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Die Jungfrau mit dem Bart

  Prätorius Wünschelruthe S. 152 f. aus mündlicher Erzählung.
  Grimm deutsche Sagen I, Nr. 329. S. 426

Zu Saalfeld mitten im Fluss steht eine Kirche, zu welcher man durch eine Treppe von der nahgelegenen Brücke eingeht, worin aber nicht mehr gepredigt wird. An dieser Kirche ist als Beiwappen oder Zeichen der Stadt in Stein ausgehauen eine gekreuzigte Nonne, vor welcher ein Mann mit einer Geige kniet, der neben sich einen Pantoffel liegen hat.

Davon wird folgendes erzählt. Die Nonne war eine Königstochter und lebte zu Saalfeld in einem Kloster. Wegen ihrer grossen Schönheit verliebte sich ein König in sie und wollte nicht nachlassen, bis sie ihn zum Gemahl nähme. Sie blieb ihrem Gelübde treu und weigerte sich beständig, als er aber immer von neuem in sie drang und sie sich seiner nicht mehr zu erwehren wusste, bat sie endlich Gott, dass er zu ihrer Rettung die Schönheit des Leibes von ihr nähme und ihr Ungestaltheit verleihe; Gott erhörte die Bitte und von Stund an wuchs ihr ein langer, hässlicher Bart. Als der König das sah, gerieth er in Wuth und liess sie ans Kreuz schlagen.

Aber sie starb nicht gleich, sondern musste in unbeschreiblichen Schmerzen etliche Tage am Kreuz schmachten. Da kam in dieser Zeit aus sonderlichem Mitleiden ein Spielmann, der ihr die Schmerzen lindern und die Todesnoth versüssen wollte. Der hub an und spielte auf seiner Geige, so gut er vermochte, und als er nicht mehr stehen konnte vor Müdigkeit, da kniete er nieder und liess seine tröstliche Musik ohne Unterlass erschallen. Der heiligen Jungfrau gefiel das so gut, dass sie ihm zum Lohn und Angedenken einen köstlichen, mit Gold und Edelsteinen gestickten Pantoffel von dem einen Fuss herabfallen liess.

Quellen: