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Das Loch in der Kirchthüre zu Kohlfurth

  Sammlung von Schön No. 76. Msc.

Vor hundert Jahren lebte in Kohlfurth ein Förster, welcher bis in sein hohes Alter ein leidenschaftlicher Jäger war. Damals gab es noch viel Wild in der Görlitzer Haide und er hatte hinreichende Gelegenheit, seine Jagdlust zu büßen. Als er aber alt geworden war, versagten ihm seine Beine den Dienst und er mußte es seinen Burschen überlassen, dem edlen Waidwerk in dem grünen Walde obzuliegen. Einstmals geschah es, daß er vom Zipperlein arg geplagt in seiner einsamen Stube mit großem Widerwillen saß und hörte, wie die Meute der Jagdhunde sich mit lautem Gebell dem Dorfe näherte. Da raffte er sich auf, langte die alte Büchse von der Wand und trat schußfertig vor sein Haus.

Ein Edelhirsch, ein Sechszehnender, war es, der gefolgt von den Hunden sich in das Dorf flüchtete und um sich zu retten in der Todesangst mit hohem Sprunge über die Kirchhofsmauer setzte. Der alte Schütze rufte die Hunde ab und näherte sich vorsichtig der Mauer. Da stand der Hirsch gerade vor der Kirchthüre. Der Förster bedachte in seiner Jagdleidenschaft nicht die Heiligkeit des Ortes, legte an und schoß den Hirsch nieder, in solcher Nähe, daß die Kugel noch durch die starke, von eichenen Brettern zusammengefügte Kirchthüre fuhr.

Dort ist das Loch noch heute zu sehen. Der Förster aber, sowie er den Schuß gethan, brach wie der Hirsch zusammen und ward ohnmächtig in seine Wohnung zurückgetragen, wo er nach einigen Stunden den Geist aufgab.

Anmerkungen: Eine Jägerlegende. Hirsche sind in der christlichen Symbolik heilige Thiere, Sinnbilder der Eva vor dem Sündenfalle. Sie tragen zuweilen Kruzifixe zwischen den Geweihen, wodurch Irrgläubige bekehrt und zum Kirchenbau veranlaßt werden. Sie lieben die Nähe der Kirchen und geweihten Orte. Ein Hirsch mit einem Licht im Geweih zeigte der Ida von Toggenburg den Weg zur Kirche. (Wenzel, christliche Symbolik I. S. 405, Friedreich, Symbolik der Natur S. 477.)

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862