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Das Lindigsfräulein

  Heusinger Sagen aus dem Werrathale. S. 22.
  Mündlich.

Schon seit Jahrhunderten wandert alle sieben Jahre im grauen Büssergewand, mit aufgelöstem Haar, ein mächtiges Schlüsselbund am Gürtel, das Lindigsfräulein in der Gerstunger Flur, zum Schrecken aller derer, welche sie sehen oder das Rasseln ihres Schlüsselbundes hören.

Doch nur einmal alle sieben Jahre macht sie diese Wanderung, das eine Mal in der Richtung zwischen der Brandenburg und Gerstungen, in der Nähe der ehemaligen Lindigsburg, das nächste Mal aber zwischen Gerstungen und dem Wege nach dem ehemaligen Kloster im Kolbacher Thale. Sie muss so lange wandern, bis sich jemand findet, der sie auf seinem Rücken entweder zu den Kellergewölben vom Lindigsschlosse oder nach dem Klosterplage trägt. Sie wird aber wohl noch lange wandern müssen, wenn sich nicht einmal unter denen, die ihr begegnen und sie auf ihrem Rücken tragen müssen, einer findet, der durch glücklichen Zufall geleitet den rechten Weg einschlägt. Denn sie selbst darf keine Anweisung geben, welchen Weg der Träger gehen soll. Nun aber haben bisher alle in ihrem Schrecken und in der Eile statt vorwärts den Weg rückwärts nach Gerstungen genommen, um der schweren Bürde bald wieder ledig zu werden, was nur in der Nähe bewohnter Orte möglich ist. Erst dann, wenn sie an den rechten Ort getragen worden ist, darf das Lindigsfräulein reden und Rath ertheilen, wie mit ihrem Schlüsselbunde die Thüren und Behälter zu öffnen sind, in denen unermessliche Schätze und Kostbarkeiten aufgehäuft sind.

Quellen: