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Der unterirdische Gang in Spremberg

  Sammlung von Schön No. 59. Msc.

Nahe bei Spremberg, jenseit der Spree, befindet sich ein Hügel, auf dem ehemals eine sehr reich dotirte Kapelle stand, die dem heiligen Georg gewidmet war. Zu dieser Kapelle, sagt die Sage, führt von Spremberg aus ein unterirdischer Gang. Die Spremberger wollten einmal den Gang untersuchen und schenkten einem zum Tode verurtheilten Verbrecher das Leben, daß er den Gang untersuche und zur Georgenkapelle wieder herauskäme. Der arme Sünder war damit sehr zufrieden und machte sich auf den Weg, kam aber niemals wieder zum Vorschein. Jedermann glaubte, er sei in dem Gange verunglückt oder von bösen Geistern zerrissen worden, daher auch weiter keine Untersuchung angestellt wurde.

Einige Jahre später kommen einmal ein Paar Spremberger nach Zittau. Wem begegnen sie dort? dem zum Tode verurtheilten armen Sünder. Sie erkennen ihn auf der Stelle, obgleich er ein wohlhabender und an gesehener Bürgersmann geworden war. Unter der Hand hat er nun den Sprembergern vertraut, wie es ihm ergangen. Wie er eine Weile in dem Gange fortgeschritten, hat er Hundegebell über sich gehört, woraus er geschlossen, daß er sich unter der Scharfrichterei befinde. Gleich darauf erschien ihm ein Geist mit einem brennenden Lichte und fragte ihn, wohin er wolle. Der arme Sünder antwortet: „Ich bin zum Tode verurtheilt, wenn ich nicht auf diesem Wege zur Georgenkapelle komme.“ „Geh' nur fort,“ antwortet Jener, „Dein Glück ist gemacht.“

Hierauf kam er bald in ein Gewölbe, in welchem zwölf Apostel aus purem Golde standen, jeder etwa einen Arm lang. Hier verweilte er, bis nach seiner Berechnung der Abend angebrochen war, kehrte dann um und nahm einen der Apostel mit.

In's Freie gelangt ging er der Grenze Böhmens zu. Dort zerschlug er seinen goldenen Schatz, verwandelte ihn stückweise in klingende Münze und ließ sich schließlich als ehrsamer Bürger in Zittau nieder. Die Oeffnung ist wegen eines daraus hervordringenden mörderlichen Gestankes seit vielen Jahren vermauert. Die anderen eilf Apostel warten noch immer auf ihre Erlösung.

Anmerkungen:

1. Der unterirdischen Gänge giebt's viele in der lausitzischen Sage. Meistens liegen Schätze darin. Sie sollen alle aus dem Mittelalter herrühren, aus der Zeit der Klöster und Burgen. Viele aber hangen mit heidnischen Opferorten zusammen, (vergl. No. 22. Anmerkungen: und die Ortssagen des 2. Theiles).

2. War etwa auch der Berg des heiligen Georg vormals ein Opferberg? Und wurde nicht der Verbrecher ursprünglich zum Opfertode begnadigt? dann wäre vielleicht Zittau, wo er wieder auflebt und glücklich wird, ursprünglich Walhalla. Die goldenen Apostel erinnern an die goldenen Haine (Götzenbilder), die anderswo unter der Erde liegen, z. B. bei Bertsdorf. Der heilige Georg, der Lindwurmtödter und Schimmelreiter, ist der christianisirte Odin und Swantewit. Der Weg zu ihm ist der Weg zu Odin, d. h. der Weg zum Tode. – Alles Winke für besser unterrichtete Forscher.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862