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Sagen von dem Ursprünge der Stadt Görlitz - Zweite Sage

Vor langer, langer Zeit, im zehnten Jahrhunderte nach christlicher Zeitrechnung, kam ein christlicher Ritter, mit Namen Tachow, in diese Gegend, wo damals noch ein dichter Wald war, und siedelte sich an, weil ihm der Ort so wohl gefiel. Dort, vor dem Kreuzthore, wo man nach Girbigsdorf geht, bauete er seinen Hof und bald erhoben sich mehrere Häuser in der Nähe und vereinigten sich zu einem Dörflein, welches seinen Namen führte. Fast zu gleicher Zeit entstanden südwärts, an der Straße nach Zittau, zwei andere Rittersitze, Creolsdorf und Salmansdorf, von ihren Begründern so genannt, an welche noch heute die Namen zweier Gassen der Jakobsvorstadt erinnern.

Bald erhob sich auch in der Nähe von Tachow ein Kirchlein, dem heiligen Nikolaus geweiht, worin die christlichen Bewohner dieser Dörfer, ein kleines Häuflein mitten unter der heidnischen Bevölkerung, den wahren Gott verehren konnten. Das Kirchlein gewann eine große Bedeutung dadurch, daß es zum Mittelpunkte der wenigen Christen wurde, welche damals in dem hiesigen Lande hauseten. Denn es bauten sich in der Nähe immer mehr fleißige und friedliche Menschen christlichen Glaubens an, so daß zu den drei schon erwähnten Dörfern noch vier andere entstanden.

Im 11. Jahrhundert vornehmlich gefiel es einem Ritter Kunz oder Kunrad, sich an der Neiße, nicht weit von der zittauischen Straße, Creolsdorf gegenüber, niederzulassen und einem neuen Dörflein den Namen zu geben, welches in alten Schriften bald Kunzendorf, bald Kunradsdorf genannt wird. Ein anderer vom Geschlechte derer von Cale, wählte sich dagegen die Gegend, welche vom Frauenthore bis an die Neiße sich herunterzieht und noch jetzt die Cale heißt. Seine Nachkommen blühten bis zum 14. Jahrhundert fort und einige von ihnen finden wir in der Reihe der Bürgermeister.

Nordwärts, diesseit der Neiße, da wo jetzt die Rothenburgerstraße, sonst Galgen- und Neugasse sich hinzieht, gründete das Geschlecht der Wicker die Niederlassung Wickersdorf. Auch dieses Geschlecht wird in den Jahrbüchern der Stadt häufig erwähnt. Am rechten Neißufer gegen Morgen, zwischen der Laubaner und Wennersdorfer Straße, entstand das Dorf Klephiswalde, gegen Mittag Barthelsdorf. Die Gärten und Felder dieser Ansiedlung dehnten sich bald bis nach Moys, Hermsdorf und Leutholdshain aus. Inmitten dieser Dörfer, da wo ehemals der Voigtshof stand und jetzt das Zuchthaus ist, errichtete später der Böhmenherzog Sobieslav, um seine landesherrliche Hohheit über diese Gegenden geltend zu machen, eine aus rohen Baumstämmen zusammengeschrotete Veste, von den Leuten Drebnow, d. h. Holzburg, genannt, er baute dazu eine in Felsen gehauene Kapelle, dem heiligen Georg geweiht, über welcher nachher der herrliche Bau der Peterskirche sich erhob.

Aber die Holzburg wurde von den Sachsen, die auf der Landskrone hauseten, angezündet und brannte gänzlich ab. Da ließ der Herzog im Jahre 1131 die Burg von Steinen wieder aufbauen und rings umher ein größeres Gebiet mit Mauern und Gräben umziehen. So entstand aus einer wüsten Brandstätte die Stadt Görlitz, mit ihrem Namen ihren Ursprung verrathend.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862