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Der Mann im Mantel

  Gross-Döbern 

Eines Abends hüteten zwei Hirten ihre Pferde auf der Weide. Der Mond schien hell, so dass man ziemlich weit sehen konnte. Da war es dem einen Hirten, als nähere sich ihnen ein Mann. Der Mann trug einen Mantel, man konnte aber sein Gesicht nicht sehen. Der Hirt machte seinen Gefährten auf die Erscheinung aufmerksam, allein dieser sah nichts und lachte ihn aus. Der erste Hirt sah deutlich, wie der Mann sich ihnen immer mehr näherte, allein noch immer behauptete sein Gefahrte, er sehe nichts.

Jetzt hatte sich der Mann im Mantel ihnen so genähert, dass er kaum einen Schritt weit von den Hirten entfernt war. Er schritt an ihnen vorüber. Nun fragte der erste Hirt wieder: „Hast Du ihn noch nicht gesehen?“ Der zweite Hirt verneinte wieder; er bat seinen Gefährten, derselbe möchte ihm die Richtung zeigen, welche der Mann im Mantel eingeschlagen habe. Das that dieser. Da die Hirten schnell gingen, so hatten sie die Erscheinung bald eingeholt. Eben, als der erste Hirt seinem Gefährten bis auf einen Schritt nahe gekommen war, sah er, wie der Mann im Mantel sich umwandte.

Nun musste auch der andere Hirt Etwas gesehen haben, denn er stiess plötzlich einen markerschütternden Schrei aus, rannte zurück; todtenblass, und zitterte am ganzen Leibe. Jetzt geriethen auch die Pferde in eine wilde Aufregung und stürmten nach Hause, gefolgt von den Hirten, welche wegen der unheimlichen Erscheinung voll Entsetzen waren.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880