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Die Sage vom Kyffhäuser

Auf dem Kyffhäuser schläft Friedrich Rotbart; er sitzt am runden Steintische, den Kopf mit der Hand gestützt; sein Bart aber wächst um den Tisch und hat schon zweimal dessen Windung umschlossen; wenn er das dritte Mal herumgewachsen sein wird, erfolgt des Kaisers Erwachen. Bei seinem Hervorkommen wird er seinen Schild an einen dürren Baum hängen; davon wird der Baum grünen und eine bessere Zeit wird herankommen. Einige haben ihn wohl auch wachend gesehen; einen Schäfer, der ein ihm wohlgefälliges Lied gepfiffen, fragte Friedrich: »Fliegen die Raben noch um den Berg?« Und als der Schäfer es bejahte, sagte er: »So muß ich hundert Jahre länger schlafen.« Der Schäfer wurde darauf in des Kaisers Rüstkammer geführt und bekam den Fuß eines Handfasses geschenkt, welchen der Goldschmied für gediegenes Gold erkannte.

Eine Begebenheit, die sich im Jahre 1546 zutrug, ließ den Glauben, daß der Kaiser im Berge fortlebe, im Volke noch weit reger aufleben. Man hatte seit einiger Zeit im der Umgegend des Kyffhäuserberges bemerkt, daß aus der alten Burg ein leichter Rauch aufsteige; es wurde viel darüber gemunkelt und hin und her geredet, bis man sich endlich entschloß, die Sache näher zu untersuchen und in großer Anzahl hinaufwanderte. Erwartungsvoll betrat man das Gemäuer und war nicht wenig erstaunt, in der Kapelle am verglimmenden Feuer eine seltsam phantastische Gestalt zu finden, die sich um die Eindringlinge nur wenig zu kümmern schien. Das Gesicht war von gespenstischer Blässe, das Haar wirr und grau, und ein langer Bart wallte vom Kinn hernieder. Der phantastische Anzug erhöhte noch den seltsamen Eindruck, den die hagere Gestalt des Alten machte. Einige Töpfe standen an dem Feuer, welches er sich in der Kapelle angefacht hatte, und mehrere ungewöhnlich geformte Waffen lagen in seiner Nähe. Sprachlos vor Staunen starrt die Menge auf die wunderbare Erscheinung; als allmählich sich der Bann löste und die Beherzteren zu wissen verlangten, wen sie vor sich sähen und was der Alte hier oben zu suchen habe, wurde ihnen mit hohler Stimme die Antwort: »Ich bin Kaiser Friedrich und erschienen, um der Welt Frieden zu bringen; denn die jetzigen Fürsten werden's nicht ausmachen.« Eine große Aufregung war die Folge dieser auf alle Fragen immer wiederholten Erwiderung, bis endlich der Landvoigt von Brüneck dem Hin- und Herstreiten des Volkes ein Ende machte und verlangte, daß der vorgebliche Kaiser Friedrich ihn hinabbegleite nach Frankenhausen. Sofort war dieser auch bereit. Als man ihm aber die Hände binden wollte, rief er entrüstet: »Nicht wie einen Schalk, wie Euren Kaiser behandelt mich!«

Graf Günther von Schwarzburg ließ ihn von Frankenhausen nach Sondershausen bringen. Die gerichtliche Untersuchung ergab, daß man es mit einem Schneider aus Langensalza zu thun habe, der zeitweise an Wahnsinn leide. Trotzdessen schenkte ein Teil des Volkes seinen Angaben Glauben, so daß man den Alten in sicherem Gewahrsam halten mußte; erst nach längerer Zeit durfte er in Sondershausen frei umhergehen.

Der Historiker Johannes Voigt glaubte, die Sage von Kaiser Friedrichs Aufenthalt im Kyffhäuser bezöge sich lediglich auf diesen Vorfall; es ist jedoch erwiesen, daß der Mönch Johann von Winterthur schon 1348 von dem allgemein herrschenden Glauben an Kaiser Friedrichs II. Wiederkehr spricht, und daß man in mehreren alten Zeitbüchern Spuren dieser Sage findet.

Quelle: Im Zauberbann des Harzgebirges, Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, Flemming, 1890