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Von einer Vorlesung des Doctor Faust in Erfurt

  Wahrhaftige Historien des D. Johannes Faustus durch G. R. Widmann.
  Gedr. zu Hamburg 1599. 1. Thl. 38. Cap.
  Hogel's Chronik S. 1055.

Der Doctor Faust war zu Erfurt namhaft und in einem grossen Ansehn. Er pflegte, wenn er von Wittenberg dahin kam, in einem Hause zu St. Michael zu wohnen unweit dem grossen Collegium, auch hatte er sich einen solchen Anhang verschafft, dass ihm erlaubt wurde sich öffentlich auf dem Lehrstuhl hören zu lassen. So hat er denn auf eine Zeit den Studenten den griechischen Poeten Homerus erklärt und dabei die vorkommenden Kriegshelden so lebendig beschrieben, dass den Studenten ein grosses Verlangen ankam, dieselben in eigener Person zu sehen. Auf ihr bittlich Ansuchen bewilligt ihnen Faust, dass er in der nächsten Lection diese Helden vorstellen wolle. In dieser Vorlesung sah nun Faust, dass wegen seiner gethanen Zusage mehr Studenten als gewöhnlich zugegen waren, und er hat mitten in der Lection angefangen und gesagt: „ihr lieben Studenten, weil ihr begehrlich seid die berühmten Kriegsfürsten, deren der Poet allhier gedenkt, in der Person, wie sie damals gelebt, anzuschauen, so sollen sie euch nun begegnen.„ Darauf sind alsbald diese Helden in ihrer damals gebräuchlichen Rüstung in das Lectorium nach einander herein getreten, haben sich männlich und frisch mit ganz zornigen und grimmigen Augen umgesehen, die Köpfe geschüttelt und sind dann wieder davon gegangen. Zulezt kam noch der gräuliche Riese Polyphemus, der an der Stirne nur ein Auge hatte, auch einen langen, zottigen, feuerrothen Bart; ein Mensch, den er eben verzehrte, hing ihm noch mit dem Schenkel aus dem Maule heraus, überhaupt war er so grässlich anzusehen, dass allen Studenten die Haare zu Berge standen.

Ueber diesen Schrecken musste Faust nicht wenig lachen, auch ängstigte er die Studenten noch damit, dass Polyphemus nicht wieder zur Thür hinaus gehen wollte, sich vielmehr umfah mit seinem erschrecklichen Gesicht und die Hände ausbreitete als ob er nach etlichen Zuhörern greifen und sie verschlingen wollte, dabei stiess er mit seinem gewaltigen Spiesse, der wie ein Weberbaum war, gegen den Fussboden, dass das ganze Collegium erzitterte. Zulegt aber winkte ihm Faust mit dem Finger, da trat er hinaus und Faust beschloss seine Lection, womit die Studenten wohl zufrieden waren, denn sie hatten den Teufel im Glas gesehen, und begehrten fortan nicht wieder solche Erscheinungen von ihm.

Quellen: