<<< vorherige Sage | Dritte Abtheilung: Ortssagen | nächste Sage >>>

Der Denkstein am Weinberge bei Görlitz

  Mündlich. 
  Samml. von Schön No. 81. msc. 
  Novelle von Sintenis, die verhängnißvolle Frühpredigt. Auch für die Görlitzer Bühne bearbeitet.

Ein Schlosser in Görlitz hatte mit seiner frommen Hausfrau einen einzigen Sohn, den zogen sie auf in der Furcht und Vermahnung zum Herrn und der Vater lehrte ihn sein eigenes Handwerk mit aller Strenge und Sorgfalt. Weil aber das Sprichwort sagt: Ein Kind, kein Kind! so nahmen die Eltern noch zwei arme Waisen, einen Knaben und ein Mädchen, in ihr Haus auf und erzogen sie mit ihrem Sohne, als wären' es ihre eigenen Kinder. Alle drei gediehen und wuchsen unter der Pflege der sanften Mutter und der Hand des strengen Vaters gar kräftig und fröhlich mit einander auf. Als das Mädchen in der schönsten Blüthe der Jugend stand, waren aus den Knaben zwei muntere Schlossergesellen geworden, und beide hatten ihr Auge auf sie geworfen, man konnte aber nicht recht sagen, wen sie am liebsten hatte, vielleicht wußte sie es selbst nicht. Da hieß es: Marsch! fort in die Fremde. Denn ein richtiger Bursche muß wandern und sich in der Welt umsehen und sich was versuchen in fremden Landen, ehe er Meister werden kann in der Heimath.

Und die beiden Freunde packten ihre Sachen und ihr Handwerkszeug zusammen, nahmen ihr Ränzel auf die Schultern und heisa! fort gings, immer dem schönen Rheine zu. Dort trennten sie sich. Fritz, der Meisterssohn, wollte in deutschen Städten bleiben, aber Robert, das angenommene Kind, begehrte hinüber nach Frankreich. Beim Abschiede aber machten sie mit einander aus, daß sie nach Ablauf von drei Jahren an einem gewissen Tage in einer Schänke zwischen Zittau und Ostritz zusammen treffen wollten, um gemeinschaftlich in Görlitz einzuwandern.

Die Zeit wurde Beiden nicht lang. Fritz arbeitete fleißig bei verschiedenen Meistern, verdiente sich ein hübsches Geld und dachte dabei alle Tage an die hübsche Marie in seines Vaters Hause. Auch Robert ließ sie nicht aus seinen Gedanken, aber, weil ihm der Wein in Frankreich zu gut schmeckte, gewöhnte er sich das Trinken an, verthat Alles wieder, was er verdiente und ward ein liederlicher Bursche. So kam er denn am festgesetzten Tage mit seinem Freunde Fritz zusammen. Fritz war hocherfreut, den alten Jugendgespielen wieder zu sehen, und bemerkte in seiner Freude gar nicht die Veränderung, welche mit diesem vorgegangen war. Heiteren Sinnes und fröhlichen Muthes wanderte er mit ihm der lieben Vaterstadt zu, schüttete ihm sein Herz aus und erzählte ihm, daß er bereits die Einwilligung der Aeltern zur Verheirathung mit Marien habe und sich als Meister in seines Vaters Werkstatt setzen werde, da dieser schwach und kränklich geworden sei, Robert aber sollte sein Geselle werden und sie wollten mit einander arbeiten und schaffen nach Herzenslust.

Aber Robert litt bei diesen Erklärungen seines Jugendbruders große Herzensqual und als sie nahe an die Stadt gekommen waren, nicht weit von den Weinbergen die Seiger in Görlitz schlugen eben zwölf Uhr in der Nacht - da erwachte in ihm der böse Geist der Eifersucht, des Neides und Eigennutzes - er hieb den in der frohen Erwartung des Wiedersehens schwelgenden Gefährten mit seinem Knotenstocke von hinten über den Kopf, daß er betäubt zur Erde sank, schlug ihn vollends todt und verscharrte den Leichnam sammt dem Felleisen in eine tiefe Grube, die er mit Steinen voll füllte. Hierauf ging er des Morgens zu dem alten Meister, den er seines Sohnes auf eine so schändliche Weise beraubt hatte, und trat bei ihm in Arbeit. Nach mehreren Jahren, da Fritz verschollen blieb, ward er Meister, übernahm des Alten Werkstätte und heirathete dessen Pflegetochter.

Dreißig Jahre waren vergangen, er hatte Söhne und Töchter gezeugt, war ein begüterter und geachteter Mann geworden und Niemand ahnete in ihm den Mörder. Seinem düstern, unfreundlichen Wesen und seiner Menschenscheu legte man andere Beweggründe unter, da er sich stets als ein wackerer Bürger benahm und wie es einem frommen Christen geziemt, zwar nie den Hauptgottesdienst, aber regelmäßig die Frühpredigt besuchte. Da geschah es eines Sonntags früh, daß der Meister halb sechs Uhr schlagen hörte, aus dem Bette sprang und sich schnell ankleidete, um die Frühpredigt nicht zu versäumen. Eilenden Fußes schritt er durch den frisch gefallenen Schnee der Peterskirche zu, von deren Thürmen helles Geläut erschallte. Allein als er die Stufen hinauf gestiegen war und zur Hauptthüre hineingehen wollte, fand er zu seiner Verwunderung Alles fest verschlossen. Doch seine Verwunderung wich bald einem innerlichen Grausen, als die Thürme die zwölfte Stunde verkündeten und er bemerkte, daß es noch nicht Morgen sei, sondern eine unbegreifliche Täuschung ihn zur Mitternachtzeit zur Kirche hingezogen habe.

Aber wie ward ihm, als plötzlich in ihm die Erinnerung erwachte, daß vor dreißig Jahren gerade an diesem Tage und zu derselben Stunde er seinen Freund, den Sohn seines Wohlthäters erschlagen. Wie vom Donner betäubt, kehrte er um und wankte nach Hause in sein Bette. Als aber nun die sechste Stunde des Morgens kam, erschienen bei ihm die Gerichtsdiener des Rathes, fesselten ihn und führten ihn vor den regierenden Bürgermeister. In derselben Nacht waren alle Gotteskasten in der Peterskirche erbrochen und beraubt worden und man hatte die Spur bis in das Haus des Meisters verfolgt. Nein, sagte dieser, als ihm der Diebstahl Schuld gegeben wurde, — nein! ein Dieb bin ich nicht, aber ein Mörder!

Nachdem er dem Gerichte Alles gestanden und dieses die Gebeine des Erschlagenen hatte ausgraben lassen und die Thatsache feststand, ward der Mörder auf dem Markte enthauptet. Der Denkstein aber, welchen man dort errichtete, wo die That geschehen war, ist bei dem Bau der Kunststraße nach Leschwitz entfernt worden und nicht mehr aufzufinden. Der Stoff dieser Sage ist zu einer hübschen Novelle verarbeitet.

Anmerkungen:

1. Ein anderes steinerned Kreuz steht noch heute auf dem Wege nach Girbigsdorf, wo die Straße nach Ebersbach abgeht. Dort tödtete der älteste Sohn des Herrn von Schachmann auf Königshain im Zweifampfe den Bruder des Landesältesten vou Salza auf Ebersbach den 15. December 1666 (Görlitzer Jahrbücher a. a. C. Oberlauf. Nachlese 1767 224.)

2. An der Straße nach Leschwitz stand früher zur rechten Hand auf einer Anhöhe ein steinernes Denkmal. Das hatte folgenden Ursprung. Im Jahre 1537 sind zwei Gebrüder von Uechtritz eines Tages aus Görlitz miteinander fortgeritten und unterwegs in so heftigen Streit gerathen, daß einer der beiden seinen Bruder erstochen, der auf der Stelle todtgeblieben ist. Da erfaßt den andern ein entsetzliches Grauen vor sich selbst, reitet straks nach Rom und fleht so lange den Papst um Absolution, bis der ihm die Sünde vergiebt. Zur Buße hat er ihm aufgetragen, am Orte der That eine Kapelle zu erbauen, damit der Vorüberziehende an der Stelle des Mordes ein Vaterunser beten möge zur Erlösung der Seele aus dem Fegefeuer. (Brüdner, Umgangszettel 1797).

3. Am Frauenhospital in Görlitz erinnerte ein steinernes Kreuz mit einem eingehauenen Messer an einen Vorwerksknecht, den ein Gärtner daselbst im Jahre 1542 mit einem Brodmesser erstochen. (Hefner'8 Annal. a. a. C.).

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862