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Von den Zwergen bei Osterrode

Einem Bauern, der große Erbsenfelder in der Nähe von Osterode hatte, aßen die Zwerge alle Erbsen auf und ruinierten außerdem sein Land sehr. Darüber war der Bauer recht unglücklich, denn er wusste nicht, was er beginnen sollte, um die lästigen Diebe fortzuscheuchen. Endlich kam er auf den Einfall, große Stangen zu nehmen und damit rundherum zu schlagen. Sicher würde er auf diese Weise einem von den unsichtbaren Zwergen die Nebelkappe abschlagen. Wirklich kam es, wie er gedacht hatte, und bald sah er ein kleines, graues Männchen vor sich, dessen Kappe weit fortgeschleudert war. Der Bauer hielt den um Gnade bittender Zwerg fest und schalt ihn tüchtig wegen seiner Diebereien.

Doch der Kleine bat und flehte, ihn doch freizulassen. Als alles nichts half, versprach er dem Bauern einen ganzen Wagen voll Gold. Er solle nur vor Sonnenaufgang zur Zwerghöhle kommen, die jenseits am Berg läge, und dort das Versprochene in Empfang nehmen.

Das Gold lockte den Bauern und er ließ seinen Gefangenen wieder frei, fragte ihn aber noch, um ja zu rechter Zeit zu kommen, wann denn die Sonne aufginge.

Der Kleine sah den Bauern ein wenig hämisch lächelnd an und entgegnete: »Um zwölf Uhr.« Jedenfalls schien er sich zu wundern, dass dies der Landmann nicht einmal wisse.

Die Zwerge aber hatten in ihren Höhlen ganz anderes Licht und andere Zeit als die Menschen. Es war daher nur klug von dem Bauern, dass er sich vorher danach erkundigte, um nicht etwa zu spät zu kommen.

Als er um zwölf Uhr mit seinem Wagen vor der Höhle hielt, da hörte er im Inneren des Berges lautes Singen und Jauchzen. Ganz deutlich klangen die Worte heraus: »Dat ist gaut, dat de Buerken dak nicht weit, dat de Sunne um twölf upgeiht.«

Nun meldete er sich bei den Zwergen, um das versprochene Gold in Empfang zu nehmen. Stattdessen gaben sie ihm aber ein totes Pferd und riefen lachend, damit müsse er sich begnügen, anderes könnten sie ihm nicht geben.

Zornig stampfte der Bauer mit dem Fuß; so betrogen hatten diese Diebe ihn noch obendrein! Doch die sollten ihm nur wiederkommen, er würde sicher nicht noch einmal Gnade für Recht ergehen lassen.

Als er sich zur Rückfahrt anschickte, dachte er: Nun, für die Hunde wäre denn das Fleisch doch wohl zu gebrauchen! Er hieb sich ein großes Stück ab und lud es auf den Wagen.

Als er zu Hause ankam und das Fleisch hervorholte, war das ganze Stück blankes Gold. Wie ärgerte sich unser guter Bauer, dass er den größten Teil des Pferdes zurückgelassen hatte; denn als er zu dem Ort zurückfuhr, um es zu holen, waren Zwerghöhle und Pferd verschwunden.

Quelle: Im Zauberbann des Harzgebirges, Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann, Flemming, 1890