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Von den Völkern, welche früher die Oberlausitz bewohnten

  A. Frenzel, hist. eccl. Schönaviens. msc., 
  nach einer Aufzeichnung in einem alten Kirchenbuche von Jauernitz

Die Gegend, welche jetzt Oberlausitz heißt, ist von sehr alten Zeiten her, kurz nach der Sündflut von den deutschen Völkern bewohnt gewesen.

Anfänglich nannten sie sich Tuisconen oder Tuitzschonen, nachher von ihrem Könige Suevus oder Schwabus, welcher seinem Vater Gambra in dem germanischen Königreiche nachfolgte, Schwaben. Dieser Suevus kam im Jahre der Welt 1274 zur Regierung und herrschte bis um das Jahr 1320, wo er starb. Nach seinem Tode wurde er als Gott verehrt. Dies geschah besonders in einem heiligen Haine, dort wo jetzt die Stadt Görlitz steht, auf eine rohe und grausame Weise, indem man ihm Menschen zum Opfer brachte.

Später bewohnten Vandalen diese Gegenden und zur Zeit Julius Cäsar`s die Franken. Aber um das Jahr Christi 550 sind sie ganz und gar in die Hände der Slaven gekommen. Denn die deutschen Vandalen und Franken zogen zum Theil in andere Länder, nach Italien, Frankreich, Spanien, zum Theil wurden sie in den mannigfaltigen Kriegen mit den Römern, Hunnen und Sormaten aufgerieben, so daß diese Gegenden fast öde und vom Volke leer geworden. Da sind die slavischen und sormatischen Völker nachgerückt von allen Seiten und haben sich in die Länder der Deutschen getheilt und ihnen andere Namen gegeben.

Also ist der Deutschen Ruhm, Sitte und Recht in dieser Gegend getilgt worden, daß nicht das geringste Andenken oder Merkzeichen mehr vorhanden, wo ihre Wohnungen, Städte und Dörfer gestanden, oder wie sie geheißen haben, etliche wenige ausgenommen, wie das Schloss Ortenburg bei Budissin, die Städtlein Ruland, Wittichenau und andere, welche jedoch vielleicht nicht von den alten Deutschen, sondern mitten in den wendischen Kriegsunruhen von den Franken erbaut worden sein mögen.

Anmerkungen:

1. Vgl. Th. I. No. 1 u. 2 Wo der berühmte heilige Hain der Sueben (Semnonen) gelegen habe, ist eine schwierig zu lösende Frage. Die alten Chronisten nennen die Görlitzer Gegend, Andere den Spreewald, Preusker die untere Elstergegend bei Schlieben. Was Görlitz betrifft, so stellt sich der Verlegung des Haines nach dieser Gegend allerdings die allgemeine Annahme entgegen, daß in der südlichen Lausitz die Silinger gesessen haben, die Semnonen jedoch weiter nördlich.

2. Viel deutlicher, sicherer und wichtiger als die drei oben genannten Ortsnamen sind die Spuren der keltisch - germanischen Urbevölkerung a ) in den Namen der Flüsse: Elster (vgl. Th. I. No. 181. 14), urkundlich 1213 alestra, wend. balstrow (das h ist der slavische spiritus asper) vom ahd. alhs heil. Hain, Heiligthum; Spree (bei Ditmar „spreva“, im Volksmunde Spreu ), nach Preusker von sprengen, nach seinem in der O.-L. heftigen schäumenden Laufe, oder, wie Andere annehmen, eine Erweichung aus Swevus, dem Namen des Flusses, von dem Ptolemäus sagt, daß er zwischen Oder und Elbe in die Ostsee münde, welches letztere dann für einen Irrthum des Ptolemäus erklärt werden müßte. Preusker bringt in seiner ausführlichen Abhandlung (Blicke 2. II. 95 ff.) auch die Neiße (urkundl. nisa, nizza) mit dem deutschen Verbum „netzen, benetzen“ in Verbindung und erklärt Queiß (urkundl. Quiez) für gleichbedeutend mit „weiß“ ( die „ Wittiche„ fommt von derselben Wurzel ). Dazu kommen: b) Die mit cyklopischer Kraft aufgethürmten Felsenaltäre (s. Th. I. No. 13-20), welche von Celten und Germanien, nicht aber von Slaven errichtet zu werden pflegten c) Mehre Namen derselben (Th. 1. No. 13. 14. 16. bezüglich No. 18.) d) Stein- und Bronzewaffen von so hohem Alterthum, daß sie unzweifelhaft der vor slavischen Periode angehören.

3. Inwieweit viele der vorliegenden Sagen ein urdeutsches und zugleich autochthones Gepräge aufweisen, wie ich dies besonders von den meisten Zwergsagen des ersten Theiles behaupten möchte, dies stelle ich den Kennern anheim. Die Möglichkeit ist vorhanden, denn sicher wird nicht die gesammte deutsche Bevölkerung dem Andrange der Slaven. Besonders in den Gebirgsgegenden mochte sich das Deutschthum, vielleicht auch in ursprünglicher Reinheit, aufrecht erhalten. Ich habe wiederholt auf den engen Zusammenhang der Sagengebilde mit der Topographie des Landes hingewiesen. Sollte dieses Band sich erst im 10ten Jahrhundert zur Zeit der deutschen Wiedereroberung geknüpft haben? Die unter den Slaven zurückgebliebenen Germanen sind vielmehr als die Träger und Bewahrer des alten Glaubens zu betrachten. Man bedenke, daß sie von den friedlichen Slaven nicht als ein besiegtes Volk in sklavischer Unterthänigkeit gehalten wurden, sondern sich friedlich mit ihnen vermischten, ja wie es von dem Franken Samo bekannt ist, sie in ihren Kämpfen gegen die Avaren und die Franken anführten. Ueberhaupt war die Kultur der Deutschen in höherem Grade entwickelt als die der Slaven, obgleich von diesen gerühmt wird, daß sie es im Akcerbau weiter gebracht hätten. Es wird also schon damals wie später und wie überall gewesen sein, daß das wenn auch numerisch geringere, doch kräftigere deutsche Element bei der gegenseitigen Vermischung das siegreiche blieb.

4. Daß Slaven die Ureinwohner der Lausitz gewesen sein könnten, wird nach den gründlichen Untersuchungen von Palady und Schaffarit wohl Niemand mehr behaupten. Vgl. auch die von der Oberlaus. Gesellsch. der Wissenschaften zu Görlitz gekrönte Preisschrift: Schelz, „Waren germanische oder slavische Wölfer Ureinwohner der beiden Lausitzen?“ Görlitz 1812.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862