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Die Erscheinung

Noch vor einigen sechszig Jahren bemerkte man unter der gräfl. v. gersdorf’schen Gemäldesammlung zu Baruth bei Budissin, ein großes – wenn gleich nicht von dem Pinsel eines Sylvester oder Alexander Thiele, doch nicht von einem Stümper in der Kunst gefertigtes – Tableau, welches folgenden Gegenstand vorstellte:

Eine Gesellschaft Damen und Herren im Kostüm des siebenzehenten Jahrhunderts saß um eine mit Speisen reich besetzte Tafel, auf welche das etwa Mangelnde oder Erschöpfte durch geschäftige Diener aufgetragen oder ersetzt wurde. Den ersten Platz an der Tafel rechts neben einem vornehmen Herrn und links, neben einer Dame – wahrscheinlich Wirth und Wirthin – nahm ein anderes, in aschfarbenen Atlas gekleidetes – den Jahren nach eine angehende Dreißigerin – Frauenzimmer, mit reichem kostbarem Schmuck, ein, (dessen Gesicht man nur zur Hälfte sah) ihren freudig erschrocknem Blick auf einen, über deren Stuhl sich beugenden, kräftig schönen Mann, mit sommerverbranntem Gesicht in – nach damaliger Zeit gewöhnlicher – österreichischer Kriegertracht heftend. Darüber nun meldete der damalige Kastellan, (ein alter Heiducke des Grafen Nikolaus von Gersdorf) Namens Nicke, Folgendes:

Im Jahre 1683 besuchte eine Gräfin Truchses ihre Freundin, die Frau von Gersdorf, um das Ende des Sommers bei ihr in Baruth zuzubringen. Ersterer Gemahl, ein nicht unbedeutender Offizier im österreichischen Heere, befand sich im Feldzuge gegen die Türken.

Am 12. Septbr. g. J. wurde bekanntlich Wien entsetzt und so, wie man in der ganzen Christenheit dieses wichtige Ereigniß feierte, geschahe solches auch einige Tage nach dem Siege, zu Baruth. Da trat am hellen Tage ein österreichischer Krieger in’s Tafelzimmer und stellte sich hinter der Gräfin Stuhl. Diese sich umwendend, erkannte in ihm sogleich ihren Gemahl, den sie mit dem freudigen Ausruf: „Graf Truchses!“ begrüßte, aufspringen und ihn umarmen wollte. Allein, verschwunden war der Ritter. – Man hielt es anfänglich für einen Scherz, womit er seine Gattin habe necken wollen und durchsuchte das ganze Schloß, ohne den Fremden zu finden.

Die Gräfin wurde nach langem, vergeblichem Harren gefährlich krank. Nach mehrern Tagen traf die Nachricht ein, wie ihr Gemahl im Gefecht einen tödtlichen Säbelhieb in Schädel erhalten, an dessen Folgen er am Tage der Siegesfeier im Schlosse, zur nämlichen Stunde der Erscheinung gestorben sey. – Gedachtes Gemälde trug diese Geschichte auf die Nachwelt.

Quelle: Heinrich Gottlob Gräve: Volkssagen und volksthümliche Denkmale der Lausitz. Reichel, Bautzen 1839, Seite 81