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Die entführte Nonne

Anno 1026 lebte Brzetislaus, Herzogs Ulrich in Böhmen Sohn, ein schöner Jüngling, auch mit allen guten Tugenden von unserem Herren Gott vor andern gezieret. Er pflegte seine Jugend je und allwege mit Rennen, Stechen, Turnieren und anderen ritterlichen Spielen, vor anderen seines Alters Gleichen, zu beweisen und sich darinnen zu üben.

Zu der Zeit war in deutschen Landen ein berühmter Graf, von kaiserlichem Geblüte geboren, mit Namen der weise Otto. Dieser hatte eine aus dermaßen schöne Tochter, mit Namen Judith, welche mit ihrer Schönheit und Demuth alle andere Jungfrauen derselben Landschaft übertraf. Ihre Eltern thaten sie zu Regensburg in ein sehr wohl verwahrtes Kloster, zum Brod genannt, darinnen sollte sie, neben andern Jungfrauen, die Schrift und den Psalter lernen. Aber ihre Schönheit, Frommkeit und Tugend wurde auch in andern Ländern offenbar.

Als Brzetislaus, der junge Herzog in Böhmen, von etlichen und besonders von Pilgersleuten solches vernommen, trachtete er Tag und Nacht, wie er die schöne Jungfrau zu schauen und, viel mehr und lieber, ob es möglich, zum Gemal haben möchte. Einmal betrachtete er, welcher Gestalt von Ulrich, seinem Vater, zu der Jungfrauen Eltern, eine ehrliche Botschaft um sie, sie ihm zu einem Gemal zu werben, abgefertigt würde. Wiederum bedachte er, wie daß die Leute in Baiern sehr aufgeblasen und die Deutschen der Slavonischen Sprache nicht gewogen wären und besorgte: es möchten die Unkosten, sammt der Mühe, vergeblich angewendet werden. Trat deswegen vor seinen Vater und vermeldete: er wollte an des Kaisers Hof ziehen und daselbst anderer Nazionen Gebräuche und Sitten lernen; dazu denn sein Vater den Willen gab.

Also las ihm Brzetislaus dreißig ausbündige Männer aus, und eilte mit ihnen nach Baiern. Auf dem Wege aber befahl er seinen Dienern ernstlich, daß ihn niemand für einen Herzog, sondern allwege für einen ihres Gleichen ehren und halten sollte. Die Diener, obwohl ihnen solches gleich wunderlich vorkam, sagten solches zu. Als sie nun an den Ort, wo des Herzogs Gemüth hin stund, kamen, thät der Herzog nicht anders, als wie ein hungriger Wolf, wenn er ein Schaf erwischen will, und ging um das Kloster umher, suchte Gelegenheit, ob er die schöne Jungfrau irgends ersehen möchte. Zum Theil war er der Meinung, daß er das Kloster mit Gewalt stürmen wollte, aber er durfte sich's, mit einer kleinen Anzahl, nicht unterstehen. Zum andern gedachte er in das Kloster hinein zu gehen, die Jungfrau zu nehmen und mit ihr, wie er's nun zu Wege bringen könnte, sich also davon zu machen.

Indessen wandte sich das Glück auf den Morgen zu ihm, daß ein Feiertag war und Abatissin den jüngeren Jungfrauen geboten hatte, daß sie zur Vesper läuten sollten; welches sie thaten, darunter denn auch die Jungfrau Judith war. Zu dieser Stunde ging der Herzog auch in die Kirche und erkannte sie bald an ihrer Schönheit und dem köstlichen Klosterkleide. Er blickte sie ganz lieblich an und ließ seine Liebe zu ihr gegen sie vermerken. Sie sah ihn, als einen adelichen, schönen Jüngling, nichts desto weniger mit Fleiß an und zeigte ihm ihr fröhlich Angesicht, nicht anders, als wenn sie ihn lange gekannt hätte.

So machte er sich näher an sie, erwischte die Jungfrau und lief mit ihr zur Kirche hinaus, welche sich gar ein wenig wehrte, sprang auf sein Roß, setzte die Jungfrau hinter sich und wollte zum Kloster hinaus rennen. Als dies die Wächter und andere des Klosters Diener vernahmen, eileten sie bald hinab und legten eine starke Kette, welche allda hing, vor das Thor. Der Herzog wußte keinen ferneren Rath, zuckte sein gutes Schwerdt und hieb die Ketten, nicht anders als einen Span, entzwei und gab mit der Jungfrau eilends die Flucht. Als des Herzogs Diener vernommen, wie es zuging, eileten sie zu ihren Rossen und machten die fertig, damit sie ihrem Herren nachfolgeten. Mittlerweile waren des Klosters Wächter allbereit in der Rüstung und fingen an, des Brzetetislaus Diener zu schlagen. Sie aber kamen auf ihre Rosse und wehreten sich tapfer und beschädigten ihrer etliche.

Da sie aber sahen, daß die Deutschen an der Zahl zunahmen, gaben sie die Flucht, und ehe dann die Wächter oder Klosterdiener zu ihren Rossen kamen, waren des Brzetislai Diener in den dicken Wald. Indessen wurden die Nachfolgenden von der finsteren Nacht überfallen und verhindert. Der Herzog aber hatte das erste und andere Nachtlager mit seiner Jungfrau im finstern Walde, bis daß er des dritten Tages mit seiner Allerliebsten auf die Böhmische Gränze kam, dessen sie sich nicht wenig freuten.

Die Wächter nahmen das Glied von der entzwei gehauenen Kette, zeigten es männiglichen mit großem Verwundern und konnten nicht wissen, wer der Ritter wäre. Dies Glied wurde nachmals ins Kloster aufgehenkt, allda es eine lange Zeit gehangen und von Wunders wegen vielen Menschen gezeigt worden. Brzetislaus vermeldete seinen Zustand, wie sich's allenthalben begeben hatte, seinem Vater, darüber er sich denn verwunderte und, daß ihn unser Herr Gott aus solcher großen Gefahr geholfen hatte, sich mit ihm freute. Er bat den Bischof, daß er seinen Sohn mit der Jungfrau zur Ehe geben wolle, welches auch geschah.

Man hat die Geschichte auch in einen Gesang gebracht:

In Böheim ein Königskind,
Boleslaus mit Namen,
Erfahren hat, wie daß man find'
Ein' wunderschön' Jungfrauen
Zu Regensburg, wohl in der Stadt,
Solch' begehret er zu schauen.
Mit seinen Dienern wohlgemuth't
Sich rüst't wohl auf die Fahrt.

Boleslaus ein Zeichen thut,
Zu Regensburg thut warten,
Ob er die Jungfrau sehe gut;
Solch's thät ihm wohl gerathen.
In einem Kloster warten thut,
Darin die Jungfraun'n waren,
Ob er vielleicht zur selben Stund'
Sich mit ihr möcht' vertrauen.

Die Jungfrau, wie der Morgenstern,
Mit vielen Jungfrau'n kame.
Solch' thät der Herr ganz sehen gern,
Gar bald sie zu ihm nahme;
Er schwingt sie zu sich auf sein Roß,
Sein' allerliebste Krone.
Vor'm Kloster einen harten Stoß
Der Held mußt leiden schone,
Vorzog man eine Kette groß,
Doch kam der Held davone.

Die Diener kamen all gerannt,
Ihrem Herrn zum großen Glücke.
Boleslaus mit seiner Hand
Sein glänzend Schwerdt auszückte,
Die Ketten hart, aus Liebesband,
Hieb er entzwei zu Stücke;
Sein schönes Lieb er bracht davon
Und seine Diener alle;
Zu Regensburg, das Kloster schon,
Hat daran kein Gefallen.
Solch' Wunderthat des Königssohn
Durch Berg und Thal erschalle.

Hie sieht man, was Cupido zart
Mit seiner Stärk ausrichtet,
Welcher verbind't von edler Art
Zwei Lieb', und auch verstricket,
Vom andern ob wohl gesehen ward
Ihr kein's, doch zusammen wirket.
Drum, was verbind't Frau Venus zart,
Da hilft kein' Kett' noch Hagen,
Da hilft kein starker Thurm noch Wart',
Kein Festung noch tiefe Graben.
Manch kühner Held, um Liebes Fahrt,
Thut Leib und Leben wagen.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,