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Das Semperlaufen der Budissiner Frauen

  Handschr. Chronik der Stadt Budissin a. a. 1447. 
  Gerber, unerkannte Wohlthaten III. S. 438. 
  Hoffmann, Script. rer. lus. v. p. 300. 
  Carpzov's Ehrentempel 1719 I. p. 250. 
  Röpping in der Lauf. Monatsschr. 1805 I. S. 1-18. 
  Laus. Mag. 1837 S. 174.

Es ist in alten katholischen Zeiten Sitte gewesen, daß am Donnerstage vor Fastnacht die Weiber in Budissin, alte und junge, vornehme und geringe, zusammengelaufen und zu den Bürgern in die Häuser gekommen sind, schandbare Lieder gesungen, allerhand unehrbare Possen getrieben und dafür Bratwürste, Fleisch und Brod und andere Gaben gefordert und erhalten haben.

Diese Sitte hieß das Semperlaufen oder zum Semper laufen. – Der Bischof von Meißen, Johann Hoffmann, hat diese Gewohnheit als einen unsaubern Ueberrest aus den heidnischen Wendenzeiten im Jahre 1444 abgeschafft und dagegen ein Marienfest, festum Mariae virginis, inventionis pueri, zu feiern angeordnet.

Anmerkungen:

1. Köpping (1. c.) versucht eine Ehrenrettung der Budissiner Weiber und stellt die Muthmaßung auf, daß die Sitte zwar, wie so viele andere Fastnachtsgebräuche, heidnischen Ursprungs fei, aber in nichts Unzüchtigem bestanden habe. Es seien einfach Mummereien, Fastnachtsmaskeraden gewesen, der Name Semper sei forrumpirt aus Schemsbart, Schönbart februa, Masfe. „Nach dem Schönbart laufen „ sagte man auch in Nürnberg für die Fastnachtsmummereien des 14. und 15. Jahrh. Köhler (L. Mag. 1837) tritt dieser Meinung bei und befestigt sie durch folgende Bemerkung: In Nürnberg war den Fleischern das Vorrecht dieser Lustbarkeit verliehen worden; dieselbe Zunft aber war auch in Bautzen bei jenem befannten Aufruhr zu König Wenzels Zeiten dem Rathe treu geblieben und hatte wohl dadurch das Vorrecht dieser Lustbarkeit erworben. Daraus läßt sich um so eher erklären, weshalb eben in Bautzen eine Sache vorkam, die den Lausitzer Städten sonst fremd war.

2. Diese historistrende Auslegung, so geschickt die zu Grunde liegenden Kombinationen sind, ist indessen doch unrichtig: a) die Verwandelung von Schembart in Semper widerspricht der lausitischen Dialektsform durch und durch. b ) Köhler kann nicht nachweisen, sondern vermuthet nur, daß auch in Budissin die Fleischer das Privilegium dieses Festes hatten wie in Nürnberg. Wahrscheinlich! Aber wohl nicht wegen ihrer Treue, sondern wegen der Bratwürste, die ein nothwendiges Requisit dieses Festes waren. Du sublime au ridicule c) Es ist richtig, daß in den andern oberlausitzischen Städten das Fest unbekannt ist. Dafür aber ist es in der Niederlausitz und war früher auch in den Dörfern der Oberlausitz desto gebräuchlicher und heißt dag Zemperlaufen oder Zempern. Zwar ist es kein Fest der Weiber und gegenwärtig wenigstens kein unzüchtiges, aber es muß doch dem Worte selbst etwas Verdächtiges zu Grunde liegen, denn überall, auch in der Oberlausitz, heißen bei uns Schemperlieber, Schenschers, Tschentscherlieder = unehrbare Gesänge.

3. Zempern oder Zampern heißt in der Niederlausitz zu Fastnacht mit Musik herum ziehen. Es wird so beschrieben: Die jungen Bursche des Dorfes versammeln sich am Aschermittwoch im Wirthshause, verkleiden sich bisweilen in mancherlei Thiergestalten und Vermummungen und ziehen sodann mit Musik und Bornkannen voll Bier im ganzen Dorfe von Haus zu Haus umher. Jedem wird ein Trunk gereicht und in Häusern, wo junge Weiber und Mädchen sind, tanzt man mit diesen einigemal herum, wenn dies geschehen ist, beschenkt die Hausmutter die „Zamperknechte“ mit Wurst, Schinken, Speck, Eiern u. s. w. Alle diese Geschenke werden an eine Stange gebunden und von einem dazu bestimmten Mitgliede emporhangend getragen. Die Eier und andere Kleinigkeiten trägt der Koberträger, und so geht der Zug, wenn man im Dorfe herum ist, wieder in's Wirtshaus, woselbst die Dorfschönen der Zemperknechte schon warten. Nun werden diese, jede von ihrem Burschen, hinter den Tisch geführt, wo sie dieselben mit Geld beschenken müssen, damit Bier und Musik bezahlt werden können. Dafür schmausen aber auch die Mädchen von den eingesammelten Vorräthen so lange mit als sie dauern. Sie stehen dazwischen auf um zu tanzen, und setzen sich nieder um zu essen. Dieses kostet den Mädchen oft mehrere Thaler, aber für die Ehre, Magd eines Zamperknechtes zu sein, giebt Manche soviel sie nur immer kann. Wenn dieses Fest nun zwei oder drei Tage gedauert hat, so wird die Musik begraben und die Freude hat ein Ende. - Prediger haben sich bemüht, das heidnische Zamperfest abzuschaffen; aber es ist dem Volke zu schön! In früheren Zeiten feierten auch die Oberlausitzer ein ähnliches Feft am Aschersmittwoch. Bei den Wenden ging ein Geiger und ein Sackpfeifer voran. Die jungen Bursche folgten singend und tanzend nach und hatten Stäbe oder Weidenruthen in den Händen. Die Deutschen machten es ebenso, doch hatte einer einen besonders großen und geputzten Stock, der hieß der Reiherstock, d. i. Tanzstock von reja=Tanz. So um Budissin herum. In einigen Orten wurde ein grüner Tannenzweig mit über sich in der Runde zusammengebundenen Aestchen umhergetragen. Die Oberlausitzer Wenden nennen diesen Umzug: „Nach Würsten gehen“ (kolbassy kodzicz). Auch bilden sich überhaupt in der Fastenzeit Wurstbrüderschaften zu ähnlichem Zweck.

4. Es ist ganz klar, das Niederlausitische Zempern ist nur eine andere Form für das Budissinische Semperlaufen und mehrere frühere Berichterstatter haben ganz recht, wenn sie dabei an die römischen Lupercalien erinnern, wo die Frauen sich von den nackend umherlaufenden lupercis schlagen ließen, um Fruchtbarkeit zu erzielen; ebenso wie später die Geißel des heiligen Symphorianus die Unfruchtbarkeit heilte. Es wird also wohl mit dem schandbaren Gebahren der Budissiner Frauen seine Richtigkeit haben. Auch beim niederlaus. Zampern fällt wenigstens die ungewöhnliche Sitte auf, daß die Mädchen den Tanz und die Musik bezahlen. Es ist für sie eine Nothwendigkeit, auf dem Zemper zu tanzen und sie dringen sich daher den Burschen auf und opfern ihre Ersparnisse.

5. Der Name ist noch unerklärt. Frühere Chronisten führen ohne irgend eine innere Berechtigung das Fest zurück auf den König und späteren Gott som par (Zember,Cimber, Gamber, Gambririus), den Vater des Gottes und Könige Schwabus (Suebus, Sven), der vor seinem Sohne 44 Jahre in Germanien die Herrschaft gehabt. Von ihm heißt es wie von Schwabus, er habe bei Görlitz einen heiligen Hain gehabt, wo ihm jährlich Menschenopfer gebracht wurden und in den man nur mit gebundenen Händen treten durfte u. s. w., s. Th. I. No. I. Diese Ableitung findet sich z.B. in einer Gratulationsschrift zu einer Hochzeit, nach der geschmacklosen Sitte der Zeit mit gelehrter Weitschweifigkeit und ziemlich unfeienen Anspielungen verfaßt (Wagner, colleg. schol. Budiss. Der gelibte Ehewald. Budissin 1695.). Glaublicher ist die Ableitung von einem slavischen Gotte Zemberis, der die Erde befruchtet. Zeme=Erde und berju=bestreuen. In allen Mythologien wird damit die weibliche Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht.

6. Im Johnsdorfer Thale bei Zittau ist ein Berg, der heißt der Semperstein. Die Sage erzählt merkwürdigerweise, er habe diesen Namen davon, daß sich im Kriege eine Wöchnerin dorthin geflüchtet und ein Kind geboren habe. Der oben erwähnte heilige Symphorianus erscheint als ein christianisierter Somper. Die Namensähnlichkeit ist zu groß, als daß man nicht eine Verwandtschaft annehmen müßte.

7.Die Verwandlung dieses Festes in ein festum Mariae virginis, inventionis pueri, setzt den anonymen lutherischen verfasser der Budissiner Chronik in Entrüstung, ein Gaukelspiel habe das andere abgelöst. - Man könnte versucht seibn, in dem Namen inventio pueri nach katholischer Kirchenpraxis eine Anknüpfung und Uebertragung der heidnischen Festbedeutung zu finden, wenn dies nicht die Beschuldigung einer zu argen Frivolität in sich schlösse.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862