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Ein Venediger als Steiger in Clausthal

Es ist einmal ein Venediger gewesen, der wurde in Clausthal zum Steiger gemacht. Wenn die Leute nach Hause zu gehen wünschten, ließ er sie sogleich gehen, weil er alle Arbeit für sie tat. Wegen seiner Nachsichtigkeit mit den Bergleuten erhielt er viele Strafen und wollte deshalb nach Venedig zurück. Er entließ alle seine Leute, behielt nur den Anschläger und fragte, ob er mit ihm wolle.

Der sagte: »Ja.«

Da stiegen sie miteinander ins Gesenk, wo die Tonnen hineingehen, und der Steiger besetzte die ganzen Löcher soweit, dass sie losgehen mussten, um den Stollen zunichte zu machen. Sein Zorn war so groß, dass er mit dem Stollen auch noch einen Bergmann, der da arbeitete, in die Luft sprengte, wiewohl der Anschläger um dessen Leben bat. Da frühstückten sie miteinander, und dann ging es immer in Felsen entlang, und überall war der schönste Weg. Als sie lange genug gegangen waren, kamen sie ins Venedigerland, in einen großen schönen Garten bei des Steigers Haus. Dem Anschläger gefiel es da sehr gut. Als er aber eine Zeit lang da gewesen war, fragte ihn der Steiger, ob er wieder einmal nach dem Harz wollte. Er sagte, das wolle er gern, nahm sein Grubenlicht, und nun gingen sie wieder immer in den Felsen entlang. Weil in den Bergen alles eingestürzt war, konnte er sich von da an nicht mehr zurechtfinden, wo sie gefrühstückt hatten, und der Steiger brachte ihn deshalb ganz aus den Felsen heraus. Dann ging er zurück zum Venedigerland.

Als der Anschläger aber nach Clausthal kam, kannte ihn da niemand mehr, und seine Fran und seine Kinder waren auch nicht mehr dort. Da wurden die alten Bücher nachgeschlagen und da stand, dass dieser Bergmann vor einigen hundert Jahren verschwunden war. Er aber hatte geglaubt, nur einige Jahre im Venedigerland gewesen zu sein.

Quelle: Friedrich Wrubel, Sammlung bergmännischer Sagen, 1883