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Das verwünschte Schloss auf dem Singerberge - Zweite Sage

  Nach einem alten Manuscript

Das feste Schloss auf dem Singerberge bewohnte ein alter Ritter mit seiner Haushälterin in stiller Abgeschiedenheit von der übrigen Welt. Man erzählte allerlei von ihm in der Umgegend, namentlich dass er viele Schätze und Reichthümer in seiner Burg aufgehäuft habe. Seine Nachbarn auf den umliegenden Burgen waren durch ihr wüstes Leben verarmt und die Räubereien, die sie verübten, schafften und brachten nur kärglichen Unterhalt. Deshalb sprachen sie gar fleissig bei dem Ritter auf dem Singerberge ein und wurden ihm durch ihre Besuche nicht wenig lästig. Zuletzt liess der alte Burgherr ihnen unverholen seinen Unmuth merken und darüber wurden ihm jene von Stund an so böse, dass sie übereinkamen, ihn gemeinsam zu überfallen, seine Schätze zu rauben und unter sich zu vertheilen. Wohlbekannt mit des Schlosses Gelegenheit drangen sie bei Nacht in dasselbe ein, brachten den Alten und sein Hofgesinde mit Ausnahme der alten Schliesserin, die ihnen Speise und Trank aus Küche und Keller herbeischaffen musste, schonungslos um und zechten und schlemmten Tag und Nacht hindurch. Einer der Räuber, der mit dem erschlagenen Ritter nahe verwandt war, gab vor, der Alte sei plötzlich gestorben und nahm als Erbe von der Burg Besitz. Geld und Gut war aber bald verthan, der Mangel stellte sich wieder ein und die saubern Gesellen kehrten zurück zu ihrem alten Gewerbe, dem Strassenraub.

Eines Tages griffen sie eine vornehme Frau mit ihren Töchtern und Zofen auf, brachten sie auf den Singerberg in das Schloss, zwangen sie an ihren wüsten Gelagen Theil zu nehmen, ja sie liessen es auch nicht an entehrenden Zumuthungen fehlen. Zum Glück für die Frauen wurden sie bald unter sich uneinig, da ein jeder die schönste Jungfrau für sich begehrte. Der Streit wurde endlich dahin geschlichtet, dass derjenige, welcher beim nächsten Raubzuge den reichsten Fang thun und die meiste Beute in die Burg bringen würde, auch die schönste als Beutelohn erhalten sollte und nach der Grösse der Beute gedachten sie die übrigen Jungfrauen ihrer Schönheit nach unter sich zu vertheilen.

Die Räuber zogen aus und legten sich hinter Gebüsch und Dickicht, aber kein Kaufmannszug erschien, kein Wagen mit Wein oder Waaren beladen, nur ein Zug Erfurter Mönche kam aus dem Kloster Paulinzelle zurück, auf einer Betfahrt begriffen, des Wegs daher. Auf diese stürzen die Wegelagerer, ziehen sie aus und nehmen einen der Mönche zur Kurzweil mit auf ihre Burg. Der Gefangene war M. Luther. Ehe sie aber mit ihm den Berg hinauf reiten, erblicken sie in der Ferne einen Wagenzug. Ohne Verzug reiten sie diesem entgegen, nachdem sie einen der Genossen bei dem gefangenen Mönche zurückgelassen haben. Weil aber dieser vor Müdigkeit und Trunkenheit auf dem Rasen bald einschläft, so entflieht Luther und eilt hinauf nach dem Schlosse, das ihm als der Räuber Nest noch nicht bekannt ist, dort Schirm und Schutz zu suchen. Oben auf der Mauer steht die gefangene Frau und ruft ihm zu: „entfliehe, du kommst zu einer Räuberburg!„ Luther kehrt um, fällt aber in die Hände der heimkehrenden Ritter und wird in die Burg gebracht. Hier stellt er sich nun ganz vergnügt, macht gute Miene zum bösen Spiel, nimmt Theil am Gelage, singt Trinklieder mit den zechenden Rittern und wartet auf Zeit und Gelegenheit, bis sie dem tiefen Schlafe verfallen sind. Dann nimmt er der alten Schliesserin, die auch schlafend da liegt, die Schlüssel ab und entkommt glücklich mit den gefangenen Frauen aus der Burg.

Aber bald erwacht einer der Ritter und entdeckt auch sofort, dass der Mönch und die Frauen entflohen sind. Sogleich ruft er die andern wach und sie setzen auf die Entflohenen auf der Landstrasse wieder einzuholen, klüglich waren diese aber auf einem andern Wege davon geeilt und hatten sich verborgen im Walde bei Paulinzelle. Die alte Schliesserin aber, der Ritter Rache und Strafe fürchtend, erhängt sich im Burgthore.

Müde und ermattet sehen endlich die Raubgesellen von ihrer vergeblichen Verfolgung ab und reiten nach ihrer Burg zurück; aber wie staunen sie, als sie dieselbe auf dem Singerberge nicht wieder finden. Luther hatte auf der Flucht das Lied gesungen: „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ und dabei das Schloss tief in die Erde hinein verwünscht in der Weise, dass Niemand dasselbe je wieder erblicken solle, als wer auf der Stelle, wo es gestanden, dieses Lied singe.

Noch waren die Keller mit ihren Weinvorräthen den Räubern geblieben. Sie thun sich also in diese ein und setzen darin zechend und schmaussend ihr gewohntes Leben weiter fort. Als aber Luther Rauch aufsteigen sieht, verflucht er den Ort noch einmal, so dass auch die Keller mit ihren Insassen in die Tiefe des Berges versinken.

Nach vielen Jahren hütete ein Schäfer auf dem Berge und spielte zufällig das oben erwähnte Lied auf der Flöte. Da sieht er plösslich eine Schlüsselblume aus der Erde empor wachsen und eine Burg aus der Erde sich erheben. Hierüber erstaunt wagt er nicht in die Burg zu treten, denn auch die alte Haushälterin hängt noch im Thore. Endlich fasst er sich ein Herz, tritt hinein und findet überall Todtenstille. Er nimmt was er eben fortbringen kann, und als er zum Thore hinausschreitet, sinken Mauern und Thürme in den Berg zurück.

Fleissig treibt der Schäfer seine Herde fürder dahin, aber die Burg zeigt sich ihm nicht wieder, bis er endlich zufällig jenes Lied wieder bläst. Nun merkt er, wie der Zauber zu lösen ist, und er tritt ein in das Schloss, steigt in die Keller hinab und findet das ganze Gelage der Zechbrüder in der nämlichen Stellung, als ob sie ässen und tränken. Erschrocken tritt er ein wenig zurück, da aber keine der Gestalten sich bewegt, wagt er sich näher und gewahrt, dass sie sämmtlich in Stein verwandelt sind. Er trank köstlichen Wein aus den Fässern und that sich nachher noch oft gütlich, entdeckte aber sein Geheimniss erst auf dem Todtenbette seinem Beichtvater.

Quellen: