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Krabat

Es war vor langer, langer Zeit, damals vor 300 Jahren, gleich nach dem großen Kriege, der dreissig Jahre lang im Lande hauste und so viel Dörfer, Städte und Menschen fraß. Soldaten und Räuber hatten Städte und Dörfer und Gehöfte in Schutt und Asche gelegt. Wo sie die Menschen nicht erschlagen hatten, hatten sie ihnen Hab und Gut genommen. Alles Volk war ins graue Elend geraten und war arm wie der ärmste Habenichts. Freilich, allen Leuten ging es nicht so schlecht. Die Junker taten sich damals eher noch mehr gütlich als vordem. Während des Krieges hatten sie sich als Offiziere viel fremdes Gut erplündert.

Und alle die Kurfürsten, Fürsten, Herzöge, Grafen - die ganze adlige Sippschaft hatte nur noch eins im Sinn: in Saus und Braus zu prassen, glänzende Feste zu feiern und dabei ihre Untertanen, die armen Hörigen, auszubeuten und zu beuteln, zu schlagen und zu schinden und sie so zu quälen, daß es einen Stein erbarmen konnte. Am schlimmsten war es wohl damals im Sorbenlande. Hier würgten ärgste Not und graues Elend das Bauernvolk. Sich freuen und Feste feiern, das war Herrenrecht, der Bauer durfte nur die Zeche bezahlen, mußte fronen und Tag um Tag im Joche stehen. Von den Kanzeln herab ermahnten die Priester das gemarterte Volk, geduldig und demütig sein Kreuz zu tragen und auf das himmlische Heil zu hoffen.

Die meisten Gläubigen verstanden wohl kaum die Worte des Seelenhirten, der nicht in ihrer Muttersprache zu ihnen redete. Darum war es kein Wunder, daß sie manchmal lieber nach dem alten Sprichwort handelten, daß nämlich der Bauer der jungen Eiche und dem jungen Junker beizeiten das Köpfchen stutzen sollte, und daß sie also Sense, Forke und Dreschflegel zur Hand nahmen, um dem größten Unrecht Einhalt zu gebieten. Sicher, viel half es ihnen nicht, die Junker obsiegten bald, und die geschlagenen Habenichtse hatten härter zu fronen als bislang. Und sie sehnten sich danach, daß die schlafenden Helden im Berg Kaponiza erwachen und Land und Volk befreien würden. Und in ihren Märchen erzählten sie sich, da eines Tages mitten aus dem Volke einer erstehen werde, ein mächtiger Held von großer Kraft und Macht, ein Zauberer gar, der die geheimen Mächte kennt, der Formeln weiß und Worte und all die weisen Wissenschaften beherrscht und der also mächtiger sein wird als die Zwingherren auf den Schlössern.

Die Ärmsten unter dem armen sorbischen Bauernvolke waren die Hirten. Und so ein armer Hirt lebte damals in dem Dorfe Eutrich am Rande der sorbischen Heide. Er hatte ein kärgliches Brot und mußte besonders im Winter oft am Hungertuche nagen und seinen Gürtel gar eng schnallen. Und dieser Hirte aus Eutrich hatte einen Jungen; es war nicht sein eigener, sondern ein Stiefsohn, den man Krabat nannte. Natürlich mußte Krabat schon sehr jung Brot und alles Lebensnotwendige selbst verdienen, er durfte nicht auf der faulen Haut liegen, sondern hatte die Gänse der Bauern zu hüten, damit er frühzeitig das Hirtenwerk erlerne.

Im Frühling und im Sommer war das Gänsehüten gar kein so übel Ding. Was war da nicht alles zu sehen und zu hören! Der junge Krabat konnte sich gar nicht satt sehen an allem, was es da zu schauen gab, und allzugern wollte er noch mehr sehen, erkennen und wissen.

Ja, der junge Krabat hätte so gern gelernt, gern und viel gelernt, aber Schulen durften nur Söhnchen und Töchterchen vornehmer und reicher Leute, der Junker und der Stadtherren, besuchen. Und diese Junker und Reichen meinten, es wäre besser, wenn die Habenichtse weiter dumm blieben; denn so konnten sie diese besser ausbeuten. Und also zog der kleine Krabat mit seinem Vater von Walpurgis bis Simon und Judä auf die Weide. Manchmal mußten sie noch länger bleiben, bis nämlich der Frost zu beißen begann und grimme Kälte sie in das Hirtenhaus trieb. Der Winter ist kein Freund der Armen: er brachte auch in die Hirtenhütte Hunger und Not. Krabats Mutter wußte oft nicht, woher sie Mehl und Hirse für Brei und Suppe nehmen sollte. Dann blieb nichts anderes übrig: der junge Krabat mußte sich aufmachen, um betteln zu gehen. Das Betteln gefiel dem Jungen nicht. Aber was half es - ein hungriger Bauch hat keine Ohren!

Also zog der junge Krabat oft bettelnd durch das Land. Dabei geschah es einst, daß seine Beine ihn in die große, dunkle Heide, die sich zwischen Hoyerswerda, Senftenberg und Bernsdorf erstreckte, hineintrugen. Die Heide war voller fauliger, träger Gräben und schwarzer Wasserlöcher und Waldsümpfe und anderer dunkler und gespenstischer Winkel, wo im schwarzen Wasser der heimtückische Wassermann lauert, in der Dämmerung die wilden Waldfrauen umherstreifen und nachts die Irrlichter flirren.

Manch ein Junge hätte sich gefürchtet, in diese gefährliche Gegend einzudringen, aber Krabat war kein Fürchtenich, und er war nicht bange, Gespenstern in die Augen zu schauen. Zu gern wollte er wissen, was sich hinter der großen, wilden und sumpfigen Heide verbarg.

Nun dort verbarg sich hinter drei Hügeln das uralte Dorf Schwarzkollm. Und nahe dem Dorf klapperte dort am Bach eine einsame Heidemühle. Das war aber keine gewöhnliche Mühle. Das kann man schon daraus sehen, daß sie „Teufelsmühle„ genannt wurde. Der Müller war nämlich ein böser und schlechter Mensch, der den Leuten immerfort nur Schaden zufügte. Weniger zwar darin, daß er die Mahlgäste um ihr Mehl betrog das machen ja auch andere habgierige und gewissenlose Müller, nein, er war darüber hinaus ein wilder Hexenmeister und böser Zauberer, der mit dem Bösen selbst im Bunde stand. Er war ein Zauberer im großen, der sich mit dem Bösen verbündet und befreundet hatte, damit er Geld, recht viel Geld fände und dazu noch Gold und Schätze und andere Reichtümer, die er scheffelte und häufte wie ein Hamster Weizen. Er glaubte nämlich, daß man mit Geld alles gewinnen könne, vor allem aber Macht, und nach Macht gierte er ganz besonders.

Der Schwarze Müller hatte auch zwölf Müllergesellen, aber es muß gesagt sein, daß es eigentlich nicht nur Müllergesellen waren, weil sie neben diesem Handwerk noch ein anderes hatten erlernen müssen, nämlich die Zauberei. Ja, die ganze Kollmer „Teufelsmühle« war nichts anderes als eine sogenannte Schwarze Schule! Allerdings lehrte der Müller seine Gesellen nur so viel, daß sie ihm gerade helfen konnten. Es tat auch gar nicht gut, wenn einer zu fleißig lernte und zu viel erkannte, weil sich das schlecht bezahlt machte. So ein Geselle Alleswisser blieb nie lange am Leben. Es geschah nämlich, daß alljährlich einer der Gesellen verschwand, und zwar jeweils der beste. Er ertrank im Mühlgraben, oder das Mühlrad erfaßte ihn, er geriet in das Getriebe oder fiel sich unter einem schweren Sack zu Tode. Die Leute aber munkelten, daß der Schwarze Müller auf diese Weise dem Bösen, seinem Herrn, Lehn und Lohn für dessen Dienste zahlte.

In diese unheimliche Mühle verlief sich auch der junge Krabat. Dem Müller-Zauberer schien der fremde Betteljunge, der so neugierig in den Mahlraum starrte, ein kluger Bursche zu sein. Und weil eben gerade wieder einmal der zwölfte Geselle ein trauriges Ende gefunden hatte, nahm sich der Müller vor, das geweckte Kerlchen als neuen Lehrling einzufangen.

Nun, das gelang ihm leichter, als er gedacht hatte. Wenn einer gern will, braucht man ihm nur mit dem kleinen Finger zu winken! Und etwas lernen, das hielt ja der junge Krabat gerade für eine bessere Beschäftigung, als Gänse und Gänsel zu hüten und dorfauf, dorfab den Backofenzehnten einzutreiben. Und mit all diesem seltsam klappernden Gerät mit Mühlrad und -stein und -beuten ordnend umzugehen, das schien ihm ein gut Ding! Und als der Müller tückisch lachend hinzufügte: „Außer dem Müllerhandwerk kannst du bei mir noch manches andere Nützliche erlernen“, schlug Krabat gern ein.

So wurde der junge Krabat Gesell in der Mühle, wo er gemeinsam mit seinen elf Genossen fronen mußte, daß ihm fast das Kreuz brach, weil der grausame Müller ihnen kaum Zeit zum Aufatmen gönnte. Krabat allerdings gefiel seine neue Arbeit gut, weil er sich gern rührte; und weil er sich immer bis unter den Gaumen satt essen konnte, erschien ihm dieses Leben anfänglich gar nicht übel.

Der Schwarze Müller hatte nicht umsonst angedeutet, daß man bei ihm auch anderes als das Müllerhandwerk erlernen konnte. So wurde es auch bald offenbar, daß er mehr vermochte als Brotessen, und er begann den jungen Krabat in allerhand Beschwörungen, Formeln und Hexereien einzuweihen.

Nun, Krabat gefiel dieses zweite Handwerk zu Beginn nicht übel. Er war ja von Kindheit an wißbegierig gewesen und hatte alles kennenlernen wollen, und deshalb schien ihm das Zaubern eine kurzweilige Beschäftigung zu sein. Weil er gut auffaßte, wollte er schon bald mehr kennen und können als das, was ihnen der Meister beibrachte. Krabat meinte, daß sich noch sehr viel wunderbare Zaubereien und Weisheiten im „Koraktor“ verbargen, in jenem uralten Buche mit schwarzen Seiten und weißer Schrift, in welches der Müller keinen auch nur hineinblicken ließ.

So verging Monat um Monat, es wurde Frühling, Sommer und Herbst, und Krabat hatte alles erlernt, was der Schwarze Müller ihn lehren konnte oder wollte. Krabat hatte in der Zauberei alle seine Gefährten überholt und war der geschickteste unter ihnen. Nun aber begann er immer öfter darüber nachzudenken, was ihm die anderen erzählt hatten: daß nämlich zu Ende des Jahres immer einer von ihnen elendiglich umkomme. Als er das bedachte, wurde ihm doch angst und bange, und er hätte viel dafür gegeben, wenn er recht weit weg von dieser bösen Mühle sein könnte. Gern wäre er seinem schlechten Wirt entflohen, aber er wußte nur zu gut, daß der die Macht hatte, ihn hier zu halten, und daß er ihn im guten nicht laufen ließ. Nur mit List und Schlauheit könnte man ihn vielleicht hinters Licht führen und sich retten.

Und Krabat hatte sich schon etwas ausgedacht. Er bat den Meister, ihn auf einen oder zwei Tage nach Hause gehen zu lassen, damit er seine Elters besuche, die er schon so lange nicht gesehen hätte und die ja gar nichts von ihm wüßten.

Das Wunder geschah: der Müller erlaubte es!

Das war Eitel Freude und Jubel 's der Hirtenhütte in Eutrich, als der schon verloren geglaubte Sohn plötzlich heimkehrte. Aber die Freude vorging Vater und Mutter bald, als sie erfuhren in welch schlimme Falle der junge Krabat geraten war. Doch Krabat selbst ließ nicht den Kopf hängen, sondern erklärte ihren seinen Plan, wie er den Zauberer zwingen wollte, ihn freizulassen.

Und nun erzählte er der Mutter, sie müsse sich nach der Zaubermühle aufmachen und vom bösen Müller ihren Sohn ausbitten. Der Zauberer werde sie in ein finsteres Gelaß führen, worin alle Gesellen, in schwarze Krähen verzaubert, auf einer Stange sitzen werden. Dann werde der Müller die Mutter auf. fordern, unter den Krähen ihren Sohn herauszufinden. Wenn sie ihn fände, müßte der Zauberer ihn auf der Stelle freigeben; denn nichts vermag ein Zauberer gegen die Liebe einer Mutter. Es würde ihr auch gar nicht schwerfallen, richtig zu raten, denn er, Krabat, würde sich unter dem linken Flügel putzen.

Die Mutter freute sich sehr, und nach einigen Tagen begab sie sich um des Sohnes willen nach der Mühle, wo alles so verlief, wie es Krabat der Mutter geraten und erklärt hatte. Krabat zog frohgemut mit der Mutter nach Hause. Und mit nach Hause nahm er das Zauberbuch Koraktor, das er seinem Meister heimlich entwendet hatte.

In der Hirtenhütte in Eutrich hatte sich kaum etwas verändert. Hunger und Not machten sich dort breit wie eh und je. Aber jetzt war Krabat nicht mehr gewillt, alles geduldig hinzunehmen. Er hatte ja in der Kollmer Mühle manches gelernt, und was ihr der Schwarze Müller nicht gelehrt hatte, hatte er selber aus dem Zauberbuch, das er seinem Meister entwendet hatte, herausstudiert. Deswegen hatte er nun die Macht, sich und den Seinen zu helfen. Und der kluge Krabat sprach zu seinem Vater: „Hört zu, Vater, mir gefällt dieses nicht! Andere fressen sich einen Wanst an, und wir sollen immer am Hungertuche nagen! Wißt ihr was, Vater? Ich verwandle mich in einen fetten Mastochsen, dann könnt ihr mich für gutes Geld den Wittichenauer oder Kamenzer Viehhändlern, den verfluchten Beutelabschneidern, verkaufen. Nun, erschreckt nicht! Ich lasse mich weder schlachten, noch will ich ewig ein Ochse bleiben. Ich werde denen schon wieder entkommen und kehre als euer Sohn Krabat zu euch zurück. Eines ist dazu aber notwendig, nämlich daß ihr die Kopfkette nicht mit verkauft, sonst vermöchte ich mich nicht in einen Menschen zurückzuverwandeln.«

Der Vater entsetzte sich vor solchen vermessenen Worten, und auch, als er sich um einiges beruhigt hatte, wollte er nichts von dieser Sache wissen, war er doch ein braver und demütiger Mensch, einer von jenen Hörigen, die sich immer als Fußabstreicher von den Herren behandeln ließen und nie auf den Gedanken kamen, sich etwa selbst zu helfen. Zwar waren diese Viehhändler rechte Halunken, richtige Ausbeuter und Blutegel, die die armen Bauern betrogen und ihnen das Hemd vom Leibe zogen, wann immer sie konnten, so daß ihnen von ihren Betrügereien dicke Wänste gewachsen waren. Aber diesen Betrügern und Halunken einen Teil ihres unredlich erworbenen Gutes zu nehmen - nein, daran wagte Krabats Vater nicht einmal zu denken…

Nun - der alte Hirte hatte gar keine Zeit, sich die Sache Gründlich durch den Kopf gehen zu lassen, weil nämlich Krabat plötzlich verschwand und vor dem Fenster ein Mastochse zu brüllen begann, ein wahrer gehörnter Berg von einem Ochsen, so wie der Hirt zeitlebens noch keinen gesehen hatte.

Der Hirte erfaßte schnell, dass sich in der Ochsenhaut sein Stiefsohn verbarg, er zögerte noch ein Weilchen, aber dann folgte er dem fordernden Brüllen des Ochsen, seufzte auf und nahm die Kopfkette in die Hand, um den Ochsen, der Krabat war, auf den Viehmarkt nach Wittichenau zu führen.

Der ungewöhnlich fette Ochse erregte auf dem Viehmarkt kein geringes Aufsehen. Händler aus Wittichenau und Kamenz liefen vor diesem gemästeten Riesen zusammen und rissen sich um ihn. Schließlich stach ein fetter Kamenzer alle aus und kaufte den Ochsen, indem er viele harte Taler für ihn aufs Brett zählte. Krabats Vater schob das Geld in den Beutel, nahm die Kopfkette an sich und eilte nach Hause.

Auch der Kamenzer Viehhändler machte sich auf den Heimweg. Er freute sich, daß es ihm wieder einmal gelungen war, einen sorbischen Dorftölpel über den Löffel zu balbieren, und rechnete sich aus, wieviel er wohl in Kamenz für den fetten Ochsen erhandeln würde. Inzwischen war er nach Milstrich gekommen, wo ihn die Schenke am Wege mächtig anzog. „Auf diesen guten Kauf kann ich mir schon ein Gläschen erlauben„, sagte er sich und trat ein, und weil er in der Schenke einige seiner Kumpane antraf, fingen sie bald an, den Humpen um die Wette zu heben. Den Ochsen hatte er in dem Stall stehenlassen, und damit er sich nicht heimwärts sehne, hieß er die Magd, dem Gehörnten Heu zu geben.

Krabat aber hatte schon genug vom Ochsenleben, und als die Magd mit einem Bund in den Stall trat, brummte er mit menschlicher Stimme: „Dein dummes Heu mag ich nicht. Bringe mir lieber einen recht saftigen Schweinebraten mit Knödeln und Sauerkraut.“ Die Magd ließ augenblicklich ihr Heu fallen und fiel vor Schreck fast um. Mit einem sprechenden Ochsen hatte sie es ja bisher nicht zu tun gehabt. Sie stolperte in die Schenkstube und berichtete, den nur wenig nüchternen Saufbrüdern, vor Aufregung stotternd, von dem wählerischen, sprechenden Ochsen. Die Saufbrüder lachten sie zunächst aus, dann aber gingen sie doch mit ihr in den Stall, um sich mit eigenen Ohren von diesem Wander zu überzeugen. Aber dort war kein Ochse mehr zu sehen, nur ein kleines Schwälbcen schwang sich über ihre Köpfe hinweg aus dem Stall. Das war aber unser Krabat, der sich unterdes in die Schwalbe verwandelt hatte und nun eilends nach Eutrich flog, wo er anlangte, noch bevor der Vater vom Markt aus Wittichenau heimgekehrt war.

In der Hirtenhütte in Eutrich ging es nun allen gut. Mit dem erhandelten Geld kauften sie sich Speise und Trank und konnten so nach vielen Jahren Hungerleidens sich endlich bis unter den Gaumen satt essen und sich täglich sozusagen Speck in Butter braten. Doch nach und nach ging das Geld zur Neige, und die Not kehrte in die Hütte zurück. Krabat aber wußte von neuem Rat: „Geld muß wieder ins Haus! Diesmal verwandle ich mich in ein gutes Roß, und der Vater bringt mich auf den Pferdemarkt nach Wittichenau, damit er mich dort einem der betrügerischen Pferdehändler aufhängt! Das bringt uns wieder einen Haufen Goldfüchse ein, und dann können wir von neuem aus dem vollen leben und feiern. Nur, um Gottes willen, Vater, verkauft nicht das Halfter mit! Ihr brächtet mich ins Unglück, und ich könnte nicht wieder zu euch heimkehren als euer Sohn Krabat!“

Die Mutter erschrak und riet ihnen ab, aber Krabat und der Vater hatten Ohren aus Eichenholz: sie wollten ihr gutes Essen wiederhaben. So dauerte es nicht lange, bis Krabat als feuriges Reitpferd vor der Hütte tänzelte. Der Vater schwang sich auf seinen Rücken und ritt nach Wittichenau.

Auf dem Pferdemarkt gingen den Leuten fast die Augen über vor diesem wunderbaren Roß, und die Händler drängten um ihn herum sich wie Fliegen um den Honigtopf. Natürlich strengten sie ihre Beutel gewaltig an, um den stolzen Gaul zu erstehen. Am meisten aber drängte sich ein rothaariger Fremder vor, wie eine Klette war er und anscheinend von gutem Beutel, und er erstand schließlich auch für sündhaftes Geld den Gaul. Krabats Vater hatte sich die Mahnung seines Stiefsohnes gut gemerkt und wollte dem Gaul das Halfter abstreifen, aber der fremde Käufer stieß ihn zur Seite, schwang sich aufs Pferd und ritt im Galopp davon.

Krabat, der im Pferd steckte, hatte ja gleich erkannt, wen er da als Reiter auf dem Rücken trug: nämlich den bösen Kollmer Müller! Der war damals über alle Maßen wütend geworden, daß er seinen besten Schüler freilassen mußte, den er dem Bösen hatte opfern wollen, und noch mehr erbost hatte er sich, als er merkte, daß Krabat sein Zauberbuch mitgenommen hatte. Lange Zeit hatte er insgeheim vor Zorn gekocht und Rache gebrütet. Als er die Kunde von dem seltsamen Ochsen in der Schenke zu Milstrich vernommen hatte, kam er wohl bald dahinter, wer sich da in der Ochsenhaut versteckt hatte. Nun hatte sich ihm die Gelegenheit geboten, die er voll ausnutzen wollte: er hatte Krabat erwischt!

Der garstige Reiter schlug mit der Peitsche auf den armen Krabat ein und stieß ihm die Sporen in die Weichen, daß das Blut nur so strömte. Aber der Schwarze Miller hatte sich noch größere Qual für ihn ausgedacht. Vor einer Schmiede mitten in der Heide hielt er an und hieß den Schmied, dem jungen Tier gleich und auf der Stelle vier Hufeisen aufzuschlagen - und zwar glühende. Der Schmied erschrak vor solch grausamem Verlangen und merkte sogleich, daß hier kein gut Ding gespielt werde. Er wollte sich gern drücken und bat deswegen den Fremden in die Schmiede, damit er selbst die Eisen aussuche. Der Schmied hatte einen Lehrjungen. Dem befahl er, das Pferd zu halten, und als dieser den ermatteten Gaul mitleidig streichelte, da flüsterte der ihm auf einmal mit menschlicher Stimme ins Ohr: »Ach, ich bitte dich, streife mir doch schnell das Halfter übers linke Ohr herab!« Der Lehrling war zwar sehr überrascht, aber es schien ihm, als müsse er dem Pferd gehorchen, und er streifte das Halfter ab. Da verschwand ihm unversehens und urplötzlich der Gaul unter den Händen, und zugleich hob sich über ihm eine kleine Lerche zum Himmel hinauf.

Als der Müller-Zauberer aus der Schmiede trat und sein Pferd nicht mehr vorfand, sondern statt dessen das trillernde Vöglein am Himmel sah, erriet er gleich, was geschehen und was für ein Vöglein das war. „Warte nur, Halunke, dich erwische ich schon wieder!“ knirschte er und hatte sich schon in einen bösen Habicht verwandelt und jagte hinter der Lerche her. Nun - solch ein Raubvogel fliegt ja weit schneller als ein kleines Vögelchen, und sicher hätte er es bald eingeholt und gefaßt, und um Krabat wäre es geschehen gewesen, wenn der sich klugerweise nicht schnell wie ein Stein zur Erde hätte fallen lassen, und zwar geradeswegs in einen offenen Brunnen hinein, wo er sich sogleich verwandelte und als Fisch im Wasser umherschwamm. Krabat, der nun ein Fisch war, meinte, sein Feind hätte seine Spur verloren und dachte darüber nach, wie er nun wieder aus dem tiefen Brunnen herauskäme. Da kam ein Mädchen mit einem Eimer, um Wasser zu holen. Krabat, der Fisch, schwamm schnurstracks in den Eimer hinein und verwandelte sich in einen goldenen Ring. Das Mädchen wunderte sich nicht wenig, als es das glitzernde Ding im Eimer bemerkte, es war ein funkelnder, kostbarer Ring, und das Mädchen steckte ihn fröhlich auf seinen Finger. Der wunderschöne Ring gefiel ihm über alle Maßen, und es freute sich sehr darüber. Aber da trat unversehens ein fremder rothaariger Mann hinzu und bot ihr für den Ring einen Beutel Goldes und noch mehr, doch es weigerte sich, ihm den Ring zu verkaufen.

Das Mädchen schaffte das Wasser ins Haus und kam auf den Hof zurück, um die Hühner zu füttern. Und dabei glitt ihm doch der Ring vom vom Finger, weil sich Krabat dort schon langweilte, und er verwandelte sich in ein Haferkörnchen. Aber schon war der böse Zauberer wieder da, der inzwischen um das Gehöft geschlichen war und auf Krabat gelauert hatte. Flugs verwandelte er sich in einen Hahn und begann eifrig die Haferkörnchen aufzupicken; er hoffte, so auch Krabat zu erwischen.

Jetzt aber riß Krabat die Geduld. Er entschloß sich, ein Ende mit dem Feind zu machen und ihn sich so auf immer vom Halse zu schaffen. Deswegen verwandelte er sich im Augenblick in einen Fuchs, warf sich auf den Hahn, in dem der Zauberer steckte, faßte ihn und biß ihm die Gurgel durch. Also fand der höse Miller und Zauberer ein elendes Ende; er hatte so viele Verbrechen begangen, hatte die guten Menschen gequält und ihnen geschadet, und nun hatten Krabat und alle braven Leute ringsum endlich Ruhe und Frieden, und sie freuten sich über die Maßen und jubelten laut. So war Krabat nun der großen Gefahr entgangen, und weil sein böser Feind vernichtet war, konnte er in Ruhe sich seines Lebens freuen. Das verwandelte Pferd hatte ihnen so viel Geld eingebracht, daß sie lange sorgenlos leben konnten. Dabei lagen sie aber nicht auf der faulen Haut, sondern betrieben weiter ihr Hirtenwerk.

Auch Krabat trieb jetzt wieder seine Herde Schweine auf die Weide. Aber dabei kam ihn keine Langeweile an, weil er sich Kurzweil mit allerhand Späßen, Künsten und Zaubereien verschaffte. So vergnügte er sich auch eines Tages damit, seinen Schweinen zu befehlen, in Ordnung sich auf den Hinterfüßen aufzustellen und zu tanzen. Da fuhr auf der Landstraße ein prächtiger geschlossener Wagen vorüber, ein sehr schöner, vornehmer, vergoldeter Wagen mit sechs Schimmeln an der Deichsel und einem prachtvoll gekleideten Kutscher auf dem Bock. In dieser prächtigen Kutsche saß ein dickleibiger Herr in prachtvoller, goldgewirkter Kleidung, und das war der König August der Starke selbst, der in Polen gewesen war und nun nach Dresden zu neuen Gelagen und Festen zurückkehrte.

Der König hatte auf seinen Reisen schon mancherlei gesehen und seltsame Dinge erlebt, aber tanzende Schweine waren ihm doch noch nicht vor die Augen gekommen. Kein Wunder also, daß er sofort anzuhalten befahl, um diesen Schweinezirkus genau zu betrachten! Der König meinte, daß ein Bursche, der Schweine tanzen lassen konnte, wohl auch noch manches andere vermöchte, und nahm ihn ohne lange Verhandlungen alsogleich mit sich.

In Dresden wußte der König nicht, was er nun eigentlich mit dem unterwegs aufgelesenen sorbischen Schweinehirten tun solle - er hatte den Kopf wieder voll anderer Dinge. Deswegen steckte er Krabat zunächst in die Küche, damit er dort dem Hofkoch zur Hand ginge. Natürlich braute Krabat dabei keinen Hunger zu leiden, aber ein reines Honiglecken war seine Arbeit auch nicht. Der Hofkoch war nämlich ein rechter Griesgram, der den Dorfburschen nicht austehen konnte, ihm auch des öfteren ohne Grund eine Maulschelle gab oder ihn an den Ohren oder Haaren zerrte und auf andere Weise peinigte.

Das ärgerte Krabat nicht wenig, und er bedachte sich, wie er es dem Koch gelegentlich zurückzahlen könne. Diese Gelegenheit ergab sich bald. Wieder einmal hatte der König viele vornehme Herren und Damen zu einem großen Festschmaus eingeladen, und der Küchenmeister hatte es gar eilig, alles vorzubereiten. Er mußte gebackene Hähnchen mit Nudeln bereiten, die der König ganz besonders gern aß. Der Küchenmeister war an diesem Tage wieder einmal garstig wie ein alter Stiefel, weswegen für Krabat gar manche Ohrfeige abfiel. „Nun langt es mir aber„, erzürnte sich Krabat. „Ich lasse es mir nicht länger gefallen, daß dieser Lümmel von einem Sudelkoch sich an mir die Stiefel abwischt. Ich werde es ihm besorgen.“ Nun, er besorgte es ihm auch!

Die Backhähnchen waren nach der Meinung des Küchenmeisters ganz besonders gut geraten, und auch die Nudeln waren ohne Tadel. Die königlichen Tischlakaien brachten die Leckerbissen in verdeckten Silbergefäßen in den Speisesaal des Königs. All den hochwohlgeborenen Herren und Damen lief schon das Wasser im Munde zusammen. Sie lifteten die Deckel - Gottsdonner und Schockschwerenot - war denn das? Statt der Backhähnchen machten sich in den Schüsseln garstige lebende Frösche breit, und an Stelle der Nudeln krochen Regenwürmer aus den Gefäßen. Die vornehmen Damen und Jungfräulein fielen vor Entsetzen in Ohnmacht, und auch den Herren fiel das Herz in die Hosen. Dem König fuhr die Wut ins Herz. Auf der Stelle ließ er den Küchenmeister herbeiführen. Der jammerte und bat um Gnade, wobei er schwor, unschuldig zu sein, aber das half ihm nicht einen Pfifferling: er entging dem Gefängnis nicht. Natürlich hatte das Krabat getan, und das kam schließlich auch ans Tageslicht. Und der König wollte fürder nichts mehr mit einem solch gefährlichen Burschen zu tun haben und schickte Krabat sofort und auf der Stelle nach Hause. Und dieser war damit auch ganz und gar einverstanden.

Krabat wollte nicht länger Hirte sein. Er entschloß sich, die Heimat zu verlassen. In Schwarzkollm hatte er damals auch einiges vom Müllerhandwerk gelernt, und also machte er sich jetzt als wandernder Müllergeselle auf den Weg, zog von Mühle zu Mühle, um da und dort kurze Zeit zu arbeiten; manchmal bat er auch nur um Wegzehrung und wanderte weiter und lernte Land und Leute kennen.

Seine Zauberfähigkeiten konnte er dabei oft gebrauchen und anwenden, und dafür mußten ihm meistens die Müller herhalten. Wo sie ihn mit freigebiger Hand begrüßten, brauchten sie es nicht zu bereuen: er belohnte sie reichlich und gut. Wo Windmühlenflügel wegen Windstille nicht schnurren und sich nicht drehen wollten, dort ließ Krabat den braven Müllern einen Wind wehen, gerade recht für eine Mühle; einem geizigen aber schickte er einen solchen Sturm gegen die Flügel, da die ganze Mühle umfiel, und das geschah dem recht!

Bald erzählte man sich im ganzen Land von den Stücken und Streichen des guten Zauberers Krabat. Die armen und geschundenen und gedemütigten Leute waren voller Freude rühmten Krabat, die Reichen und die Ausbeuter aber begannen seiner zu fürchten.

So zog Krabat als wandernder Müllergeselle durch das Land, das Bautzener, Cottbuser und das Meißnerische, und sicher wäre er noch lange straßauf, straßab umhergezogen, wäre ihm nicht etwas dazwischengekommen, das sein Leben gründlich umstülpte. In dieser Zeit nämlich führte der Kaiser gerade wegen Ungarn Krieg mit den Türken, die das Land nicht aus ihrer Gewalt lassen wollten. Der sächsische König zog damals mir dem Kaiser am gleichen Strick und mußte ihm gegen die Türken helfen. Dazu brauchte er natürlich Soldaten. Und den Werbern des Königs fiel ebenfalls Krabat auf - war er doch ein hübscher, großer Kerl - und Krabat geriet auch wirklich in ihre Falle und Gewalt; und also geschah es, daß er wieder nach Dresden mußte, diesmal als Rekrut in die Kaserne.

Nach einigen Monaten hatte er so viel gelernt, daß man ihn als brauchbaren Soldaten ins Ungarland dem König nachschickte. Der König August, der sehr auf seine Ehre hielt, durfte des Kaisers Heer befehligen. Und das tat nicht gut! Der König August war, wie es ja bekannt ist, ein mordsstarker Bursche, der Hufeisen wie Brezeln mit der Hand zerbrach und sogar einen erwachsenen Trompeter mit ausgestrecktem Arm in der Luft halten konnte, aber vom Kriegshandwerk verstand er rein gar nichts. Deswegen verlor er auch schon das erste Scharmützel mit Schimpf und Schande. Schlimmer noch war es, daß die Türken dabei ihn selbst erwischten und in die Gefangenschaft führten.

Das Heer war nun ohne Führer, und Sachsen ohne König. Was sollte man machen? Die Generale und Obristen ließen die Köpfe hängen, pflogen Rat und wälzten Pläne: was sollte man nur beginnen? Schließlich hatte ein Oberst einen Einfall. „Hört zu! Da fällt mir eben ein, daß ich in meinem Regiment solch einen sorbischen Riesenbengel, einen Schweinehirten oder Wanderburschen habe, er nennt sich Drawat oder Krabat oder so ähnlich. Der soll mehr als Brot essen können - nun er ist ein kleiner Hexenmeister, den wir eigentlich verbrennen müssten. Also, ich denke, dieser verteufelte sorbische Zauberer könnte vielleicht unserem guten König aus dem Dreck, wollte sagen, aus der Gefangenschaft, heraushelfen. Was meint ihr dazu?“ Nun, die Generale und die Obristen waren verschiedener Meinung, aber weil ihnen nichts Gescheiteres einfallen wollte, entschieden sie schließlich, man solle es einmal mit diesem sorbischen Zauberer versuchen.

Sie ließen den Soldaten Krabat vor sich kommen und befahlen ihm, sich sofort und auf der Stelle zu den Türken zu begeben, ihren König und Feldherrn aus der Gefangenschaft zu befreien und herzuschaffen. Wie, das sei seine Sache! Krabat scheute nicht im geringsten vor diesem Auftrag zurück, sagte nur: „Zu Befehl!„ und verlangte ein gutes Roß. Man führte es heran, Krabat schwang sich hinauf und schon - hui - ritt er auf und davon, so wie ein Pfeil von der Sehne fliegt. Zunächst ritt Krabat die Straße entlang, dann aber jagte er querfeldein und schließlich hob er sich in die Luft und flog hoch am Himmel schneller als eine Schwalbe durch die Wolken dahin.

Solch ein Ritt brachte ihn sicherlich schnell vom Fleck, und bald schon war er über den Türken. Unter ihm leuchteten weiß die Zelte des türkischen Lagers, und dazwischen wimmelte es von Soldaten. Krabat bemühte sich nun, möglichst unbemerkt aus den Wolken heraus und jenseits des Lagers auf die Erde zu gelangen. Und das geriet ihm auch. Nun ließ Krabat sein Pferd laufen, wohin es mochte, und stahl sich ins Türkenlager hinein, natürlich, nicht in seiner menschlichen Gestalt und dazu noch gar in der roten Uniform eines sächsischen Fußsoldaten. Nein, er verwandelte sich in einen Hund, einen solchen Köter beachtete niemand im Lager. Nach kurzer Zeit fand er das Zelt heraus, in welchem die Türken ihren königlichen Gefangenen hielten und bewachten. Solch ein kleiner Hund wedelt sich überall durch und überall hinein, so schlüpfte auch er an dem bärtigen, schrecklichen Wärter vorbei ins Zelt, wo der König traurig den Kopf hängen ließ und Pläne wälzte, wie er aus dem Unglück herauskommen könnte, und rein gar nichts wollte ihm einfallen.

Nachdem Krabat erst einmal ins Zelt geschlüpft war, säumte er nicht, sich vom Hund wieder in einen Menschen zurückverwandeln. Der König war nicht wenig überrascht, als vor ihm, wie aus dem Boden gewachsen, ein sächsischer Musketier erschien. Und dieser Musketier ließ ihn nicht einmal zum Sprechen kommen, sondern flüsterte: „Ruhe, Herr König! Unterhalten können wir uns später. Jetzt müssen wir zuschauen, daß wir uns aus dem Staube machen! Haltet euch an meinen Rockschößen fest! Alles andere überlaßt mir! Also, los!“ Nun, der König hielt den Mund, faßte fest in die Rockschöße seines Soldaten, und schon flog er - hui - mit ihm aus dem Zelt heraus, daß alle Vorhänge und Teppiche nur so flatterten und der bärtige Wächter rücklings zu Boden stürzte.

Da entstand nun wilde Aufregung und großes Geschrei im Türkenlager, als der sächsische König, an den Rockschößen seines Soldaten hängend, durch die Luft aus der Gefangenschaft entfloh. Der türkische Feldherr raufte sich voller Wut den schwarzen Bart, dann aber erinnerte er sich, daß er unter seinen Janitscharen auch einen Zauberer hatte, der vor Jahren von den Sachsen übergelaufen und Türke geworden war. Der übergelaufene Zauberer erhielt den Befehl, sofort hinter dem sächsischen König herzusetzen und ihm lebend oder tot ins Lager zurückzubringen. Der Soldat muß gehorchen, auch wenn er ein Zauberer ist. Der Überläufer verwandelte sich in einen schwarzen Adler und war schon bald den beiden Flüchtlingen auf den Fersen. Dem König wurde es angst und bange, als das schwarze Vogeltier seine Fänge nach ihm ausstreckte. Doch Krabat wußte Rat: er murmelte ein Zaubersprüchlein, und schon wogte hinter ihnen eine dicke, dicke Nebelwand, und ihr Verfolger konnte sie nicht mehr sehen. Doch auch das half nur kurze Zeit. Der Überläufer hatte gar bald die Nebelwand überwunden und richtete seine scharfen Fänge erneut auf den König, dem vor Angst alle Glieder zu zittern begannen. „Einschüchtern lassen wir uns nicht!„ tröstete ihn Krabat, murmelte wieder sein Sprüchlein, und alsogleich wuchs eine riesenhohe Mauer zwischen den Fliehenden und ihrem Verfolger empor. Der schwarze Vogel aber überwand auch dieses Hindernis. „Das gefällt mir gar nicht.«, sagte Krabat, „jetzt muß ich ein ungutes Mittel anwenden. Aber Not hat ihr eigen Gebot!“

Und er forderte den König auf, sich einen goldenen Knopf vom Rock zu reißen, und mit diesem Knopf lud Krabat nun seine Flinte, zielte über die Schulter nach rückwärts und schoß. Nun, er hatte nicht vorbeigetroffen: der Aufschrei hinter ihnen bewies, daß sie sich ihres Verfolgers entledigt hatten. Der Aufschrei verriet Krabat aber auch noch etwas anderes: er hatte die vertraute Stimme seines Gefährten, eines guten Freundes erkannt, mit dem er gemeinsam in der Kollmer Mühle dem hexerischen Müller gefront und auch das Zauberhandwerk erlernt hatte. Krabat wurde sehr traurig darüber und seufzte auf: „So ist das immer: Die Großen haben sich in den Haaren, und das Volk muß für ihr Wohlergehen seine Haut zu Markte tragen. Und Freunde müssen einander erschlagen, nur wegen der Abenteuer und Dummheiten der Könige und Herrscher!“ Und Krabat kehrte mit dem König an seinen Rockschößen ins sächsische Lager zurück. Der König freute sich, aber Krabat trauerte um seinen toten Freund.

Eigentlich hätte der König nun froh und zufrieden sein müssen, da8 sein Abenteuer so gut abgelaufen und er heil und gesund aus dem Türkenlager entkommen war. Er hätte vorsichtiger sein müssen! Scheut doch ein gebranntes Kind immer das Feuer. Aber nein der König war nicht klüger geworden! Er hatte die Absicht, sich erneut in das Türkenlager zu begeben. Warum auch nicht? Hatte er doch einen guten Zauberer als Soldaten zur Hand, der ihn sicher wieder dahintragen und auch hierher zurückbringen würde! Vielleicht gelänge es ihm im Lager doch, die geheimen Kriegspläne und Absichten der Türken auszukundschaften! Vielleicht gelänge es ihm dann am Ende, die Türken zu schlagen und den Krieg zu beendigen! Man befahl Krabat, sich sofort mit dem König wieder ins Türkenlager zu begeben. Krabat dachte sich etwas Neues aus: Er verwandelte sich und den König in zwei ganz kleine Fliegen, und also schwirrten sie frohgemut zum türkischen Lager. »Solange wir Fliegen bleiben, kann uns gar nichts geschehen. Aber vor Silber müssen wir uns in acht nehmen! Sobald wir irgendeinen Gegenstand aus Silber auch nur leicht berühren, müssen wir wieder zu Menschen werden.„

Im Lager hatten sie Glück: Die türkischen Obristen waren eben im Zelt des Großwesirs zum Kriegsrat zusammengekommen, hockten über Kartenblättern und pflogen Rat, wie sie am besten und gründlichsten den deutschen Kaiser und seine Verbündeten schlagen könnten. Krabat und der König hatten schnell das Zelt entdeckt und beteiligten sich als Fliegen eifrig an der Beratung. Den größten Eifer und die meiste Neugier zeigte natürlich der König. Er war so aufdringlich, das er andauernd auf der Landkarte zwischen den Fingern und den Bleistiften der türkischen Obristen herumkroch, um ja recht viel zu erfahren und auszukundschaften. Es ist kein Wunder, daß die Türken schließlich über diese verflixte freche Fliege ergrimmten und der Großwesir selbst sie zu fangen und ihr den Garaus zu machen versuchte.

Nun, jetzt hatte es der König gar sehr eilig, sich aus dem Staube zu machen. Er floh, dabei paßte er nicht gut auf oder irrte sich einfach - kurz und gut, er streifte einen silbernen Löffel, der mitten auf dem Tische lag. Was nun folgte, kann man sich vorstellen: Der König und mit ihm auch Krabat wurden alsogleich wieder Menschen. Die Türken sperrten Maul und Augen auf, als auf einmal der goldbetreßte sächsische König und an seiner Seite ein sächsischer Soldat dastanden. Bevor sie sich aber fassen konnten, stürzte Krabat mit dem König schon aus dem Zelt hinaus. Jetzt aber jagten alle Türken hinter ihnen her. Am schnellsten lief ein türkischer Soldat, der ihnen dauernd auf den Fersen blieb. Den wollte Krabat gern loswerden, aber schon wieder einen Menschen töten - das wollte er nicht. Aber er wußte sich Rat: Er trug bei sich einen eisernen Reifen, den warf er dem türkischen Soldaten über den Kopf. Der Reifen rutschte dem über die Schultern bis auf die Füße, schloß sich dort ganz schnell zusammen und fesselte den Soldaten, daß er umfiel. Nun durfte er einen Schlosser zu Hilfe rufen, daß er ihn mit der Feile vom Reifen befreite. Unterdes aber war Krabat mit dem König entflohen. Das war das letzte Kriegsabenteuer Krabats.

Könige und Fürsten sind für gewöhnlich undankbar. Sie denken eben, es sei die Pficht der gewöhnlichen Leute, ihnen zu dienen, und dafür - so meinen sie - braucht es keinen besonderen Dank und Lohn. Wir würden uns deswegen auch gar nicht weiter wundern, wenn der sächsische König seinen Retter Krabat mit leeren Händen nach Hause geschickt hätte. Aber vielleicht hatte der König an diesem Tage besonders gute Laune oder was sonst - kurz und gut, jedenfalls gefiel es ihm, sich edel und mildtätig und freigebig zu erweisen, und also entschloß er sich, seinen guten Soldaten zu belohnen. Er hätte im Geld geben können, aber Geld hatte der König jetzt nach dem Kriege selber wenig. Er hätte ihn zum Kammerherren ernennen können oder zum Minister, aber er meinte, daß sich ein sorbischer Dorfbursche dazu wenig eigne. „Ach was“, sagte er sich schließlich, »ich schenke ihm einfach irgendein Schloß oder Rittergut, hab ich derer doch so viele, daß ich sie gar nicht alle kenne. Aber schließlich, was sollte ein Dorftrottel wohl mit einem großmächtigen Schloß oder einem Rittergut anfangen? Ich gebe ihm das Vorwerk in Särchen, das besteht ja doch nur aus lauter Sand und Sumpf, dazu ein paar Heidebäume Wald, viel verliere ich mit dieser Entenpfütze nicht!„ Nun, und so geschah es.

Der ausgediente Musketier Krabat wurde vor den König befohlen, wo man ihm erklärte, daß Seine Majestät der König in Anbetracht der großen Verdienste seines guten Soldaten gnädig geruht habe, ihm die Milde zu erweisen und das königliche Gut in Särchen mit allen Liegenschaften und Hörigen, einer Schäferei und einer Försterei, mit Mühle, Brennerei und Brauerei und dem Erbgericht zu schenken. Wir haben schon vernommen, daß der König an diesem Tage besonders gute Laune hatte und sehr leutselig gestimmt war. Deswegen wundert es uns auch nicht, daß er fortfuhr: „Mein lieber Krabat! Ich verleihe dir hiermit das Recht, immer und zu jeder Zeit unangemeldet vor mir zu erscheinen! Keiner von meinen Dienern und Türhütern und Wächtern darf dich daran hindern!“

So bewirtschaftete nun Krabat der frühere Hirte, Müllergeselle, Wanderbursche und sächsische Musketier, das Vorwerk in Särchen. Bin anderer hätte aus dem kümmerlichen Gütlein nicht viel zu machen vermocht, aber er war schließlich ein Zauberer und wußte sich zu raten und zu helfen. So hatte er sich auch einen sonderbaren Zauberspiegel aus Kupfer angefertigt. In diesen Spiegel schaute er gar oft hinein und wußte dann, was alles in der Welt geschah, und das war sehr kurzweilig und manchmal auch von Nutzen, weil Krabat auf diese Weise gar manches Übel abwenden konnte. Krabat erfuhr aus seinem Zauberspiegel auch, wenn der König drauf und dran war, zum Beispiel einen neuen Krieg anfangen zu wollen, oder wenn er beschlossen hatte, dem armen Volk eine neue Steuer aufzuerlegen, um seinen eigenen leeren Beutel wieder zu füllen, oder wenn er einen Unschuldigen ins Gefängnis werfen lassen wollte oder aber nach dem Hab und Gut seines Nächsten strebte. Dann erinnerte sich Krabat dessen, daß er das Recht hatte, jederzeit unangemeldet den König zu besuchen, und befahl seinem Kutscher, sofort anzuspannen und ihn nach Dresden zu bringen. Der Minister und die Höflinge schauten zwar sauer drein, konnten aber nichts ausrichten: sie mußten den sorbischen Zauberer vor den König lassen.

Und Krabat fürchtete sich vor dem König nicht, er war weder auf den Mund gefallen, noch schmierte er dem König Honig ums Maul, sondern sagte geradezu: „Dies und das gehört sich nicht, das wäre großer Unsinn und eine Dummheit und Ungerechtigkeit, das soll der König lassen!„ Der König riß die Augen weit auf, war es ihm doch ganz nett, daß jemand ihm so ungeschminkt seine Meinung ins Gesicht sagte. Dann aber lachte der König auf und hörte zu. Manchmal hielt er sich an Krabats Ratschläge und Ermahnungen, manchmal aber auch nicht, aber er nahm Krabat nichts übel. Darüber ärgerten sich der Minister des Königs und die Hofschranzen, die Räte und das ganze Höflingsgeschmeiß gar sehr.

Immer häufiger hörte der König auf Krabat und störte so die habgierigen Pläne der schlechten Hofgesellschaft. Der Minister und die Hofleute waren wütend. Deswegen verschworen sie sich gegen den König. Hinweg mit dem König, das war ihre Meinung. Sein Sohn, der faule Dummkopf, wird uns sehr zu Willen sein, der wird sich sicher nicht mit diesem sorbischen Tölpel einlassen! Der wird auf uns hören. Und die höfischen Schurken kamen zusammen, um heimlich zu beraten, und verschworen sich zu folgendem: „Der Mundschenk soll dem König eine Tasse vergifteten Kaffee reichen!“ Dieser Streich war nicht übel ausgedacht und wäre sicher auch gelungen, hätte Krabat nicht gerade in seinen Spiegel geschaut. Nun, jetzt hieß es die Beine unter die Arme zu nehmen! Krabat ließ seinen Kutscher daheim und kutschierte selbst; denn heute hatte er es sehr, sehr eilig.

Schon flog die Kutsche über die Schwarze Elster, flog weiter und immer schneller, und auf einmal - bums - krachte es, der Wagen war an irgend etwas angefahren und hing fest, die Pferde zogen und zerrten in den Strängen, aber kamen nicht vom Fleck… „Verflixter Meilenstein!“ fluchte Krabat, aber dann erinnerte er sich, daß es in der Luft ja keine Meilensteine gibt, schaute aus dem Wagenfenster und sah, daß er am Turm der Kamenzer Kirche hängengeblieben war. Flugs hob er den Wagen an, und schon flog er wie ein Sturmwind weiter. Von diesem Tage an aber hat der Turm der Kamenzer Sankt-Marien-Kirche eine verbogene Spitze.

Um ein weniges wäre Krabat zu spät nach Dresden gekommen. Der König hielt schon die Tasse mit dem vergifteten Kaffee in der Hand und wollte trinken. Der oberste Mundschenk stand vor ihm und ringsherum am Tisch saß das ganze Hofpack. Sie erschraken nicht wenig und erbleichten, als auf einmal der sorbische Zauberer zur Tür hereinstürzte. „Trinkt nicht, Herr König!„ schrie Krabat. „Mag der Mundschenk den Kaffee kosten!“ Der Mundschenk zitterte wie Espenlaub. Nichts half: er mußte den vergifteten Trank kosten, den er selbst bereitet hatte. Er fiel auf der Stelle um.

Und nun entdeckte Krabat dem König die Verschwörung, und den Verschwörern erging es gar schlecht: nicht lange danach mußte sich der alte Henker aus Lissahora nach Dresden aufmachen, um den hochwohlgeborenen Verbrechern die Köpfe vor die Füße zu legen.

Dreimal also hatte Krabat dem König aus der Not geholfen, ihm das Leben gerettet und ihm geholfen, als er sich weder helfen noch raten konnte. Davon erzählten die Leute im ganzen Land und auch davon, wie klug und weise und mächtig dieser Zauberer sei. Sein Ruhm stieg wie das Hochwasser nach der Schneeschmelze im Frühling.

Auch die Junker verachteten nicht länger den ehemaligen serbischen Hörigen und Hirten, den sie sonst wie einen Wurm getreten hatten, sondern umschmeichelten ihn und drängten ihm ihre Freundschaft auf. Es kann ja niemals schaden, gut und günstig mit einem zu stehen, der am königlichen Hofe angesehen ist. Aber Krabat gab nichts auf die öligen Reden und Schmeicheleien des Junkerpacks, das wie eine Klette sich an ihn hängte und ihn mit Einladungen überhäufte und dauernd ihn bestürmte, sie mit irgendwelchen Zaubereien und Hexenkunststückchen zu unterhalten.

Krabats Diener war ein neugieriger und wißbegieriger Bursche. Oft und oft hatte er Krabats Zaubereien zugeschaut und hatte dabei gar wohl aufgemerkt. »Was nicht gar„, sagte er sich, »solch eine Zauberei, das ist ja gar keine große Kunst! Man nimmt einfach das schwarze Buch, den Koraktor oder wie es heißt, zur Hand, schlägt die rechte Seite auf, murmelt einen Zauberspruch und schon ist es vollbracht! Das bringe ich auch fertig.« Und er wartete ungeduldig darauf, daß sein Meister einmal allein den Hof verlasse, ihn und natürlich auch das Zauberbuch daheim bliebe. Nun, die Gelegenheit ergab sich bald: Krabat fuhr weg und ließ sein Zauberbuch mit gutem Willen daheim, damit er neugierigen Leuten nichts vorzuzaubern brauchte. Kurz und gut, dem Knecht kam das sehr zupaß. Er suchte und fand den Koraktor, nahm eine Handvoll Hafer, warf ihn in den Herdkessel, murmelte das richtige Zaubersprüchlein, und schon begannen Soldaten aus dem Kessel herauszusteigen, einer nach dem anderen, ein ganzes Regiment nun, das Vorwerk in Särchen war voller Soldaten. „Zur Stelle“ schrie der Obrist der Soldaten, ein betreßter schnurrbärtiger Raufbold. „Zur Stelle! Wozu hast du uns gerufen? Was sollen wir machen? Erteile den Befehl, gib uns zu tun, aber schleunigst!«

Gottsdonner - darauf war der Knecht nicht vorbereitet. Er erbleichte und stotterte schließlich zitternd: „Dort liegt der Misthaufen. Schafft den Mist aus dem Hofe aufs Feld und breitet ihn ordentlich aus!“ - „zu Befehl'“ schrie der betreßte Schnurrbärtige, „Das ist zwar keine Beschäftigung für einen königlich-sächsischen Soldaten, aber Befehl ist Befehl!« Die Soldaten gingen den Misthaufen mit einer Eile an, daß er verschwand wie der Schnee im Frühling. Und schon stand der Obrist wieder da: „Befehl ausgeführt! Neuen Befehl! Sonst geht es übel aus!„ Der Diener zitterte vor Furcht an allen Gliedern. Woher sollte er Arbeit für so viele Leute nehmen? Schließlich fiel ihm ein: „Wie wäre es denn, wenn ihr in unserer Heide Löcher bohrtet, damit die Pilze heraus können?“ Nun - diese Arbeit dauerte ein wenig länger. Aber nach einer Weile war der Obrist wieder da und grollte: „Alle Löcher gebohrt! Die Heide ist schon voller Steinpilze, roter und grauer Birkenpilze, Maronen und Butterpilze! Was weiter?„ Der Kutscher rang die Hände, aber schließlich kam ihm ein Gedanke: „Begebt euch dorthin, zur Straße nach Wittichenau und werft hart am Wege ein Loch aus, aber recht groß und breit!“ Nun - die Soldaten gingen hin und fingen an zu graben, warfen ein riesengroßes Loch aus, und all den Sand, den sie ausschaufelten, fuhren sie zusammen, bis ein richtiger großer Sandberg entstand. Und wißt ihr, was daraus geworden ist? Nun, jener große Teich, der einst hart westlich des Dorfes in der Sonne glitzerte und der hohe Sandhügel, der daneben lag! Die Soldaten beendeten auch diese Arbeit und kehrten schon wieder auf das Vorwerk von Särchen zurück. Ich denke, Krabats Diener hätte sich keinen neuen Auftrag für sie aus den Fingern saugen können, und sicher wäre es ihm schlecht ergangen. Die ergrimmten Soldaten hätten ihn nicht wenig geschüttelt und gerüttelt. Aber glücklicherweise kam gerade Krabat nach Hause und erlöste seinon Diener von Angst und Furcht.

Er las das Zaubersprüchlein von rückwärts, und schon verschwanden die Soldaten folgsam und brav wieder im Herdkessel, wo sie wieder zu Hafer wurden. Und der Knecht bekam seine verdienten Schelte: „Faß keine glühenden Kohlen an, gar leicht kannst du dich verbrennen! Jetzt siehst du wohl ein, daß die Zauberei kein Spaß ist. Lasse die Hände von Dingen, mit denen Du nicht umzugehen verstehst!«

Die Jahre vergingen, und mit den Jahren wurde auch Krabat älter, aber zugleich erwarb er sich immer mehr Weisheit und Fähigkeiten. Nirgends war ein Zauberer mächtiger als Krabat. Er kannte, wußte und verstand alles und jedes, er überragte alle, beherrschte und vermochte alles. Hätte er gewollt und hätte es ihm so gefallen, hätte er der berühmteste, mächtigste, reichste Mann im ganzen Land sein können.

Aber gerade danach stand nicht sein Verlangen: er gierte nicht nach Macht und Ruhm, weder nach Geld noch Schätzen noch Reichtum. Zurückgezogen lebte und arbeitete er auf seinem Vorwerk in Särchen. Sogar zum königlichen Hof fuhr er nicht mehr. Was sollte er auch dort? Der aufgeblasene, verschwenderische und vergnügungssüchtige König hatte immer weniger auf Krabats Ratschläge und Ermahnungen gehört, hatte sich immer seltener seiner erinnert, ihn vergessen und ganz und gar aus den Augen und aus dem Sinn verloren.

Oft pflegte Krabat sein Leben zu überdenken und nachzugrübeln: Was habe ich denn bisher vollbracht? Nichtige Hexereien und Schwindelstückchen und Narrenpossen und Unsinn! Sich in einen Spatz oder Stier zu verwandeln, Nudeln in Regenwürmer und Saathafer in Soldaten, durch die Lüfte fliegen - wem bringt das wohl Nutzen, was heilt und hilft das? Etwas Größeres, Großartigeres muß die Frucht meiner Zauberei werden! Und Krabat hatte auch erkannt, was not tat, nämlich den Menschen zu helfen und zu erreichen, daß sie satt und zufrieden und glücklich und froh wären. Und an diese Arbeit machte er sich nun.

Lange schon hatte er sich über den Sumpf und das Moor um das Dorf geärgert, wo fauliges Wasser schwarz und träge zwischen Torfmoos, Riedgras und Sumpfporst stand und wo nachts Irrlichter ihr Wesen trieben. Nun ließ er kraft seines Wissens das Wasser aus Sumpf und Moor ablaufen, so daß dort gutes, süßes Gras wachsen konnte und Buchweizen und Hirse, Lein und Mohn, Zwiebeln, Bohnen, Erbsen, Kohl und Rüben. Immer schon hatte er die weißen, unfruchtbaren Sandflächen gehaßt, auf denen nichts wachsen mochte als armselige Hungerblümchen, hartes Silbergras und graue Flechte. Jetzt aber führte er durch Gräben Wasser heran, und es dauerte nicht lange, so wogte dort üppig das Getreide: Roggen, Hafer und Gerste.

Wenn von Osten her trockene Winde heranstürmten, so hielt sie Krabat auf, und wenn große Hitze und Dürre auf dem Lande lasteten, da rief er Gewitterwolken herbei und befahl ihnen, sich über den dürstenden Feldern zu öffnen und Milch und Honig herabzuregnen. Während des Heuens aber und der Getreideernte verschaffte er gutes Wetter und verjagte auch das kleinste Wölkchen, damit alles gut und trocken in Scheune und Scheuer käme. Wenn aber einmal aus schwarzgelbem Himmel gefährlicher Hagel niederschlug, verwandelte ihn Krabat flugs in weiße Daunen, und die Saaten erlitten nicht den geringsten Schaden.

Und der gute und mächtige Zauberer verwandelte auch alles Schlehdorngesträuch in Zwetschgen- und Pflaumen- und Pfirsichbäume, und er ließ Weizenäpfel und Borsdorfer reifen auf Holzapfelbäumen und zauberte Honig und Butterbirnen auf Wildbirnenbäumen und verwandelte Lolch zu Gerste und Quecke in Weizen und vollbrachte noch vieles andere zu Nutz und Frommen seiner Bauern.

Krabat war aber immer noch nicht ganz mit seinem Wirken zufrieden, weil er meinte, es sei noch zu wenig und er müsse mehr tun.

Und er ließ alle seine Untertanen zusammenrufen, die Hörigen aus dem Dorf und sein Gesinde, dazu noch den Förster und den Verwalter und die beiden Vögte und verkündete den auf dem Hofe Versammelten, daß von heute ab die Hörigkeit aufgehoben sei und alle Frondienste abgeschafft seien, ohne daß die Bauern dafür zu zahlen hätten, und daß jeder von nun ab ziehen könne, wohin es ihn gelüstete, und heiraten, ohne den Herrn um Erlaubnis zu fragen, kurz und gut, daß sie nicht länger Untertanen, sondern freie Menschen seien. Und Krabat verkündete weiterhin, daß er seine Felder und alle Liegenschaften auf vierzig Stücke aufteile und dieses seinen bisherigen Untertanen zu Nutz und Eigen für ewige Zeiten schenke und daß also nun das Ganze und alles im einzelnen ihnen gehöre: das ganze Vorwerk und alle Felder und sämtliche Wiesen und alles Vieh und sämtliches Gerät und jedes einzelne Gehöft und auch die ganze Weide. Nur die Teiche könne und dürfe er ihnen nicht geben, die müßten an den König zurückfallen.

Als die Hörigen der Herrschaft Särchen solches vernahmen, entstand große Freude und Jubel unter ihnen, und die Frauensleute weinten vor Rührung. Nur der Verwalter und der Förster und die beiden Vögte blickten finster vor sich hin, weil ihre gute Zeit vorbei und vergangen war, und auch die großen Bauern schauten sauer drein, weil sie leer ausgegangen waren.

Viele Jahre waren vergangen. Krabat war nun ein Greis, um dessen Haupt schon lange silbriges Haar wallte. Er wohnte jetzt in einem Stübchen über dem Schankraum der Särchener Schenke, und die Wirtsleute kümmerten sich um ihn. Oft und oft pflegte der Greis durch Feld und Flur zu wandern und sich am neuen, glücklichen Leben seiner früheren Hörigen zu freuen. Er sah und erkannte, wie sie nun Freude hatten an der Arbeit, wie die Arbeit sie nährte und ihnen Wohlsein und Vermögen und Zufriedenheit brachte. Sie hatten wahrlich nicht länger die Hilfe der Zauberei und Hexerei nötig. Darum sprach Krabat zu sich: »Was soll mir länger der alte Koraktor, das Zauberbuch des bösen Kollmer Müllers? Kein ehrlicher, ehrbarer, fleißiger und arbeitsamer Mensch brauchat es länger. Es ist an der Zeit, daß ich es los werde!„

Und er rief seinen alten Diener, der ihn nicht verlassen hatte, herbei und übergab ihm den Koraktor und befahl ihm, das Buch in jenen großen Teich, der dort hart an der Straße nach Wittichenau von der Arbeit der Hafersoldaten entstanden war, zu werfen. Der Diener nahm das Buch, aber er war habgierig, und deswegen tat es ihm leid um solch nützliches und brauchbares Buch, das einem zu allerhand schönen und erwünschten Dingen verhelfen und auch sonst von gutem Nutzen sein konnte. Und der Diener warf das Buch nicht ins Wasser, sondern versteckte es in seiner Kammer unter dem Strohsack und kehrte zu Krabat zurück.

„Nun - hast du das Buch in den Teich geworfen?“ fragte dieser. „Ja„, sagte der Knecht und errötete. - „Und was hat denn das Wasser geantwortet?“ Da stand der Diener nun in die Enge getrieben und wußte nichts zu sagen. „Sofort gehst du hin und wirfst das Buch ins Wasser„, befahl Krabat streng.

Der Knecht ging hin und warf das Buch am Teichständer ins Wasser. Hu - es war, als ob man glühendes Eisen ins Wasser stecke, nur hundertmal gewaltiger und drohender! Das Wasser schäumte und zischte und brauste und raste und brüllte auf. Dann kochte und wogte es, als ob eine Schar Wasserdrachen sich darinnen wälzte und biß und tobte. Der ganze Teich glich einem wilden, aufgestörten Meer, und dem Diener fuhr der Schreck so in die Glieder, daß er beinahe ohnmächtig umfiel und nur mit Mühe halbtot nach Hause gelangte… Krabat erkannte sofort, da sein Diener dem Befehl Folge geleistet hatte, und war zufrieden.

Krabats Leben neigte sich dem Ende zu. Krank und schwach lag er im Bett in der Schenke von Särchen und wartete darauf, daß ihn die weise Todesgöttin küßte. Sein getreuer Diener pflegte ihn. Noch einmal schaute Krabat zurück auf sein ganzes Leben und auf das, was er erfahren und erarbeitet und gewirkt und geschafft hatte.

Und er klagte: Wenig war das, zu wenig! Zwar, meine Särchener sind zufrieden und glücklich, weil es ihnen wohl gut geht. Aber ringsum gibt es noch so viel Not und Elend und Leid und Armut und Ungerechtigkeit! Noch unterdrücken überall die Mächtigen die Schwachen, und die Reichen beuten die Armen aus und quälen sie. Und auf der Erde gibt es noch so viele unfruchtbare Sümpfe und Moore und so viel trockenen Sandboden und so viel Wüsten, wo gute Frucht reifen könnte. Und es gibt noch so viel Unkraut und Mängel und so vieles Unvollkommene!

Was kann da ein einzelner Mensch erreichen, auch wenn er noch so weise und ein allmächtiger Zauberer wäre? Eine ganze Schar, nein, Scharen solcher Zauberer brauchte es - mächtige, gute Männer, die den Menschen und Völkern hülfen und sie lehrten, wie sie die ganze Welt ordnen und verwandeln und umstülpen und sie besser und vollkommener machen könnten, so daß des Menschen Leben auf dieser Erde zur Freude würde! Ich allein habe es nicht vermocht! Aber sei es: Nach mir kommen mächtigere gute Menschen, die die Welt so verwandeln werden, daß sie sehr, sehr schön wird.«

Und damit seufzte Krabat zum letzten Male auf und schloß für immer seine klugen Augen.

Es war ein großes Begängnis und eine großartige Feierlichkeit, als man in Särchen den berühmten sorbischen Zauberer zu Grabe trug. Die Junker zwar waren nicht zum Begräbnis erschienen, und auch sonst war niemand von den hohen Herren, den Mächtigen und Reichen, gekommen. Auch der König hatte vergessen, einen Kammerherren oder Obristen oder einen anderen Vertreter zum Begräbnis dessen zu schicken, der ihm dreimal das Leben gerettet hatte. Dafür aber war das sorbische Volk da, es kamen die befreiten Bauern, aber auch die noch unfreien Hörigen aus allen Enden des sorbischen Landes: von den Bergen und aus dem fruchtbaren Hügelland, aus der Heide und aus dem Spreewald. Alle weinten und trauerten um den großen, guten sorbischen Zauberer.

Und als sie den Sarg in das dunkle Grab hinabließen, da schien es ihnen, als ob sich ein großer weißer Vogel, ein Schwan vielleicht, über das Grab erhöbe und dann als eine große weiße Wolke am blauen Himmel schwebte. „Das ist der Geist des großen Krabat“ flüsterten die Bauern untereinander. „Er wird uns nicht verlassen und dafür sorgen, daß wir ein freies und glückliches Volk werden.“

Quelle: Erich Krawc, „Sagen der Lausitz“, Domowina Verlag 1962;