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Die heilige Klara von Kreuzburg

  Mündlich

Es war im Jahre 1343, als die Fluthen der Werra zu einer grausenerregenden Höhe stiegen und nicht nur mit schäumender Gewalt die Mauern der Stadt überragten, sondern auch in entfesselter Wuth die nächsten Häuser zerschellten und Alles, was ihrer feuchten Umarmung nicht zu entfliehen vermochte, auf ihren brausenden Wellen von hinnen führten. So waren denn auch die zagenden Nonnen des nahen Augustinerklosters von den wilden Wogen bis in die obersten Räume ihres festen Obdaches getrieben und lugten zitternd in die Gräuel der Verwüstung, die sich rings den scheuen Blicken boten. Siehe, da tanzt auf den schäumenden Wellen ein Bettlein heran, in dem zwei zarte Kinder, von den Engeln des Himmels bewacht, in süßem Schlummer ruh'n. Und nah' und immer näher trägt der Strom die Wiege, bis sie an des Klosters Mauern, wie in einem sicheren Hafen landet. Da erwachen die Kleinen und strecken weinend ihre Händchen nach der Mutter aus, die sie in Schlaf gelullt. Doch ach! die Mutterhand ist fern und die Gefahr so nah! Die Nonnen jammern, rufen, weinen; aber ihr Geschrei verhallt im brausenden Getöse der Wellen. Da ergreift die Schwester Klara eine schöne heilige Begeisterung. Mit einem frommen Blick zu Dem, „ dem Wind und Meer gehorsam sind, „ eilt sie hinab und lenkt den Kahn, den die wachsende Fluth an die Pforte getrieben, kühn in die wirbelnde Brandung.

Schon hat sie die Wiege erreicht; schon hat sie eines der Kinder in den Kahn gerettet, und schon beugt sie sich hinüber, auch das zweite, das durch Thränen ihr entgegenlächelt, an ihr Herz zu bergen. Da faßt ein Wirbel das schwankende Fahrzeug und die Arme, über Bord gelehnt, das Kindlein seinem Bettchen zu entnehmen, strauchelt und versinkt, den Säugling, den sie schnell erfaßt, in die Arme schließend,lautlos in das feuchte Grab. Der Nachen aber schwankt mit seiner Beute, wie von einem unsichtbaren Fährmann getrieben, in des Klosterhofes stillen Port. So ist die fromme, schöne Klara ihres menschlichen Gefühls und ihres hehre Christenthumes unrettbares Opfer geworden? nein! Die Heiligen wachen ob ihren Getreuen. Und Augustin, des Klosters wunderthätiger Patron, umhüllt mit einem weiten Mantel seinen Schützling und die wild empörten Wogen tragen, wie von höherer Macht besänftigt, ihre leichte Beute in die Arme der mit Freudenthränen sie begrüßenden Schwestern. Und Klara wurde fortan als eine Heilige geliebt und verehrt; noch nach langen Jahren, als sie altersmüde eingegangen in das Reich des Friedens, beteten die gläubigen Seelen vor ihrem wunderthätigen Bildniß, und erflehten, wenn der Werra wild empörte Fluth Gefahr und Unheil drohte, ihren Schutz und ihre Hilfe. Und sie versagte diesen Schutz und diese Hilfe nimmer, also daß seit jenem Jahre (1343) eine gleiche Ueberschwemmung Kreuzburgs Bürger nicht geschreckt und nicht gefährdet hat.

Quellen: