<<< zurück | Sagen aus Thüringen - Orts- und Volkssagen | weiter >>>

Warum die Blankenburger sonst Eselsfresser genannt worden sind

  erzählt die Chronik ihres vormaligen Stadtschreibers Ahasverus Philipp Theuring.

In Blankenburg wurde vor Zeiten die Feier des Palmsonntags also begangen. Der Pfarrer führte an diesem Sonntage die versammelte Bürgerschaft aus der Stadt an einen Brunnen unweit des sogenannten Steingrabens. Hier wurde die Vorbereitung den Einzug des Heilands nach Jerusalem vorzustellen gemacht. Man weihete den Brunnen und das auf einem hölzernen Esel sitzende Bild, besteckte es mit grünen Zweigen und verkündigte Ablass. Auch die Gemeinde wurde mit geweihtem Brunnenwasser besprengt, weshalb diese Quelle den Namen Jesusborn bekommen und bis heute behalten hat. Von Sünden gereinigt ging nun der ansehnliche Zug, welchem die Gläubigen aus der ganzen Umgegend sich angeschlossen hatten, in möglichster Stille durch Weinberge und Felder bis auf die Höhe des Oelbergs, eines Hügels am untern Thore der Stadt. Auf diesem Oelberge wurde in einer dazu errichteten Capelle Messe gelesen, dann zog man mit dem Palmesel den Berg hinab, das Volk streuete grüne Zweige, rief: Hosianna in der Höhe! Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn!„ und begleitete seinen Palmesel und hölzernen Heiland mit Jauchzen und Frohlocken zum untern Thore herein durch alle Gassen der Stadt bis zur Kirche, in welche die Versammlung einzog und den damals gewöhnlichen Gottesdienst verrichtete. Schmausereien und Trinkgelage beschlossen das Fest, das man „Eselsfresserei“ nannte, und daher mögen auch die Blankenburger den Spottnamen „Eselsfresser„ erhalten haben. Die guten Leute waren aber für ihr Fest dermassen eingenommen, dass sie sich für dasselbe sogar in einen blutigen Handel mit der Gemeinde Schwarza eingelassen haben.

Graf Heinrich von Schwarzburg, welcher mit dem Kaiser Friedrich in das gelobte Land gezogen war, hatte bei seiner Rückkehr zum Transport seines Heergeräthes und seiner Beute einen Esel aus dem gelobten Lande mitgenommen und auf seine Burg Greifenstein gebracht. Dieses Thier wurde nachmals in den herrschaftlichen Stall nach Schwarza, wovon die Gegend noch heute der Thiergarten heisst, gethan. Der Thierwärter, welcher bei dem Kaufe des Esels zugegen gewesen war und das Thier genau kannte, erzählte dieses einigen Bekannten als etwas ganz Besonderes. Seine Erzählung breitete sich unter den Leuten aus und gelangte auch zu den Ohren des damaligen Pfarrers in Schwarza, welcher sich bewogen fand den Wärter darüber weiter zu befragen und das Thier selbst in Augenschein zu nehmen. Bald hatte sich bei ihm auch die Ueberzeugung gebildet, dass dieser Esel kein gewöhnlicher Esel sei, sondern in gerader Linie von der Eselin abstamme, auf der unser Heiland seinen Einzug in Jerusalem gehalten habe, wovon das Evangelium am Palmsonntag zeuge.

Des Pfarrers Glauben theilten natürlich auch die Pfarrkinder, ja männiglich war weit und breit von dieser Ueberzeugung erfüllt und begierig ein so merkwürdiges, herrliches Thier zu sehen. Gross war der Zulauf nach dem heiligen Esel. Man brachte ihm Geschenke und legte Opfer zu seinen Füssen und der wackere Pfarrer gab den frommen Leuten reichen Segen mit nach Hause. Dabei verspürte auch das Kirchlein einigen Nutzen von dieser neuen Wallfahrt.

Während die Bewohner der ganzen Gegend das herrliche Thier bewunderten, sahen allein die Blankenburger mit scheelen Augen auf das grosse Glück des benachbarten Dorfes. Der Geistliche bestärkte den Neid seiner Beichtkinder, weil er den erheblichen Nutzen und Vortheil, welchen jener Esel der Kirche und den Leuten in Schwarza brachte, seiner Kirche und seiner Stadt zuzuwenden gedachte. Daher sprach er in seiner nächsten Predigt also zu seiner Gemeinde: „weit schicklicher ist es, meine Lieben, dass der heilige Esel, dieses köstliche Kleinod, zu uns gebracht werde, da ich ein Stadtpriester bin. Was will ein mir so weit nachstehender Dorfpfaffe einem so köstlichen und verehrungswürdigen Thiere vorstehen! Unsere Stadt ist die Residenz unseres regierenden Herrn; wir halten alljährlich einen solchen Umgang mit dem hölzernen Palmesel. Würden wir aber mit jenem lebenden Esel die heilige Prozession nicht ansehnlicher und feierlicher, den Einzug des Heilandes nicht natürlicher und erbaulicher vorstellen. Und hat unsere alte ehrwürdige Stadt nicht ein grösseres Recht zu dieser Wallfahrt als ein schlechtes Dorf? Darum lasst uns mit Eifer bemüht sein des Esels habhaft zu werden, es geschehe nun durch List oder Gewalt. Unsere St. Cyriax-Kapelle umgeben die schönsten Wiesen; dahin wollen wir ein Häuslein bauen und dem Thiere solches nebst den Wiesen zu seiner Wohnung und zu seinem Unterhalte anweisen. Ja, schaffet das heilige Thier zur Stelle und empfanget dazu meinen priesterlichen Segen.“

So redete der eifrige, für das Wohl und die Ehre der Stadt sorgsame Priester. Die Zuhörer aber gingen höchlich erbaut und voll Begeisterung aus der Kirche. In nicht geringer Aufregung befand sich fortan die Stadt. Ein wohlhabender Bürger verehrte schon jezt zum Unterhalte des noch zu gewinnenden Esels das vom Pfarrer bezeichnete Grundstück, welches noch heute einen Theil des Blankenburger Pfarrgutes bildet und die Cyriaxwiese heisst. Die Bürgerschaft suchte beim Grafen einen Befehl zu erwirken, dass das Thier von Schwarze nach Blankenburg gebracht und daselbst ernährt werde. Allein der Graf schlug das Gesuch ab. Der Pfarrer suchte aber dennoch zu seinem Esel zu kommen. Er beredete dem Grafen zum Trosse die erhitzte und glaubenseifrige Gemeinde mit Gewalt auszuführen und durchzusehen, was in Güte und mit Bitten nicht zu erreichen war. Mit Waffen aller Art ausgerüstet und mit den Panieren der Kirche und der Stadt trat die Bürgerschaft angeführt und ermuthigt von ihrem Geistlichen den Kriegszug nach Schwarza an. Dort hatten aber die Einwohner die Anschläge der Blankenburger bereits erfahren und sie stellten sich zahlreich und männlich mit Dreschflegeln, Sensen und Heugabeln entgegen, den Besitz des Esels zu behaupten. Auch ihnen sprach der Ortspfarrer Muth ein und ermunterte sie zur Tapferkeit.

Zwischen Blankenburg und Schwarza beginnt der Kampf an einem Platze, der davon den Namen Streitau erhielt. Von beiden Seiten wird mit grosser Tapferkeit und mit noch grösserer Erbitterung gefochten; hinter der Fronte schüren unermüdlich die beiden Seelenhirten den entbrannten Streit; kein Theil wankt und weicht und auf beiden Seiten fällt mancher Tapfere im Kampfe um den heiligen Esel.

Inzwischen schleichen sich einige Blankenburger listig ab, ergreifen den Esel, da dessen Wärter neugierig dem Kampfe zuschaut, und eilen mit ihrer Beute auf Abwegen unter den Bergen herauf nach der Stadt. Von dieser Eroberung heimlich benachrichtigt ziehen sich die Blankenburger vom Kampfplatze zurück; als aber die Schwarzaer den Raub erfahren, eilen sie sofort ihren Feinden bis an die Flurmarken nach, können sie aber nicht mehr erreichen, und weil es ihnen unthunlich erscheint dieselben in ihrer wohlbefestigten Stadt zu belagern, ziehen sie mit Schimpfen und Fluchen nach Schwarza zurück.

Erhitzt und von Schweiss triefend wird der Esel in seinen Stall gebracht und gegen einen Ueberfall durch eine starke Wehr gesichert; die Blankenburger sind überglücklich über den guten Ausgang der Sache, der Pfarrer segnet die Gemeinde und den Esel und fast hätte man in der Siegesfreude den ambrosianischen Lobgesang angestimmt.

Doch Freude und Glück kann nur zu schnell in Leid und Trauer übergehen. Am andern Morgen sollte eine feierliche Messe gelesen und die Wallfahrt eingeweiht werden, viele Leute aus der Stadt und Umgegend gedachten der Einweihung dieser wichtigen Wallfahrt in Andacht beizuwohnen und ihre Opfer darzubringen, aber der mit so vielen Schlägen und Blut errungene Esel war eine Leiche, hingestreckt vom blassen Tode. Die Entführung hatte ihn allzu sehr ermüdet und aufgerieben. Da wollte nun Jedermann noch eine Reliquie von diesem Wunderthiere mit nach Hause nehmen und zum ewigen Gedächtniss aufbewahren. Der Esel wurde zerstückt und ein jeder nahm, was er eben erhalten konnte. Ich will nicht behaupten, dass die Blankenburger allzu begierig danach gewesen wären und die Auswärtigen verdrängt hätten, aber etwas Absonderliches mag leicht dabei vorgekommen sein.

Noch andere Begebenheiten sollen sich in Blankenburg zeitweilig zugetragen haben, welche den Uebernamen der Blankenburger nicht leicht in Vergessenheit und Abgang kommen liessen. Doch es ist besser derselben nicht weiter zu gedenken.

Quellen: