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Wie die Budissiner den Papst verbrennen

1)

  Abr. Frenzel, von den Völkern in der Lausitz. Msc.

Wie überall in der Lausitz, so wurde auch in Budissin alljährlich zu Frühlingsanfang, und zwar schon am Abende Petri Stuhlfeier, ein allgemeines Fest gefeiert, bei welchem der Winter als eine Strohpuppe, auf's Abenteuerlichste mit Bändern, Lappen, Kränzen und einer Flachsperrücke an geputzt, auf einer Stange durch alle Straßen getragen und schließlich auf dem Protschenberge verbrannt wurde. Am Abende aber wurden etliche Fässer auf dem Markte zusammengetragen und ein Feuer gemacht. Darnach ist der Rector scholae mit allen Schülern die Gassen durchgangen und hat das Responsorium: „Petre, amas me?„ gesungen. Der Stadtrichter mit dem Baumeister nebst dem Stadtdiener sind mit Lichtern in Händen nachgefolgt. Die Bürger haben Lichter in die Fenster gesteckt und den Schülern Bier zu trinken gegeben. Und wenn dann der Zug von der wendischen Gasse durch's Fuchsgässel zu der Reichengasse eingegangen, hat der Rektor aus dem Responsorium das Wort: „Simon“ das ganze Gässel durch langsam gedehnt und am Ende des Gässels die Worte Johanne diligis me? angehoben. Wenn sie auf dem Markte zum Feuer gekommen, hat der Schulmeister figurirt und gesungen: jam ver oritur (jetzt kommt der Frühling). Viel Volk lief zu und dabei fanden sich von den Schülern welche in Bauerkleidern oder sonst vermummt.

Als Anno 1522, da schon Luther's Lehre gar sehr im Schwange ging und sonderlich in der Oberlausitz viele Freunde hatte, unter dem Regimente des Bürgermeisters Balthasar Lausnitz diese Ceremonie gehalten wurde, trugen ihrer zwei von den Verkleideten eine Stange, daran viel Ablaß- und Butterbriefe gehangen. Solche boten sie gegen Jedermann feil, und da sie Niemand kaufen noch annehmen wollte, warfen sie die Stange sammt den Briefen in's Feuer, nahmen ihre Flegel und schlugen tapfer darauf, daß die Funken stoben. Sind darauf zum Lauenthore hinausgegangen und Niemand redete etwas dawider.

Des folgenden Jahres 1523, bei der Regierung des Bürgermeisters Hieronymi Ruperti, ward abermals der Sommer wie sonst empfangen. Da geschah es, daß ihrer zwei sich als Mönche verkleidet, einen Papst von Papier gemacht, auf einer Tragbahre zur Reichengasse herausgeschleppt und auf dem Markte in's Feuer geworfen haben.

Weil sie sich aber nicht zeitig genug davon gemacht, wurden sie erwischt und in den Lauenthurm gefangen gesetzt, bis der junge Herzog, des Landvoigts Herzog Caroli Sohn, sie losgebeten und befreit. Die beiden Träger hießen Weiß und Taschenberg und waren Baccalaurei an der Schule. Da sich über solchen Vorfall die Päpstler beschwert, hat man Veranlassung genommen die ganze Ceremonie abzuschaffen.

Anmerkungen:

1. Dieses Fest, genannt das Todaustreiben, war fast überall in Deuschland Sitte. Vgl. 7. Grimm, Myth. S. 439—453. Aber nirgende wohl hat es eine so mannigfaltige Gestalt als in der Lausitz. Es existirt auch bereits eine unendliche Literatur über das Lausitzische Todaustreiben 2). Trotzdem ist die obige Nachricht, so viel mir scheint, noch unbekannt und wenigstens unveröffentlicht, obgleich Abr. Frenzel sie allem Anschein nach aus einer Budisfiner Chronik entnommen hat. Es hat aber gerade diese Budissinische Form des Festes einige im höchsten Grade wichtige Züge. Doch davon unten.

2. Zuvörderst einige andere Formen dieses Festes: a) In Görlitz hat die Sitte bis zum 3. 1793 gedauert. Die Kinder sangen dabei: Jetzt tragen wir den Tod hinaus, Den alten Weibern in das Haus, Den jungen in den Kasten, Morgen ist Mittfasten. Die Puppe wurde in die Neiße geworfen da wo die sogen. Goldgrube ist und früher der Galgen stand. b) In Königshain zog Alt und Jung noch zu Ende vorigen Jahrhunderts am Sonntage Laetare mit Strohfackeln auf den Todtenstein; dort wurden sie angezündet und verbrannt. Beim Heimziehen sang man: Den Tod, den haben wir ausgetrieben, Den Sommer bringen wir wieder. c) In manchen Orten ging ein Knabe als Winter und ein Mädchen als Frühling gekleidet voran und hielten gereimte Wechselreden, in die der Chor singend einfiel. d) An manchen Orten sang man: Hätten wir den Tod nicht ausgetrieben, So wär' er die Jahr wohl drinne geblieben. e) In Priebus sang man den Görlitzer Vers, aber statt: „den alten Weibern“, der alten N. N. in das Haus. f) Bei den Wenden wurde der Puppe ein Hemd angezogen, welches das Haus liefern mußte, das die letzte Leiche gehabt, und ein Schleier übergehangen, den die letzte Braut hergeben mußte. Die Kuppe wurde von einer starken Dirne in vollem Laufe fortgetragen. Dabei begleiteten sie die jungen Leute und sangen: Leč hořè, leč hořè! lutabate woco, pan delè, pan delè! Dies wird übersetzt: Fliege hoch, fliege hoch! Dreh dich um (oder: Oeffne das Fenster), fall nieder, fall nieder! Alles warf mit Steinen und Holzstüđen nach dem Strohmanne. Wer ihn traf, der starb in diesem Jahre nicht. Die Puppe wurde in's Wasser getragen oder über die Dorfgrenze geworfen, wobei eß nicht selten Händel mit denen des Nachbarborfes gab, weil diese den Tod auch nicht bei sich haben mochten. Auf dem Rückwege brach man sich grüne Zweige, die man bis zum Dorfe in den Händen behielt. Dies war gewöhnlich zum Todtensonntage Laetare. g) An manchen Orten waren bloß Frauen mit der Todaustreibung beschäftigt und litten dabei keine Männer. Alle gingen den Tag über in Trauerkleidern. Der Puppe gaben sie in die eine Hand einen Besen, in die andere eine Sense. An der Grenze des nächsten Ortes wurde die Puppe zerrissen. Das weiße Hemd aber, womit die selbe bekleidet gewesen, blieb unversehrt. Sie hieben im Walde einen schönen Baum, hingen es daran und trugen es heim unter Gesängen. b) Hin und wieder läßt man den Strohmann den Leuten in die Fenster gucken oder droht damit; denn wenn es geschieht, so stirbt das Jahr über Jemand in diesem Hause. Doch kann man sich mit Geld auslösen. i) In Welze, Spremberger Kreises, besteht zu Laetare folgendes Fest. Die Knaben und jungen Bursche nehmen ein Wägelchen und schmücken es mit einer Menge aufrechtstehender Tannenzweige, welche mit Bändern und Flittern behangen sind. Diesen Wagen führen sie unter Sprüchen und Gesängen (welchen?) von Hof zu Hof und verbrennen ihn dann vor dem Dorfe oder werfen ihn ins Wasser. Dabei werden Almosen gesammelt. Der Wagen heißt chodar Gånger, Wallfahrer. k) An manchen Drten wird das Fest beendigt durch Aufrichtung einer mit Bändern, Eierschaalen, Flittern behangenen Stange (Wie zum 1. Mai). Wo sich das Fest noch findet, ist es meist zum Kinderfest erniedrigt.

3. Um die Erklärung dieses merkwürdigen Festes in möglichst geordneter Darstellung zu geben, sei zuvörderst der historische Bestandtheil der Bubissiner Papstberbrennung abgefertigt. Das Todaustreiben wird offenbar in ein Papstaustreiben parodirt, und Luther wußte entweder von dieser Begebenheit, als er das Lied dichtete: „Nun treiben wir den Papst hinaus“, oder umgekehrt, dieses Lied gab den Budissiner Scholaren den Gedanken ein zu dieser humoristischen und bedeutsamen Ceremonie, welche ebensowohl den freien sechsstädtischen Sinn wie die lebhafte und energische Theilnahme kennzeichnet, mit welcher von Anfang an die Oberlausitz die Reformation ergriff.

4. Die mythologische Deutung zu erleichtern, sei fodann festgestellt, daß die verschiedenen Formen des Laus. Festes sich unter drei Gruppen ordnen lassen. Das Fest ist I. ein Licht- und Feuerkultus, ähnlich wie zu Walpurgis und Johannis; II. ein Austreiben des Wintertodes in Gestalt einer Puppe; III. ein Einholen des Sommers. I. scheint der älteste Bestandtheil des Festes zu sein. Die Fässerverbrennung, die Häuserillumination, die Lichterprocession zu Budissin und der Fackelzug auf den Todtenstein zu Königshain sind Feste eines Frühlingsfeuerkultus, der in manchen Gegenden sich in die Osterfeuer verwandelte. Man bemerke, daß die Königshainer keine Puppe verbrennen, sondern nur einen Fackelzug auf den Berg unternehmen. Dies scheint die älteste celtisch - germanische Gestalt des Festes in unserer Gegend zu sein, wie sie sich eben in dem Königshainer Gebirge vorzugsweise stetig erhalten konnte. Durch die Verse der Königshainer und das Mesponsorium des Budissiner Rektors kommt aber auch II. und III. (wenn auch in Königohain ohne die Puppe) hinzu. II. ist die vorherrschende Form. III. soll nach Preusker dem lausitzischen Feste fremd und mehr Eigenthum Westdeutschlands sein. Obige Zusammenstellung giebt aber genug Züge einer Sommereinholung: a. der Vers „Den Sommer bringen wir wieder.“ b. Das Brechen von Reisern oder Abhauen eines Baumes und Errichten einer Stange ähnlich der Maistange. c. Das Fest heißt an manchen Orten „das Sommereinholen„, jene Zweiglein „mein Sommer“, die singenden Kinder „Sommerkinder“ (1. Anton's Idioticon sub lit. S.). d. Die Tannen auf dem Wagen in Welze können doppelt gedeutet werden. Entweder sie repräsentiren den Winter (die Tanne ist der Winterbaum, die Sommerreiser dagegen werden gewöhnlich von Birken gebrochen) und dann erklärt sich die Verbrennung von selbst; oder sle bezeichnen ursprünglich den Sommer (wie im benachbarten Schlesien bei den Kinderumzügen) und werden mißbräuchlich verbrannt, indem das Fest, einmal unter die Kinder gekommen, an den Tannen vollzieht, was ursprünglich auch einer Winterpuppe zukam. e. Die gereimten Zwischenreden, die Verkleidung zweier Kinder in Sommer und Winter ist ganz die Form des Festes, wie sie sich auch am Rhein, in ganz deutscher Gegend, findet. Wie der Dialog gelautet haben mag, ist jetzt nicht mehr zu ermitteln. Es sei hier nur bemerkt, daß dieses Fest nicht nur im Algemeinen ein „ Fest der ältesten Menschheit“ ist, sondern auch die ersten Anfänge des volksthümlichen Drama's enthält.

5. Die Prozession mit der Puppe und deren schließliche Vernichtung findet sich vorzüglich im östlichen Deutschland und besonders in Polen. Dlugos (hist. Pol.) hält die Puppe für ein Bild der Morzana, die er für eine Erntegöttin erflärt und deren Beschreibung allerdings mit der der Puppe übereintrifft. (Vgl. Th. I. No. 6.) Er ist aber entschieden im Irrthum, wenn er die Ceremonie für eine christliche und die Verbrennung des Götzen für eine symbolische Vernichtung des Heidenthums erklärt, welche Herzog Mieceslaus von Polen bei seiner Taufe 986 angeordnet und die sich von Polen aus über Ost-Deutschland verbreitet habe. Nichts ist unwahrscheinlicher und der Erfahrung widersprechender, als daß das Volk sich zu einer solchen Ostentation hätte bewegen lassen. Ganz unglaublich aber wäre die Verewigung eines solchen im Volke gewiß nicht widerstandslos eingeführten Festes und die Feier desselben wie auf Verabredung zu dem selben Termine, (z. B. wurde in Leipzig ebenfalls zu Laetare ein Bild der Morzana verbrannt, v. Schneider, Chron. Lips. IV. 143.). Nein das Fest ist ein durchaus heidnisches, die Puppe repräsentirt den Winter, den Tod in der Natur. Morzana ist Todesgöttin, Personifikation des zerstörenden Prinzips in der Natur, wie schon Frenzel und Schaffarich lehren, das Stroh, das weiße Hemd, der weiße Schleier, die Sichel sind Todessymbole. Trotzdem kann Duglos insofern Recht haben, daß er Morzana für eine Ernte - Göttin erklärt. Tod und Ernte stehen in alter mythischer Verwandtschaft. Wird doch auch der christlich-germanische, beinerne und rippenhafte Tod als Schnitter mit der Sense vorgestellt. „Ist ein Schnitter, der heißt Tod, Hat Gewalt vom höchsten Gott, Heut wetzt er das Messer, Es schneid't schon viel besser. Hüt' Dich, schönes Blümelein.“ (Altes Volkslied). Dies gilt zwar eben nur vom animalischen Tode und nicht vom vegetativen, aber einmal wird in der Vorstellung der Naturvölker beides nicht so genau geschieden als in der unsrigen, und sodann finden sich ja auch parallele Beispiele von Vereinigung des belebenden und zerstörenden Prinzips in einem einzigen weiblichen goole. So die wendische Mara (Th. I. No. 8.) und Pripolnica (Th. I. No. 74.). Morzana oder Marzana ist vielleicht nur eine Verlängerung des Namen: Mara. Ja die oben unter g. angegebene Form des Festes beweist sogar, daß auch in der Lausitz die Morzana nicht durchaus feindselig und hassenswerth vorgestellt wurde, denn die Weiber legen Trauer an, wenn sie dieselbe hinaus tragen. Und sie haben auch Ursache dazu. Morzana repräsentirt den Winter. Der Winter aber ist die Zeit der Herrschaft der weiblichen Prinzipe, am Himmel des Mondes, auf Erden des Hauses, der Spinnstube, der Ehe, der passiven, receptiven, traumesthätigen Seite des Menschengeistes. Insofern scheint Morzana verwandt mit der Drjemotka (Th. I. No. 12.). Die Winterfeste der Wenden berichten fast nur von Frauengebräuchen, wie ich weitläufig beweisen und erläutern könnte. Nur erwähnen will ich, daß ein ähnliches Fest fast bei allen Völkern vorkommt, bei den Hindus im fernen Aslen, wie bei den (ebenfalls männerfeindlichen) Vestalinnen im alten Rom. (Vgl. Grimm l. c. und Norf, Festfalender S. 849.). Die Mißhandlung des Götzenbilder kann nicht auffallen, denn sobald der Winter vorüber ist, existirt eben Morzana gar nicht mehr und kann sich nicht rächen. Der Neapolitaner ohrfeigt seine Heiligenbilder und Grimm's Mythologie (S. 443.) enthält mehrere dergleichen Beispiele von heidnischen Göttern. Die Hypothese Norf's, das Ersäufen und Verbrennen sei ursprünglich nur eine feierliche Wasser- oder Feuerweihe behufs der Reinigung gewesen, ist daher überflüssig, ja irreleitend. Was fängt er denn mit dem „ Zerreißen “ an, für das es doch wohl keinen Euphemismus giebt?

6. Die Puppe, wie die Fadeln der Königshainer sind aus Stroh. Das leere Stroh, mit dem die Seele, das Korn, entwichen ist, ist ein schönes Symbol des Todes, mithin auch des Winters, der unfruchtbaren Jahreszeit, wo die Erde „Strohwittwe“ der Sonne ist. Es wird vielfach in ähnlicher Weise verwendet. Die Wenden legen einen Menschen, der dem Sterben nahe ist, auf eine Schütte frisches Stroh. Der Sarg steht auf zwei Bündeln Stroh, welche auf dem Kirchhofe zurücgelassen werden. Mit Stroh wird todbringende Zauberei, das sogen. Einspinden,“ getrieben.

7. Die Verse sind verschieden. Der Görlitzer Vers: „Den alten Weibern in das Haus„ mag sich auf den Aberglauben beziehen, daß wo die Puppe zum Fenster hineinsieht, in diesem Jahre Jemand stirbt. Die Zeile „ den jungen in den Kasten “ ist sehr dunkel. Eine Variation davon ist „Den Reichen in den Kasten,“ also ist der Geldkasten gemeint. Dies bringt mich auf die Vermuthung, daß ein Zusammenhang stattfindet zwischen der Wintergöttin Morzana und dem goldhütenden und goldspendenden Winter Drachen Plon. (Vgl. Th. I. No. 5.). Der wendische Vers ist schwer zu erklären. jutabate woco wird auch variirt in jurabate woco; auch die Schreibart jarahate habe ich gefunden. Die Uebersetzung lautet bald: dreh dich um, bald: öffne das Fenster. Das Wort soll sehr alt sein. v. Anton, Gesch. d. Slaven I. 73. und Worbs, Neues Archiv I. 107. erinnern daran, daß die walachischen Kinder bei großer Dürre singen: Papu lage, steise in den Himmel, öffne seine Thüren, sende von oben Regen herab. Bei dem „Fliege hoch“ erinnert b. Anton an die Perser, bei denen der Wintertod als Greis ohne Bart auf einem Esel reitet und einen Raben in der Hand hält. Näher verwandt scheint die alte Sitte, bei Frühlingsanfang einen Hahn, eine Krähe, eine Schwalbe umher zu tragen (Grimm, Myth. S. 439.). Die Griechen tragen beim Frühlingsfest eine hölzerne Schwalbe an einer Stange umher, sie steht auf einem Cylinder und wird immerwährend gedreht. Dies würde für die Üebersetzung: „dreh dich um“ sprechen. Es ist klar, daß die wendischen Verse ähnliche Bedeutung haben, sich mithin gar nicht auf dic Morzana beziehen, sondern irgend einem slavischen Jupiter pluvius oder Papulaga gelten. Dieser wurde entweder in Vogelgestalt gedacht, vielleicht auch wie in Griechenland so dargestellt, und beide Zeilen sind ein Gebet zu ihm, aufzufliegen, das Himmelsfenster zu öffnen und Regen herabzusenden, ober man ließ vielleicht wirklich einen Vogel fliegen (die Slaven an den Quellen der Elbe ließen zur Frühlingszeit schwarze Hühner fliegen, um Ueberschwemmung zu vermeiden); der Ruf „fall nieder“ aber bezog sich dann direkt auf den Regen. Somit ist das Todaustreiben zugleich Ategenprozession. Dadurch gewinnt auch das Hemd eine besondere Bedeutung, welches die Weiber nach Zerreißung der Puppe an einen Baum hängen und unter Gesängen heimtragen; denn dies ist ein Mittel der Wetterhegen, um Sturm zu erregen (Grimm, Mythol. S. 616.).

8. Die Stätte der Verbrennung u. s. w. und das Ziel der Prozession ist überall bedeutesam, in Budissin der Protschenberg, ein altheidnischer Opferort, in Königshain der bekannte Todtenstein, wo auch ein Flinsbild gestanden haben soll. In Görlitz ging der Weg durch die Boggasse (= Göttergasse) nach der Goldgrube an der Galgengasse. An dieser Goldgrube fordert die Neiße nach Görlitzer Aberglauben von Zeit zu Zeit ein Opfer und nach Funke's Chronik (Msfr.) stand bis zum Jahre 1542 an dieser Stelle der Galgen. Die Wenden tragen das Bild an die Dorfgrenze. Auch die Todtenleiter, auf der der Verstorbene zu Grabe getragen worden ist, wird an der Dorfgrenze liegen gelassen. Man sieht daher oft ganze Haufen verfaulter Todtenleitern an den Dorfgrenzen der Wenden. Diese Todtenleitern haben den alten Namen mary (verwandt mit Mara).

9. Der Tag des Festes ist an den meisten Orten der Sonntag Laetare, gen. der Todtensonntag, ohne Zweifel im Zusammenhang mit diesem Polsofeste. Es ist nicht mit Unrecht darauf hingewiesen worden, daß die Namengähnlichkeit des slavischen Ljeto, Lecje Sommer, eigentlich Jahr, dazu Veranlassung gegeben. Die Slaven haben eigentlich nur zwei Jahreozeiten, Sommer und Winter, lieto und zyma. Frühling heißt Vor oder Ansommer, nalieto, und Herbst Vor- oder Anwinter, nazyme. Irsprünglich scheint das Fest an feinen bestimmten Tag gebunden gewesen zu sein, sondern von dem Erscheinen der ersten Schwalbe und andern natürlichen Ereignissen abgehangen zu haben. Der 22. Februar, Petri Stuhlfeier, als Termin des Budissiner Festes, ist eine Singularität. Zum Empfange des Sommers oder Frühling: in unserm Himmelsstrich zu zeitig, könnte dieser Tag erklärt werden durch Rücbeziehung auf die früheren südlichen Wohnsitze der Slaven, wenn nicht gerade das Fackel- und Feuerfest, der altgermanische Bestandtheil der Frühlingsfeier, in Budissin dabei in Rede käme. So aber ist der merkwürdige Umstand, daß Petri Stuhlfeier in der katholischen Kirche auf den Tag eines römischen Todtenfestes verlegt wurde (Gfrörer, R. G. II. S. 771.), im Verein damit, daß gerade in Bautzen das Fest einen kirchlichen und officiellen Anstrich hatte, wahrscheinlich die alleinige Ursache gewesen, daß dieser frühe Termin in Budissin von Seiten der Kirche eingeführt wurde nach dem Beispiel des römischen Kalenders.

10. Dies leitet über zur näheren Betrachtung des Budissiner festes, welches außer der oben erwähnten in zweierlei Umständen eine wichtige Abweichung von der gewöhnlichen Form des Festes hat: a) Der Durchzug durch eine enge und schmale Gasse, welcher Regel war und durch den Gesang des Rektors noch besonders hervorgehoben wird, erinnert zu sehr an die heidnische Feierlichkeit des Durchzuges durch die hohlen Gänge der Opferaltäre, die in unsern lausitzischen Opfersteinen so sehr deutlich hervortreten, als daß man nicht eine Uebertragung dieser altheidnischen Prozession auf die Budissiner Feierlichkeit annehmen müßte. b ) Merkwürdig ist auch, daß der Rektor gerade den an sich in diesem Falle doch ganz bedeutungslosen Namen Simon beim Durchzuge durch das Fuchsgäßchen in feierlicher Weise ausdehnt, und dies bringt mich auf den Verdacht, daß dieses Wort bloß wegen seiner Klangähnlichkeit mit dem wendischen Worte Zyma, der Winter, dem doch das Fest gilt, gewählt worden sei.

11. Schließlich und hauptsächlich ist darauf hinzuweisen, daß das Kinderfest zu Welze mit dem Wagen, das der Wallfahrer heißt, unwillführlich an Hertha's Wagen und dessen Zug durch die Lande erinnert. Hertha's Wagen wurde in den heiligen See bei Budissin (Semperlaufen) versenkt, der Wagen in Welze wird verbrannt. Quod idem. Man wird einwenden, daß dies ein echt germanisches Fest der Sueven war. Ich erwiedere, daß ja die Sueven die Urbewohner der Lausitz sind, von denen diese Form des Frühlingsfestes sehr leicht auf die nachfolgenden Slaven übergegangen sein kann, und kann mich dabei auf den auffallenden Umstand beziehen, daß Hertha ein sehr gewöhnlicher Taufname bei unsern lausitzischen Wenden ist.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862


1)
Diese und die folgende nachträglich eingeschobene Numer mögen zugleich als Proben meiner noch unedirten „Lausitischen Festfalendero“ gelten.
2)
Frenzel, v. d. Völkern in der Lausitz. Msc. Frenzel, de diis Soraborum ad voc. Morzana. 1. Anton Geschichte der Slaven V. S. 70. Anton, Dr., Schulprogranım zum Lob- und Dankaktus (Laus. Fdiotiton ). Görl. 1839. 1840. Joh. Casp. Zeumer, diss, de dominica Laetare, Jenae 1706. Büsching's wöchentl. Nachrichten I. 1816. 1819. D. u. N. Laus. Chronik S. 98. Haupt u. Schmaler, Wend. Lieder II. 222. N. Lauf. Magazin 1770. S. 85. N. Lauf. Monatsschr. 1795. 1802. Preusker, Blicke u. 1. w. I. 142. Worbs, Neues Archiv I. f. Grimm, Mytholog. S. 439 — 453.; Andere Schriften über diesen Gegenstand, die Verf. aber nicht fennt, finden sich verzeichnet bei Grimm und Dr. Anton (II. cc.)