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Der todte Junge bei Deschka

  Samml. von Schön, No. 48. msc.

Geht man die sogenannte kleine Straße von Nieder-Neundorf aus nach Neukrausche zu, so trifft man nicht weit davon, wo sich der Weg nach Zodel wendet, eine Stelle an, worauf jederzeit ein Haufen dürres und grünes Reisig liegt, da jeder Vorübergehende sein Scherflein dazu thut. Diese Stelle nennen die Leute „den todten Jungen“, und fragt man nach der Ursache dieser sonderbaren Benennung, so erzählen sie folgende Geschichte.

Ein Schafjunge, welcher in Deschka diente und seines Herrn Schafe hütete, hatte sich einmal in's Gras hingelegt und war eingeschlafen. Dabei waren die sich selbst überlassenen Schafe auf des Nachbars Feld gegangen und hatten es abgeweidet. Der beschädigte Bauer, ein jähzorniger Mann, sah es, eilte herzu und gab dem Schafjungen ein Paar so grobe Ohrfeigen, daß er auf der Stelle todt niederfiel. Um die That zu verheimlichen, schleppte er ihn in den Wald und henkte ihn an einen Baum, als wenn er sich selbst entleibt hätte. Die Leute, welche ihn dort fanden, glaubten es auch nicht anders und der rechte Grund wäre unentdeckt geblieben, wenn den Bauer nicht das Gewissen geschlagen und er noch auf seinem Todtenbette dem Pfarrer die Wahrheit bekannt hätte.

Anmerkungen:

1. Es ist eine alte heidnische Sitte, die bis diesen Tag üblich ist, an dem Platz, wo Menschen umgekommen sind, Steine oder Holzhaufen zu errichten. Zu der Lieberoser Haide auf der Straße von Kottbus nach Frankfurt findet man ihrer viele. Ein solcher Haufen heißt rein todter Mann. Jeder Vorübergehende opfert der Seele der Abgeschiedenen einen Ast und geht dann seines Wege. Thut er's nicht, so fürchtet er die Rache des abgeschiedenen Geistes. In der Görlitzer Haide giebt es einen Todtenmannsweg.

2. Bei Tränke in der Haide zwischen Rothenburg und Muskau zeigte man mir einen solchen „todten Mann“, 6 Schritte von der Straße. Es war ein Reisighaufen von 4 Fuß Höhe. Dort war vor etwa 10 Jahren ein Schwarzbierhändler, der viel Geld bei sich gehabt, erschlagen worden, ohne daß man den Mörder entdeckt hatte. Aber vor 4 Jahren kam es heraus, daß sich um Mitternacht an dieser Stelle eine klagende und rufende Stimme vernehmen ließe, welche den Mörder bezeichnete. Die Sache kam auch zur Anzeige, ist aber natürlich nicht verfolgt worden.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862