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Der glückliche Schäfer

  Bechstein im Erfurter Gedenkbuch S. 140.

Ein Schäfer weidete seine Herde auf dem Singerberge. Eines Tages bemerkt er in den Felsenspalten eine schöne gelbe Blume, die er abbricht. Wie er nun die Blume betrachtend emporhebt, steht plötzlich ein weisses, aber wunderschönes Fräulein in geringer Entfernung vor ihm und winkt. Er folgt ihrem Winke und sie leitet ihn durch Fels und Geklüft ; mit einem Male steht er vor einem grossen prächtigen Schloss, dessen gewaltiges Thor sich aufthut. Durch Gänge, Säle und Hallen voll blitzender Wehr und Waffen wandelt die Erscheinung dem Schäfer voran. Gern wäre er still gestanden, aber rastlos weiter schreitet seine Führerin und er muss ihr folgen.

Jetzt treten beide in einen mächtig weiten und hohen Saal, in dem eine lange steinerne Tafel steht, daran sitzen viele Ritter, aber alle schlafend , und ihre Bärte sind durch die Tafel gewachsen. Wie der Hirte staunend dasteht, erhebt einer der Schlafenden sein bleiches Antlitz und fragt: „sieht man die weissen und schwarzen Vögel noch am Berg“ — „Man sieht sie noch,„ antwortet zagend der Schäfer und der Ritter seufzt: so ist die Stunde noch nicht gekommen !“ und entschlummert wieder. Weiter geht das weisse Fräulein und der Schäfer wandelt ihr nach.

Sie treten in die Ställe, darin gerüstete Pferde stehen, angeschirrt mit Sattel und Zeug, doch alle schlafend, und hinter den Ställen öffnen sich ungeheure Gewölbe voll hoch aufgeschichteter Fässer, und in das eine dieser Gewölbe schimmert ein Lichtstrahl von oben. Ueber sandige Erdhaufen schreitend bedeutet das Fräulein dem Schäfer von dieser Erde zu nehmen. Er aber denkt, was soll mir der Kies, und greift nicht zu. Darauf naht ihm die Führerin, füllt ihm eigenhändig die Taschen und spricht: das ist dein Lohn für den weiten Weg und die beantwortete Frage !„ und verschwindet. Eine Pforte schlägt dann krachend zu und er sieht sich im Freien, sieht seine Herde ruhig weiden auf besonnter Bergtrift und eilt auf diese zu. Da drückt ihn was in dem Schuh; es war von der Erde hineingefallen; er zieht und schüttelt den Schuh aus, und siehe, eitel Goldkörner fallen heraus. Rasch untersucht er den Kies in den Taschen und findet auch diese lauter Goldes voll. Froh treibt er seine Herde zum Dorfe, kauft sich ein grosses Gut, wird reich und glücklich und erzählt gern Kindern und Enkeln von der verzauberten Prinzessin im Singerberge.

Quellen: