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Der Spatenberg

  Mündlich

Ein junger Bürger der Stadt Sondershausen war, obschon redlich, fleißig und geschickt, einstmals in große Noth gerathen. Harte Gläubiger drohten mit Auspfändung; gänzliche Zerrüttung seines kaum begründeten Hauswesens stand ihm bevor; er sah sich schon im Geiste mit Frau und Kindern bitterem Mangel preisgegeben. Ein Gang in das Freie sollte seinem beklommenen Herzen für kurze Stunden Erleichterung verschaffen. Bald zog es ihn mit seinem Weh in Waldeseinsamkeit. Er stieg den Göldener hinan, bis ihn auf der Höhe des Spatenberges der grüne Rasenteppich im Schatten alter Buchen zu kurzer Rast einlud. Da mochte er nun in lauten Klagen der Trauer über sein Mißgeschick Worte geben. Doch schickt er sich endlich an zum Weitergehen, als ihm plötzlich eine wunderholde Jungfrau in das Auge fällt, die in Trauergewändern und weinend auf einem bemoosten Steine am Eingange der Höhle des Spatenberges (des sogenannten Jungfernloches) sitzt. Sein Mitgefühl wird bei diesem Anblick noch reger, je tiefer seine eigene Wehmuth ist, er kann es nicht unterlassen, dem lieblichen Frauenbilde näher zu treten und nach den Ursachen ihres Kummers theilnehmend zu forschen. Sie aber meint, ihr Leid sei viel zu groß, als daß sie Andere durch dessen Mittheilung betrüben könne, und nur darin sehe sie Linderung, daß sie fremde Thränen zu trocknen suche. So habe sie nun von ihm unbemerkt vernommen, was ihn bekümmere, und es gewähre ihre schmerzerfüllten Seele gar süßen Trost, daß sie ihm helfen könne. Als sie dem Erstaunten das gesagt, heißt sie ihn, ihr in die gedachte Höhle zu folgen. Nachdem sie mehrere düstere Gänge durchschritten, treten sie endlich in ein wundersam erhelltes Gemach, in dessen Mitte eine mit Geld und Schätzen angefüllte Truhe steht, aus der der Begleiter der Jungfrau auf ihr Geheiß soviel Goldstücke entnehmen muß, als nach seiner Meinung hinreichen, um seiner Verlegenheit abzuhelfen. Doch muß er der Holden heilig versprechen, daß er nach Jahresfrist zur bestimmten Stunde an einem gewissen Tage dieselbe Summe an denselben Ort zurückbringen wolle, weil ihr selbst im Falle seines Ausbleibens großes Unheil widerfahren könne. Nachdem der Erfreute das versprochen, entläßt ihn die Jungfrau freundlich mild. Natürlich war er nun seiner Angst und Noth enthoben, und was er ferner von diesem Tage an beginnen mochte, es gedieh ihm sichtlich. Nicht allein, daß er seine Gläubiger befriedigen konnte, er war auch zur bestimmten Frist im Stande, das empfangene Darlehen seinem Versprechen gemäß zurückzugeben. Dankbaren Herzens schickt er sich auch dazu an. Doch im Alltagsgewande kann er nicht zu seiner edlen Wohlthäterin gehen, und der lügnerische Schneider hatte den rothen Sonntagsrock nicht zur rechten Zeit gebracht. Endlich, will er mit der rechten Stunde nicht auch den rechten Tag versäumen, geht er ungeputzt. Doch als er den Bergweg hinaufsteigt, scheint es, als ob die Wipfel der Buchen klagend seufzen. Mit großem Bangen naht er der Höhle. Keine Jungfrau ist zu sehen, darum geht er hinein, und findet sich endlich wieder in seinem Gemache. Aber was muß er sehen. Die helfende Jungfrau liegt mit gramentstellten, schmerzliche Anklagen für ihn verkündenden Zügen eben verscheidend am Boden. Schauerliches Düster hüllt den Erschrockenen ein. Nur der Schatz in der geöffneten Truhe funkelt unheimlich. Ein lange verhaltener Seufzer zittert durch das Gemach. Da wirft der zu spät Gekommene in seiner Seelenangst, sich fromm bekreuzend, das Geld in die Truhe, die alsbald zuschlägt und mit der todten Jungfrau verschwindet. Ein fürchterliches Brausen erhebt sich. Der von Schrecken Betäubte flieht aus dem Gemache, welches hinter ihm zusammenstürzt, und aus den Gängen der Höhle, die ihm mit einem male verfallen scheinen. Den fast Hinausspringenden trifft ein sich lösender Stein so heftig an einer Ferse, daß er kaum im Stande ist, bergab nach Hause zu hinken. Athemlos kam er heim. Allein er wurde nicht wieder recht froh, obschon seine Habe sich mehrte und keine Noth ihn bedrückte. Doch mußte er von jenem Tage an stets Pantoffeln tragen, mit denen er selbst zu Pferde stieg, wenn ihn der Handel oder der Feldbau aus den Thoren der Stadt führte. Auch behielt er bis in sein spätes Alter die Gewohnheit bei, beständig mit dem rothen Bratenrocke und dem dreieckigen Hute angethan zu sein, mit welcher Bekleidung er sich sogar zum Mittagsschläfchen niederzulegen pflegte, wohl um jener vielbeweinten Versäumniß täglich reuig eingedenk zu sein. Alte Leute sahen noch den bejahrten Mann, von dem man es erzählte, öfter mit Hut und Bratenrock auf dem Ruhebette liegen, öfter, mit Pantoffeln angethan, das Feld durchreiten.

Quellen: