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Der Schäfer im Singerberge

  Mündlich

Ein anderer Hirte war gleichfalls in den Singerberg gerathen; ihm hatte eine weiße Frau gewinkt. Durch viele unterirdische Gemächer war er bereits hindurchgekommen, da tritt er in einen Saal, worin eine Tafel steht, gedeckt und besezt mit den köstlichsten Speisen und Getränken. Ihr lieblicher Geruch lockt ihn an, er langt zu, ißt und trinkt und schläft alsbald ein. Als er wieder erwacht, hört er in dem Gemache nebenan ein Pochen; er öffnet die Thür und sieht darin an einer Tafel viele Ritter sitzen, aber alle schlafen. Während er dieselben noch verwundert betrachtet, erwacht einer und fragt: welche Jahreszahl schreiben wir heute?„ Der Hirte nennt die Zahl und seufzend antwortet der Ritter: noch lange nicht! Ach, schone die gelben Blumen! “ Der Hirte sucht in seiner Verwirrung eine Entschuldigung vorzubringen, da hört er im Berge ein gewaltiges Krachen, Alles verschwindet vor seinen Blicken und er steht wieder unter Gottes freiem Himmel. Er sieht sich nach seiner Herde um, aber diese ist nicht mehr da; angstvoll geht er den Berg hinab in sein Dorf Singen, da begegnen ihm überall nur fremde Gesichter und der Ort kommt ihm ganz verändert vor, neue und größere Häuser stehen da, wo er nur Gärten und Wiesen kannte. Zuletzt ergibt es sich, daß er gerade hundert Jahre in dem Berge verschlafen hat.

Quellen: