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Von dem Eschenloche bei Welkershausen

In dem Muschelkalke des Eschenberges, wie ein Theil der Spitzberge genannt wird, die sich von Welkershausen an dem rechten Werra-Ufer thalwärts hinziehen, hat sich ziemlich oben am Plateau ein tiefer Trichter gebildet, das Eschenloch. Von ihm geht folgende Sage: Während sie drunten im Dorfe Welkershausen vor Zeiten das Sommeroder Sonnenwendfest feierten, weidete droben am Eschenberge, wo im Schatten der Eibe der Seidelbast und die Haselwurz mit der Küchenschelle, dem blauen und rothen Leberblümchen, der Judenkirsche, dem weißen Dirtam und dem blauen Enzian wie um die Wette blühen und duften, ein junger Schäfer seine Schafe. Da war's ihm, als tönte vom Eschenloch her eine gar liebliche Weise zwischen das Herdengeläute. Er spitzte die Ohren und richtig, es war so. Und bald war er auf dem Wege nach dem Loche. Wie aber erstaunte er, als er an seiner Stelle ein prächtiges Schlößchen erblickte, aus dessen Innerem ihm jene wunderbare Weise entgegen klang. Eine Weile lauschte der Schäfer nach den lieblichen Tönen; dann aber vermochte er es nicht länger über sich, er trat durch das offene Thor und befand sich bald in einem kostbaren Zimmer. Es war leer. Da lockte die Stimme ihn weiter und immer weiter, bis er in dem letzten der Gemächer sich der auf einem kostbaren Lager ruhenden Sängerin gegenüber befand. So etwas Schönes aber hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen. Die Jungfrau schien zu schlafen, oder sie wollte den staunenden Schäfer in seinem Anschauen nicht stören. Doch nun fing sie an zu reden und um die Herzensruhe des Schäfers war es geschehen; denn sie hatte ihm gesagt, daß sie ihn schon seit lange gekannt, daß seine Wiege aus einer Esche gezimmert sei, die in gar naher Beziehung zu ihr gestanden habe, und daß er, wenn er wolle und den Muth dazu habe, sie beide glücklich machen könne. Der Schäfer vermochte kein Wort herauszubringen, sondern nickte nur freudig zustimmend. Und die Jungfrau fuhr fort und bat ihn, sie am nächsten Johannistage hier wieder aufzusuchen, wo sie ihm freilich nicht in ihrer jetzigen, wahren Gestalt, sondern nur als ein abschreckendes Ungeheuer erscheinen dürfe. Er solle sich aber nur nicht fürchten, sie vielmehr in der Gestalt des Thieres dreist umarmen und auf die Stirne küssen, und dies drei Johannistage hintereinander wiederholen, denn dann erst würde sie erlöst und sie beide die Glücklichsten unter der Sonne sein. Der Schäfer war außer sich vor Freude, und als er dies Alles zu thun gelobt, verschwand mit einem furchtbaren Krachen das Schloß; er aber stand verdutzt und schaute noch eine Zeit lang in die Tiefe des Eschenlochs. Und der Schäfer hielt Wort. Am nächsten Jahannistage durchschritt er wieder die Gemächer des Schlosses. Auf der Schwelle des letzten jedoch blieb er vor Entsetzen wie gebannt einen Augenblick stehen, denn statt der herrlichen Jungfrau zischte ihm ein scheußliches Gewürm entgegen. Schon wollte er Reißaus nehmen, da fielen ihm die Worte der Jungfrau wieder bei und er faßte sich ein Herz, trat ein, packte die Schlange und küßte sie auf die Stirne. Mit einem furchtbaren Krachen war das Schloß alsbald wieder verschwunden; doch aus der Tiefe des Eschenlochs erkannte er der Jungfrau Stimme an dem „ hab' Dank! “, das sie ihm zurief. Ebenso erging es ihm am nächsten Johannistage, nur mit dem Unterschiede, daß er anstatt der Schlange ein blutgieriges Raubthier zu küssen hatte und die Jungfrau ihm ein zweimaliges hab Dank! „ nachsandte. Mit verstärktem Muthe schritt unser junger Schäfer das drittemal hinauf zum Eschenloch. Doch diesmal faßte ihn solches Entseßen vor dem gräulichen Lindwurm, der ihm feuerspeiend entgegensprang, daß er vor Bestürzung weder an die Jungfrau noch an ihre Worte dachte und Hals über Kopf aus dem Schlosse rannte. Das verzauberte Schloß sank krachend in die Tiefe, aus der jetzt der Schäfer durch das Wimmern der Jungfrau zu spät an deren Worte und sein Versprechen erinnert wurde. Seit jener Zeit aber war es aus mit dem Schäfer. Und als sie drunten im Dorfe im nächsten Jahre das Sonnenwendfest feierten, da fanden sie den Schäfer entseelt droben am Eschenloche. Um seine Schläfe war ein Kranz von blauem Enzian gewunden. Als sie ihn zu Grabe trugen, da umflatterte ein buntgefiedertes Vöglein, das gar wunderbare Weisen sang, den Sarg. Und als sie ihn auf dem Friedhofe einsenkten, entschwebte das Vöglein hinauf nach dem Eschenloche.

Quellen: