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Gottesdienst der Geister

  Mündlich aus Guben

Am Weihnachtsfeste des Kriegsjahres 1815 wollte in Crossen eine Frau mit ihren Kindern zur Christnachtsfeier gehen. Sie wohnte gerade der Kirche gegenüber. Da wacht sie in der Nacht auf und sieht die Kirche erleuchtet und denkt, es sei schon Zeit. Deshalb weckt sie die Kinder nicht erst, sondern zieht sich schnell an und läuft hin.

Als sie in die Kirche kommt, ist diese hell erleuchtet, die Orgel spielt, alle Kirchenstühle sind besetzt; alles ist schwarz und weiß an gezogen. Sie grüßt, es dankt ihr niemand; sie setzt sich hin in eine Bank, fragt, wo das Lied steht, bekommt aber keine Antwort. Da blickt sie selber nach der Nummer, sieht aber in dem Buche eine ganz andere Nummer und andere Schrift. Darauf schaut sie sich um, ob sie nicht irgend ein Bekanntes erblickt, sie findet auch Bekannte; aber sie waren alle schon verstorben.

Da denkt sie, das kommt dir doch zu komisch vor, und sie geht wieder zur Kirche hinaus. Wie sie die Thür hinter sich zuschlägt, ist alles finster. Als sie zur Wache kam, fragte sie, wie spät es wäre, und man sagte ihr: „1 Uhr!“

Nachher trat in Crossen ein großes Sterben ein.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894