bewohnern des Dörfchens Wöllnis.

Dort wohnte in grauer Vorzeit ein Fischer, Thomas geheißen, der nie vorüberging an den Teufelslöchern, ohne ein Kreuz zu schlagen und auszurufen: „Ha, ha! „ Das merkte sich sein Vetter Kurt, ein junger Bursche, brav, aber arm und elternlos, den Thomas aus christlicher Liebe zu sich genommen. Es begab sich aber, daß Kurt einstmals nach Jena wanderte mit einem Körbchen Fische, die er dort verkaufen wollte. Als er in die Nähe der Teufelslöcher kam, rief er ebenfalls: „Ha, ha! “, vergaß aber das Kreuz zu schlagen. Da stand plötzlich ein alter Mann vor ihm, mit grauem Bart, ein Jagdgeschoß in der Hand und wie ein Waidmann gekleidet. Mit funkelnden Augen ihn anblickend, fragte er mit rauher Stimme, was er hier zu schreien und zu rufen habe und ob er etwa den Vogelsteller sehen wolle. Welchen Vogelsteller? „ entgegnete Kurt verlegen, ein paar Schritte zurücktretend. „Solltest du,“ entgegnete der Waidmann, „ nie etwas gehört haben von Einem, der sich Kauz nennt? Er hat hier seinen Vogelherd, sucht sich im Frühjahr Kräuter und Wurzeln, fängt im Sommer Fische und treibt im Herbst das edle Waidmannshandwerk. „ Kurt betheuerte, von einem solchen Manne nie etwas gehört zu haben. „Willst du ihn kennen lernen, “ fuhr der Jäger fort, so begib dich dort in seine Höhle, da wo die beiden Brünnlein rieselnd hervorbrechen durch die Felsenspalten. „ Kurt entschuldigte sich, daß er keine Zeit habe und mit seinen Fischen eilig nach Jena wandern müsse. „ So laß das Schreien, “ sprach der Waidmann, ihn mit finstern Blicken betrachtend, sonst kommt er selbst hervor. “ So sprechend schritt er den Fußpfad neben dem Felsen hinauf, während Kurt in die Stadt eilte und, nachdem er seine Fische verkauft, schnell den Heimweg antrat. Er hatte die Erscheinung des Waidmanns nicht vergessen. Sein Haar sträubte sich empor, als er in die Nähe der Teufelslöcher kam, und seine Schritte wurden immer unsicherer. Ehe er sich's versah, lag er im Schlamm der beiden Bächlein. Zugleich hörte er ein furchtbar gellendes Hohngelächter. Erschrocken raffte er sich empor, lief heim und erzählte seinem Pflegevater, was ihm begegnet. Thomas blickte bei der Erzählung düster vor sich hin und warnte ihn ernstlich vor dem bösen Vogelsteller, der den sorglosen Wanderer hineinlocke in die Teufelslöcher, aus denen noch Niemand wieder herausgekommen. „Hüte dich, Kurt,“ sprach er, und geh' ihm aus dem Wege. Offenbar ist er einer von den Götzen, die die Sorben weiland angebetet bei Ziegenhain, und die der heilige Bonifacius auf seiner Wanderung durch Thüringen in jene Felsen und Klüfte gebannt. Dort müssen sie tanzen und den jüngsten Tag erwarten. Das hat mir der Pater Liberius in Burgau oft erzählt. „

Es begab sich aber, daß Kurt einige Tage nachher mit Fischen nach der Lobedaburg gesandt ward. Da betrachtete ihn der Graf von Arnshaugk mit wohlgefälligen Blicken, ihn fragend, ob er wohl Lust habe, ihm als Knappe zu dienen. Dieser Antrag gefiel dem rüstigen Burschen, der zu dem Fischergewerbe eben keine sonderliche Lust in sich verspürte. Der Graf äußerte, er wolle darüber mit dem alten Thomas sprechen, und als dieser seine Zustimmung gab, ward Kurt aufgenommen unter die Lobedaer Knappen. Der junge Fischer erschien nun in stattlichem Wams, mit Blechhaube, Spieß und Schwert. Zugleich hatte er ein Roß erhalten von dem Grafen, den er auf den Streifzügen in der Umgegend begleitete. Der Weg führte sie einst bei den verrufenen Teufelslöchern vorüber. Da erzählte Kurt seinem Herrn das Abenteuer, das er dort bestanden, und der Graf berief sich auf manche glaubwürdige Erzählung von dem Unwesen, das der verwünschte Vogelsteller von jeher in den Teufelslöchern getrieben. Während er so sprach, hörten sie deutlich den Klang von Geigen und Flöten im Innern des Felsens, als würde dort zu einem festlichen Tanze geblasen. Laß uns eilen, “ sprach der Graf, „daß wir nicht in die Klauen des Unholds gerathen, der oft näher ist, als man glaubt!„ Kurt aber konnte die Neugierde nicht unterdrücken, das Treiben im Felsen mit anzusehen.

Es begab sich aber, daß er den Grafen einst begleitete zu dem Markt, der jährlich in Lobeda gehalten zu werden pflegte. Er hatte die Herrlichkeiten, die dort zur Schau ausgestellt waren, längst betrachtet, und sich in's Zechhaus begeben, wo gar lustig getanzt, getrunken und gelärmt ward. Erfaßt von dem allgemeinen Taumel ergreift Kurt eine rasche Dirne, sich weidlich mit ihr im Kreise umherschwenkend. Da winkte ihn ein alter unbekannter Knappe hinaus unter die Linde vor dem Zechhause, wo sie sich auf eine Bank niederließen und sich ergingen in mannigfachem Gespräch. Der Unbekannte, der sich für einen Reisigen des Schenken von Döbritschen ausgab, wußte gar viel zu erzählen von dem verwünschten Vogelsteller und behauptete zuversichtlich, er befinde sich mitten unter den Tanzenden, da er sich in mannigfachen Gestalten zu zeigen pflege. Bei solchen Gelegenheiten habe Kauz schon oft eine hübsche Dirne hinweggeführt, und nie wäre sie wieder gesehen worden. Kurt's Neugier ward immer reger, als ihm Jener vertraute, daß er selber in den Teufelslöchern gewesen. „Ich bin, “ sprach der Fremdling, „ bis an den großen Teich gekommen, mitten im Berge. Darüber habe ich mich nicht gewagt. Denn da funkelten so viele Lichter und so viele Mädchen sah ich dort singen, schlank und zierlich, wie Wachspuppen. Zu meiner Sicherheit hatte ich freilich den Krötenstein mit, den man in dem Wasser bei den Teufelslöchern findet; doch nicht zu allen Zeiten.“ Kurt wollte sich eben genauer erkundigen, was es mit diesem Stein für eine Bewandtniß habe, als der laute Ruf: „Zu Rosse, zu Rosse! „ das Gespräch unterbrach. Es waren die übrigen Knappen, die ihn aufforderten, den Grafen zu begleiten, der sich eben in den Sattel geschwungen.

„Wir sehen uns wohl ein andermal wieder! “ rief der Unbekannte, dem scheidenden Kurt die Hand drückend. Einst streifte dieser mit seiner Armbrust umher im Forst. Da sah er unweit von dem Bächlein, die Ziege geheißen, einen Mann, der beschäftigt schien, Kräuter zu sammeln. Kurt begrüßte ihn freundlich und erfuhr, daß er in Ziegenhain wohne und allerlei Wurzeln, Schwämme und Kräuter nach dem Kloster Bürgel zu tragen pflege, aus denen von den dortigen Mönchen mannigfache Arzneien bereitet würden, vielfach erprobt durch ihre wundersame Heilkraft. Auch bei den Teufelslöchern, fügte er hinzu, wachse manches schöne Kraut, mitunter freilich auch Unkraut wie überall. Das könne nur der Ziegenhainer Kräutermann unterscheiden, für den er sich ausgab. Eben im Begriff zu gehen, bückte er sich und hob einen Stein aus dem vorüberfließenden Bächlein. Wie froh wäre Mancher, wenn er dich fände! „ sprach er, den Stein aufmerksam betrachtend. Kurt äußerte seine Verwunderung. Du magst wissen, “ sprach der Fremdling, daß diesem Steine manche wundersame Kräfte verliehen sind. Dem, der ihn bei sich führt, zeigt er an, was vorgeht in den Tiefen der Erde. Mich aber kümmert das wenig; ich lobe mir, was über der Erde ist, und mein Wahlspruch bleibt: Genügsamkeit! „ So sprechend warf er den Stein wieder in den Bach, rasch von hinnen. eilend. Kurt aber griff danach und steckte ihn zu sich. Sein Pfad führte ihn nach Wöllniz, an den Teufelslöchern vorüber. Da umtönte ihn plöglich ein anmuthiger Gesang, und er erblickte hinter einem Felsenvorsprung hervortretend die holdselige Dirne, mit der er getanzt im Zechhause zu Lobeda. Sie sah ihn lächelnd an, strich sich die braunen Haare aus dem Gesicht und schlüpfte mit dem Rufe: Willkommen, mein Tanzgesell! “ in eine Schlucht, augenblicklich verschwindend.

Kurt aber, von unwiderstehlicher Neugier gefoltert, kroch durch eine schmale Oeffnung des Felsens einen schroffen Gang hinab, dessen Dunkel sich allmälig erhellte. Da bot sich ihm ein wundersamer Anblick dar. Er stand vor einem großen Teiche und mehr als zwanzig Jungfrauen, holdselig von Gestalt und stattlich gekleidet, sah er dort sitzen hinter goldenen Spindeln. Doch keine spann, alle schienen zu schlafen. Kurt stand staunend da, versunken in den Anblick. Da erscholl plötzlich ein lautes Gelächter. Von unsichtbarer Gewalt fühlte er sich fortgeschleudert und stand plötzlich wieder vor dem Eingange zu den Teufelslöchern.

„Hinweg von hier, Bursche!„ rief eine Stimme. „Was hast du hier zu thun?“ Es war sein Pflegevater, der alte Fischer Thomas. Kurt erzählte ihm, was er Alles gesehen in der Tiefe der Erde. „Aber den dort oben hast du wohl noch nicht geschaut? „ versetzte Thomas, nach einer schroffen Felsenklippe hindeutend. Dort stand eine wundersame Gestalt, mit braunrothem, schrecklichem Gesicht, gehüllt in einen Mantel von Vogelfedern, unter denen Teufelskrallen hervorgucken. Leimruthen gingen aus der Brust hervor, unter ihm, auf dem langen Barte saß eine Eule. Das ist der verwünschte Vogelsteller! “ sprach Thomas. In diesem Augenblick verschwand die Gestalt mit einem furchtbaren Kreischen. Thomas aber rieth dringend, daß Kurt nach Burgau gehen, und, um das Heil seiner Seele zu wahren, dort dem Pater Liberius beichten solle. Er fand ihn jedoch nicht daheim, und ungewiß, ob er warten, oder nach der Lobedaburg zurückkehren solle, erblickte er, in der Hausthüre stehend, die holdselige Dirne, mit der er getanzt im Zechhause zu Lobeda, und die er späterhin bei den Teufelslöchern wieder gesehen. Er fragte einen vorübergehenden Knaben, wer dieses Mädchen sei, und erhielt zur Antwort: Hufschmieds Klärchen. Da ging er auf sie zu und begrüßte sie freundlich. Sie aber hieß ihn willkommen und bat ihn, einzutreten in das Haus und vorlieb zu nehmen mit einem Kruge Milch und einem kleinen Imbiß. „Ich bin allein, „ fügte sie hinzu, meine Eltern sind nicht daheim. “ Als nun Kurt, der freundlichen Einladung folgend, in das Zimmer trat, knurrte ihn ein kohlschwarzer Kater gar unfreundlich an, die blitzenden grünen Augen nicht von ihm hinwegwendend, als das Mädchen hinausging, das Frühstück zu holen. Kurt lehnte sich in's Fenster, der Kater knurrte und murrte fort. Das Mädchen hatte indessen Speise und Trank auf den Tisch gesetzt, bat ihn Platz zu nehmen und setzte sich neben ihn, indem sie vertraulich ihren Arm um seinen Nacken schlang. Da that der Kater einen so lauten Schrei, daß Kurt heftig erschrak. „Er ist eifersüchtig! „ sprach das Mädchen lächelnd und drückte einen glühenden Kuß auf Kurt's Lippen. Er ward dadurch noch schüchterner und verlegener, als bisher, sie aber immer zärtlicher und heftiger. Da rief der Kater plötzlich mit einer menschlichen Stimme: „Fang ihn!“ Klärchen warf entrüstet ihren Pantoffel nach dem Kater, der mit dem lauten Ruf: „Halt! halt!“ zum Fenster hinaussprang. Hast du einen solchen Gespons,„ rief Kurt entrüstet, so bedarfst du meiner nicht! Leb wohl, du listige Katzenbraut! “ So sprechend, verließ er schnell das Zimmer und eilte nach der Lobedaburg, sich unterwegs heftige Vorwürfe machend, sich den Lockungen des Mädchens nicht eher entzogen zu haben. „Mit dir scherze und tanze ich nicht wieder! “ sprach er zu sich selbst.

Ein heftiges Fieber überfiel ihn, als er kaum angekommen auf der Feste. Dem herbeigerufenen Pater Liberius vertraute er, was ihm begegnet. Der aber äußerte, für seinen Vorwitz und seine unreine Begierde habe er mit Recht seine Strafe empfangen. Allgemein sei es ja bekannt, daß Clara eine Hexe und Zauberin, die schon manche Männer in ihr Garn gelockt und längst ihren Lohn dafür empfangen haben würde, wenn nicht der Graf von Käfernburg , der hier Gaurichter sei, sie bisher in seinen Schuß genommen. „Aber tröste dich, „ fügte er hinzu, mein Freund, der Abt Lukas im Kloster Bürgel wird dich mit leiblichem und geistlichem Trost in deiner gegenwärtigen Trübsal unterstützen. “ Dorthin ward Kurt geschafft. Er fand eine freundliche Aufnahme, und der Abt, dem er treulich gebeichtet, entließ den wieder Genesenen mit den Worten: „Gehe hin, mein Sohn, zu den Teufelslöchern, wirf den Krötenstein in's Wasser und sprich: Weiche von mir, du Teufelsbrut! Dann schlage ein Kreuz vor dich und neben dich zu beiden Seiten, bet ' ein Vaterunser, das Ave Maria und ziehe fort aus dieser Gegend! „

Als Kurt in die Gegend der Teufelslöcher kam, sah er am Eingange zu den Höhlen drei wunderschöne Jungfrauen sigen, mit goldenen Spindeln. Aus ihrem Munde ertönten allerlei verlockende und bethörende Liebeslieder. Singt wie ihr wollt, “ sprach Kurt, ihr zierlichen Katzenbräute! Mich bekommt ihr doch nicht in euer Garn!„ Da schlüpften die Jungfrauen, einen Blick von Sehnsucht und Verlangen auf ihn werfend, in ihre Höhlen zurück. Kurt aber wollte eben den Krötenstein ihnen nachwerfen, als plötzlich der verwünschte Vogelsteller vor ihm stand, in seiner wundersamen Gestalt, wie er sich bereits früher gezeigt.

„Furchtsamer Gesell!“ sprach er, freundlich den Erschrockenen anblickend, vertraue mir! Ich will dich führen in die Tiefe der Erde, dir dort meine Schätze zeigen und alle die schönen Damen, die mir dienen. Du kannst wieder heimgehen, wenn du willst. Doch nicht unbeschenkt werde ich dich entlassen. Denn du gefällst mir wegen deines Muthes und deiner Entschlossenheit. Verachte das Pfaffengeschwätz.„

Hebe dich hinweg von mir!“ unterbrach ihn Kurt, sich befreuzend, wie es der fromme Abt Lukas in Bürgel ihn geheißen. Der Vogelsteller zog sich murrend zurück. Noch einmal wollte er sprechen. Da warf Kurt den Krötenstein nach dem Höhleneingang von sich, der sich, während er das Vaterunser sprach, sofort verschüttete, bis auf eine Oeffnung, die noch heutzutage zu sehen.

Im Munde des Volkes erhielt sich noch lange die Sage vom verwünschten Vogelsteller, der sich dem Wanderer in mannigachen Gestalten zeige, bald als Vogelfänger, bald als Jäger, bald als Fischer, bald als Kräutermann, Schwämme und Beeren sammelnd.

Quellen: