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Von der verfluchten Jungfer bei Eisenach

  Limberg das lebende und schwebende Eisenach. Anhang S. 22.
  Volkssagen. Eis. 1795. II, 175.

Wenn man in Eisenach zum Frauenthore hinausgeht in das schöne Marienthal, gewahrt man etwa eine Viertelstunde Wegs von der Stadt rechts an einem jähen Felsenabhange eine Höhle mit einem schmalen Eingange. Diese Höhle ist rund, nicht eben gross und in die Höhe geht eine Kluft, durch die man hinauf sehen kann, wie durch einen Schornstein. Sie wird das verfluchte Jungfernloch genannt und die Leute erzählen davon allerlei Sagen.

Einst lebte in Eisenach eine schöne Jungfrau mit goldgelben Haaren, die war sehr eitel und putzte sich alle Tage herrlich, besonders aber verwendete sie viel Zeit darauf, ihre Haare zu strählen und in schöne Zöpfe zu flechten. Bei dieser Putzsucht vergass sie alle Uebungen der Frömmigkeit, Gebet und Gottesdienst, und weil alle Bitten, Ermahnungen und Scheltworte ihrer Mutter nichts dagegen fruchteten und sie fort und fort in Eitelkeit, Stolz und Hoffart verharrte, verwünschte sie die Mutter in ihrem frommen Eifer in jene Höhle. Dahin ist sie nun gebannt, aber alle sieben Jahre erscheint sie einmal in der Mittagsstunde. Sie sitzt dann vor der Höhle in prächtiger seidener Kleidung und strählt weinend mit einem goldenen Kamme ihre schönen Haare und wartet auf ihre Erlösung.

In frühern Jahren haben viele Leute in Eisenach diese verfluchte Jungfer in ihrem Schmuck und mit langen herabhängenden Haaren vor der Höhle gesehen und neben ihr auch ein rothes Hündlein, das hin und her lauft.

Auf dem Platze vor der Höhle, worauf die Jungfer sitzt, wächst kein Gras und kein Strauch, in der Höhle aber rauscht und braust es oft wie ferne Wasserbäche. Ein Fuhrmann zog einmal die Strasse vorüber und hörte Jemand niessen. „Gott helf!„ sprach der Fuhrmann, und als er abermals und dann noch neunmal niessen hörte, sprach er jedesmal treuherzig „Gott helf!“ Als es aber zum zwölften Male niesste, wurde er schier unwillig, that einen Fluch und rief: nun wenn dir Gott nicht helfen will, so helfe dir ein Anderer.„ Da seufzte die Jungfrau tief auf und verschwand in ihre Höhle. Hätte der Fuhrmann noch einmal Gott helf! gesagt, so wäre die Jungfrau erlöst gewesen.

In der Nähe derselben Höhle weidete auch ein Schäfer seine Herde. Seine Frau bringt ihm zur Mittagszeit das Essen hinaus, da tritt ihr die verfluchte Jungfrau entgegen, reicht ihr eine goldene Bürste hin mit der Bitte, ihr damit das Haar zu strählen und verspricht zugleich eine reiche Belohnung. Die Hirtenfrau erfüllt die Bitte und nachdem sie der Jungfer die Haare gestrählt hat, wird sie von derselben in die Höhle geführt, dabei auch ermahnt, ja keinen Laut von sich zu geben und in der Höhle reichlich mit Gold beschenkt. Beim Hinausgehen erblickt sie am Ausgange einen grossen schwarzen Hund, darüber geräth sie in einen grossen Schrecken, schreit laut auf und lässt ihren Schatz zu Boden fallen, der auch sogleich verschwunden ist.

Eine arme Frau von Eisenach geht nicht weit von dem verfluchten Jungfernloche in den Wald Holz zu lesen und nimmt ihr kleines Kind mit sich, das lustig im Walde unter den grünen Bäumen spielt. Bald sieht es ein kleines Vöglein allgemach vor sich her hüpfen, dem lauft das Kind nach und will es fangen. Dieses Spiel treibt es so lange an, bis es die Mutter ganz verloren hat und von dem Vöglein weit weg in einen Busch gelockt worden war. Alles Rufen und Suchen der Mutter war vergebens. Erst nach acht Tagen fand ein Hirte das Kind an einer Felswand von Gebüsch und Gestrüpp umstrikt und gefangen. Der Hirt bringt das Kind der Mutter zurück und als diese fragt: „woher hast du Essen und Trinken bekommen?“ antwortet das Kind: „eine schöne Jungfrau hat mir zu essen und zu trinken gegeben und mich des Nachts warm zugedeckt.“

Quellen: