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Der Freischützenschuss am Waldthore in Ordruf

  Thuringia. Zeitschr. zur Kunde des Vaterlandes. Arnstadt 1841. S. 231.

In den Zeiten des dreissigjährigen Krieges lebte in Ordruf ein Jüngling, der in dem Verdachte stand ein grosses, schweres Verbrechen begangen zu haben. Er wurde daher angeklagt und in ein Gefängniss gebracht. Da nun kein Mittel ihn zum Geständnis einer That bringen konnte, die er nicht begangen hatte, er aber auch die Richter nicht von seiner Unschuld überzeugen konnte, so meinten diese endlich die Tortur anwenden zu müssen, um das verstockte Herz des Sünders zur Reue und zum Bekenntniss zu bewegen. Und so musste der Angeklagte in dem Thurme auf dem Kohlthor, wo die Tortur damals gehandhabt wurde, schmerzliche Pein und Qual erdulden. Anfangs hatte der Jüngling Kraft und Stärke genug, die furchtbaren Schmerzen zu ertragen, aber mit der Zeit schwand seine Kraft und er sprach zuletzt das unwahre Geständniss aus, dass er schuldig sei und das Verbrechen gethan habe.

An einem frühen Morgen zogen viele Einwohner der Stadt und viele Fremde aus der Umgegend vor das Waldthor, wo in jener Zeit die Gerichtsstätte war, und bildeten dort einen grossen Kreis. Ein Geistlicher in seinem Ornate, der Rath der Stadt Ordruf, sitzend auf den Richterstühlen, der Scharfrichter mit dem Schwerte in der Hand und ein Sünder im Sterbekleide standen in diesem Kreise. Als der Geistliche mit dem Sünder gebetet hatte, der zu Gott noch still um Rettung bat, und das Todesurtheil ausgesprochen war und der Stab eben gebrochen werden sollte, da kam ein Reiter im purpurrothen Mantel von dem Markte her durch die Waldgasse und durchs Thor herangesprengt und rief: Gnade! Gnade! Er drang ein in den Kreis und sprach den Verurtheilten vor den Richtern frei. Alle Umstehenden waren höchst erstaunt und auch die Richter wussten nicht, was sie dazu sagen sollten. Der Reiter betheuerte nochmals feierlich, dass der Jüngling unschuldig sei und zum Zeichen dessen, fügte er hinzu, wolle er hier in einen Stein schiessen und dadurch den Schuldigen tödten. Er ritt alsbald aus dem Kreise hin an die westliche Seite des Waldthores und schrieb auf den ersten Sandstein, mit welchem die Wölbung des Thores anfängt, einige geheimnissvolle Zeichen und schoss dann sein Gewehr gegen den Stein ab. Drei Blutstropfen entquollen sofort der Stelle, welche die Kugel getroffen, und gruben sich unverzüglich in den Stein. Darauf verschwand der Reiter auf demselben Wege eben so schnell, wie er gekommen war.

An dem nämlichen Tage und zu derselben Stunde, als dieses vor der Stadt Ordruf am Waldthore geschah, lag vor dem Dorfe Mühlberg an dem Wege, der nach Ordruf führt, ein Mensch schwimmend im Blute und in seinen letzten Zuckungen. Er hatte einen Schuss mitten in das Herz erhalten, aber kein Gewehr lag neben ihm, auch kein Flüchtling war zu sehen, der den Schuss hätte gethan haben können, ja man hatte nicht einmal einen Schuss im nahen Dorfe gehört. Der Erschossene war ein Bürger aus Ordruf.

Die drei rothen blutfarbenen Flecken am Waldthore zu Ordruf wurden von den Bürgern der Stadt der Freischüssenschuss genannt. Im Jahre 1833 wurde zur Erweiterung der Strasse und zur Verschönerung der Stadt das Thor abgebrochen und jener Stein zu einem andern Zwecke verwendet. So ist der Freischützenschuss verloren gegangen, aber die Sage davon lebt noch im Munde des Volks.

Quellen: