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Ein Selbstmörder kehrt wieder

Es geschah im Jahre 1591 auf einen Freitag, und zwar am 20. September, dass sich ein Schuhmacher in einer bekannten Stadt Schlesiens die Gurgel durchschnitt.

Weil das nun eine große Schande für die Familie gegeben hätte, wenn es ausgekommen wäre, tat die Witwe alles Mögliche, um die Sache geheim zu halten: Sie sagte nur ihren Schwestern davon und die Leiche wurde so sorgfältig mit Tüchern verbunden und bewickelt, dass kein Mensch etwas merkte und ein jeder glaubte, der Schuster sei am Schlage gestorben. Man läutete auch die Glocken in der Kirche und hielt dem Toten ein ganz prächtiges Begräbnis. Viele trauerten dabei um ihn, denn er hatte sich stets als ein redlicher und guter Bürger betragen und die Liebe der ganzen Stadt sich zu erwerben gewusst. Das dauerte ungefähr sechs Wochen; da verbreitete sich plötzlich überall das Gerücht, der Schuster habe selbst seinem Leben ein Ende gemacht. Die Witwe hielt sich jedoch fest bei dem Gegenteil und klagte selbst beim Senat der Stadt gegen mehrere, die davon erzählt hatten. Währenddessen erschien mit einem Mal ein Gespenst, dem Toten in allem ganz ähnlich, und das zeigte sich nicht nur nachts, sondern selbst am hellen Mittag. Zumeist begann es aber seinen Spuk beim Einbruch der Abenddämmerung. In dem Augenblick war nun niemand in der Stadt mehr ruhig. Jeder schaute besorgt umher, ob er den Geist nicht sehe. Am meisten waren die Arbeitsleute geplagt, die vom Tagwerk müde nach Ruhe verlangten. Bisweilen sahen sie das Gespenst nur an der Tür stehend, oft aber warf es sich auf die Betten und drückte die Schlummernden so, dass sie keinen Atem schöpfen und noch weniger schreien konnten und am Morgen blaue und blutige Male hatten. Sehr viele wagten sich nicht mehr auf ihre Schlafkammern, sondern hielten sich zusammen und verbrachten die Nacht in den Wohn- und Speisestuben; doch half dies selbst nicht immer, denn der Geist kam auch da zu ihnen und ließ ihnen keine Ruhe. Acht Monate lang währte diese Qual. Als nun immer neue Klagen darüber an den Senat kamen, da ließ dieser endlich am 18. April des Jahres 1592 um ein Uhr nachts das Grab öffnen. Man fand zu allgemeiner Verwunderung die Leiche noch unversehrt und die Halswunde frischrot. Bis zum 24. April blieb die Leiche ausgestellt, sodass jedermann sie anschauen konnte. es war großer Zulauf von Volk. Da verordnete der Senat, dass die Leiche zum anderen Mal, und zwar auf dem Schandplatz, begraben würde, doch das half nichts und der Geist trieb sein Wesen, wie vorher, sodass man sich genötigt sah, die Leiche nochmals ausgraben zu lassen. Man schnitt nun das Haupt und die übrigen Glieder ab, warf den Rumpf auf einen Holzstoß und verbrannte ihn. Die Asche aber füllte man in Säcke und streute sie in den Fluss. Seitdem war es ruhig und der Spuk zeigte sich nicht weiter.

Quellen: