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Der Schatz auf dem Oybin

  Gräve, S. 33.

Unter den Trümmern der Burgruine auf dem Oybin liegt ein Schatz vergraben, den böse Geister bewachen. Viele haben ihn heben wollen, aber es ist ihnen nicht gelungen, ja sie sind mit plötzlicher Verarmung oder lebenslänglicher Krankheit bestraft worden.

Anmerkungen:

1. Diese Schatzsagen könnten ins Unendliche vermehrt werden. Wo liegen schließlich nicht vergrabene Schätze? Meistens stehen sie in Verbindung mit Sagen von alten Burgen, Schlössern; viele sind archäologische Zeiger für Urnen und andere heidnische Alterthümer. So liegt ein Schatz in der Hainmauer bei Nieda, im Hainberge und in der Schanze von Lichtenberg, in der sogenannten Schwedenschanze bei Niethen, im Limasberge, in der Nackel'schen Schanze, Slotnik = Goldberg genannt, im Rehnsdorfer Burgstall u. s. w. Aus neuerer Zeit giebt es Sagen von vergrabenen Kriegskassen an vielen Orten, z. B. bei Löbau, in Zodel bei Görlitz u. s. w.

2. Zum Schluß dieser Reihe als Kuriosum eine selbsterlebte moderne Schatzgeschichte. In einem Dorfe bei Görlitz ist ein großer Pfarrhof mit einem kleinen Gedinge häuschen. Dort hatte der Pastor, der ein ächter Menschenfreund war, einer armen Wittwe Herberge und Unterkommen gegeben. Die Frau war herrnhutisch erzogen und hatte manches Seltsame, aber ihre halberwachsene Tochter Amalie war ein ganz eigenthümliches Geschöpf. Sie träumte immer, was zu gleicher Zeit oder bald nachher begegnete, hörte sich manchmal beim Namen rufen, während alle Anwesenden nichts vernahmen, wurde zu Zeiten mitten auf freiem Felde wie von unsichtbaren Händen fest gehalten, so daß sie nicht von der Stelle konnte, schlich für gewöhnlich krank und blaß umher und hatte überhaupt ein so unheimliches Wesen, daß sich die Kinder im Dorfe vor ihr fürchteten. Als sie 15 Jahre alt war, wurde sie förmlich hellsehend und nachtwandelnd. Da träumte ihr einmal, sie würde von einem grauen Männchen an der Hand genommen und in das Kirchgäßchen geführt. Dort zeigte ihr der Geist einen unter der Erde eingemauerten Schatz, der aus einer goldenen Kette und alten Münzen bestand. Sie erzählte den Traum ihrer Freundin, der im gleichem Alter stehenden jüngsten Tochter des Pastors. Beide verabredeten das tiefste Stillschweigen, und als der Abend kam machten sich die Mädchen, mit einer Hacke bewaffnet, auf den Weg, den Schatz zu heben. Amalie bezeichnete die Stelle an der Mauer mit großer Sicherheit; man fand eine Schicht Knochen, dann wieder Erde und endlich eine steinerne Platte, wie es das Mädchen voraus gesagt hatte. Aber den schweren Stein konnten sie nicht heben. Sie eilten ins Pfarrhaus, aber anstatt ihre Eltern ins Geheimniß zu ziehen, vertrauten sie sich einer zufällig im Hause beschäftigten starkarmigen Bauerndirne an und führten sie an Ort und Stelle. Aber auch das Bauernmädchen versicherte, der Stein sei ihr zu schwer, sie wolle morgen Abend wieder hingehen und eine tüchtige Schaufel mitnehmen. – So geschah's, die Erde wurde wieder zugeschüttet und der nächste Abend fand die Schatzgräberinnen wieder an Ort und Stelle. Da ging der Stein merkwürdig leicht vom Boden zu heben und da fand man denn ein von Ziegelsteinen viereckig gemauertes Behältniß, wie es Amalie vorausgesagt hatte, aber keine goldene Kette und keine goldenen Münzen. Der Schatz war bereits gehoben. Die Magd heirathete bald darauf ihrem Geliebten und die bis dahin blutarmen Menschen sind reiche und angesehene Bauersleute geworden.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862