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Die Wichtel oder Böhlersmännchen im Jonasthale bei Arnstadt

  Thuringia. 1842. S. 740 ff.

Vor alter Zeit lebte in Arnstadt eine arme Wittwe, die sich und ihre Kinder nur nothdürftig vom Spinnen ernährte. Einen kleinen Zuschuss zu ihrem Unterhalte gab ihr noch ein Stückchen Feld im Jonasthale, auf dem sie einen Theil von ihrem Jahrbrode bauete. Eine frohe, fröhliche Zeit war für die ganze Familie die Zeit der Ernte, Mutter und Kinder freuten sich schon lange vorher auf das Schneiden, Sammeln und Binden der reifen Früchte.

In einem Jahre war aber die Witterung sehr übel und böse geworden; es regnete fortwährend und nur wenig sonnige Tage gab es, an denen man die reife Frucht schneiden und in die Scheuern einbringen konnte. Die reichen Feldbesizer hatten die Schnitter in der Stadt und Umgegend für die ganze Erntezeit in Lohn genommen, um jede Stunde zur Arbeit benutzen zu können, die armen, kleinen Leute dagegen konnten für ihre wenigen Aecker keine arbeitsamen Leute haben. So erging es auch der armen Wittwe. Sie hatte sich schon viel Mühe gegeben einige Schnitter zu bekommen, aber immer vergeblich. In dieser Noth und Bedrängniss ging sie eines Morgens, als gerade die Sonne wieder einmal schien und es einen guten Tag geben wollte, hinaus in das Jonasthal, hoffend unterwegs vielleicht einige Leute zu finden, die ihr die nöthige Arbeit um Geld und gute Worte thun möchten. Ihr Gang war aber vergeblich und umsonst gewesen; sie stand an ihrem Acker und weinte bitterlich, dass sie die schöne, reife Frucht nicht heimbringen konnte. Mit einem Male sah sie an ihrer Seite einen von den kleinen Wichtelmännern, die seit undenklichen Zeiten im Jonasthale wohnten. Das Männlein fragte gutmüthig nach der Ursache ihres Kummers und ihrer Thränen und die arme Wittwe klagte ihm ihre Verlegenheit und grosse Sorge, dass sie im Winter mit ihren Kindern grosse Noth erleiden würde, wenn die schönen Früchte auf dem Felde verderben müssten. Das ging dem Wichtel sehr zu Herzen und er versprach der Frau Hilfe zu schaffen, sie möge nur einstweilen heimgehen und für einen Wagen zum Einfahren der Frucht sorgen.

Erfreut über solche Zusage und im voraus dankend für den versprochenen Beistand eilt die Wittwe fröhlich nach der Stadt einen Wagen zu holen. Unterwegs schaut sie von einer Anhöhe auf ihren Acker und traut kaum ihren Augen, als sie ein rastloses Gewimmel unzählicher Wichtelmänner erblickt, alle beschäftigt den reichen Erntesegen zu schneiden, zu sammeln und in Garben zu binden. Der schönste Sonnenschein begünstigt die Arbeit und so war dieselbe auf dem ganzen Acker in kurzer Zeit gethan.

Die Wittwe hatte in ihrer Freude die Stadt bald erreicht, ging da zu einem guten Freunde ihres seligen Mannes und bat ihn beweglich um seinen Wagen auf einen Nachmittag. Derselbe liess sogleich anspannen und die Frau holte noch ihre beiden ältesten Kinder und fuhr mit ihnen auf dem Erntewagen so schnell als möglich dem Jonasthale zu. Dort fanden sie auf ihrem Acker alles zum Aufladen und Einfahren bereit, nicht eine Aehre lag noch auf den Stoppeln umher und die Kinder waren ihrer gewöhnlichen Beschäftigung die Aehren sorglich zu sammeln für diesmal ganz überhoben.

Gern hätte die Wittwe den guten Wichteln ihren Dank gesagt, aber sie spähte vergebens nach ihrer Wohnung; sie sah nur eine kleine Höhle am südlichen Abhang des Sonnenbergs und in der Meinung, dass darin die Wichtelmänner wohnen möchten, rief sie wiederholt ihren Dank hinein, erhielt aber keine Antwort. Man nennt dort in der Gegend die Höhle das Böhlersloch und die darin wohnenden Gezwerge die Böhlersmännchen.

Quellen: