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Das versunkene Schloss

  Thuringia. 1813. S. 618

Dicht unter dem Dorfe Kleingeschwende stand in uralter Zeit ein Schloss, darin ein Fräulein wohnte, geehrt und geliebt von allen Leuten in der Umgegend. Wer das Fräulein in dem Schlosse aufsuchte, den nahm es gütig und freundlich auf und weil Niemand ungetröstet und unbegabt von dannen ging, so kam Jedermann, dem Hilfe noth war. Und obwohl sie selber so reich war, um alle Leute reich zu machen, so nahm sie doch auch die Gaben an, welche von allen Seiten Dankbarkeit und Liebe ihr darbrachten.

Aber jene schöne Zeit ist längst vorüber. Schloss und Fräulein sind tief in den Erdboden versunken, Niemand weiss zu sagen warum. Nur ein runder Hügel ist übrig, den ein breiter und tiefer Graben umgibt. Dort lässt sich das Fräulein bei Nacht noch zuweilen sehen, wenn auch nicht für alle Menschen.

Einst zog eine Bande Musikanten an dem Wallgraben vorbei; sie hatten in Reizengeschwende bis spät in die Nacht aufgespielt. Frommen Sinnes denkt der eine an das Fräulein in dem versunkenen Schlosse und bleibt zurück, während die andern fürbass ziehen. Er knieet nieder auf dem Wall und bläst zu Ehren der Versunkenen ein Lied. Noch ist er damit nicht zu Ende, da stieg vor seinen Augen aus dem Hügel das Fräulein auf, durchschritt den Graben, kam auf ihn zu und reichte ihm einen goldenen Becher mit Wein dar. Der Spielmann ergreift den Becher und trinkt ihn bis zum letzten Tropfen leer. So hatte es ihm noch nie geschmeckt. Wundersam gestärkt eilte er den Genossen nach und erzählt das Glück, das ihm zu Theil geworden war. „Wo hast du aber den goldenen Becher?“ frugen die Andern„,der war ja das Beste?“ Verwundert sah der Erzähler die Fragenden an und gestand ehrlich, dass er an das Gold bei dieser Weinspende gar nicht gedacht habe. „Desto besser für uns,„ rufen die habgierigen Genossen aus“,begnüge du dich mit dem Weine, wir wollen uns den Becher holen.“

Spottend der Thorheit ihres Kameraden kehren sie nach dem versunkenen Schlosse zurück und spielen und blasen schon von Ferne um die Wette den goldenen Becher zu gewinnen. Doch ehe sie den Rundwall noch erreichen, bricht ein wildes Thier daraus hervor, das die Spielleute zerreisst.

Quellen: