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Eulenspiegel schwatzt von 100 jungen Leuten die Schuhe ab, und macht, dass sie sich in den Haaren zausen

Kurz nach voriger Begebenheit wollte Eulenspiegel seine Verspottung wieder vergelten, als seine Mutter gerade über Land gegangen war. Er nahm das Seil, zog es von einem anderen Haus über die Saale und machte bekannt, wie er jetzt besser auf dem Seil tanzen wolle. Die Menschen, welche an Narrenpossen oft mehr Gefallen finden, als sich um etwas Nützliches zu bekümmern, fanden sich auch bald in großer Menge ein. Jeder war nun begierig zu sehen, was er dieses Mal für Kunststücke machen würde.

Nachdem Eulenspiegel mehrere Possen auf dem Seil gezeigt hatte, bat er sich von beinahe 100 Knaben die Schuhe aus, um, wie er sagte, ein besonderes Kunststück damit auszuführen. Die Knaben glaubten dem Windbeutel, zogen ihre Schuhe aus und gaben sie ihm. Diese zog er alle auf eine Schnur und stieg wieder damit aufs Seil. Nun waren alle in großer Erwartung, was er mit den Schuhen angeben würde. Als er eine Weile sein Spielwerk auf dem Seil damit gemacht hatte, schrien die Jungen nach ihren Schuhen.

Er rief ihnen zu: »Ein Jeder gebe acht auf seine Schuhe!«

Indem schnitt er die Schnur entzwei und schleuderte die Schuhe auf dem Platz umher. Darüber kamen die Knaben in Streit, griffen sich bei den Haaren, und zausten sich so lange, bis die Eltern dazu kamen und sie mit Schlägen voneinander trennten. Diese Balgerei gefiel aber Eulenspiegel so gut, dass er auf dem Seil sitzen blieb und so sehr lachte, dass ihm der Bauch schüttelte.

»So recht«, rief er, »sucht nun eure Schuhe auseinander. Habt ihr mich neulich wegen meines Bades ausgelacht, so lache ich euch nun wieder aus.« Darüber wurden viele Zuschauer aufgebracht und wollten ihn ergreifen, aber er sprang schnell vom Seil, lief nach Hause und verbarg sich. Die Mutter aber erfuhr nichts von den Possen, die ihr Till täglich ausübte. Sie freute sich vielmehr zu sehen, dass er zu arbeiten anfing, denn weil er sich vor den Jungen nicht auf der Straße durfte sehen lassen, so half er seiner Mutter helmstädtische Pelzschuhe machen. Während dieses Hausarrests stellte er sich gegen seine Mutter recht folgsam, sodass sie gute Hoffnung fasste und dachte: Aus dem Taugenichts kann doch noch ein ordentlicher Mensch werden.

Quelle: Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871